Rechtsdepesche: Sehr geehrter Herr Fehringer, Sie beschäftigen sich intensiv mit dem Thema „Nachhaltigkeit“. Welchen Stellenwert haben die ökologischen Aspekte für den Betrieb eines Krankenhauses?
Im Fokus: Nachhaltigkeit im OP-Saal
Roland Fehringer: Ich durfte in den vergangenen Jahren mehrmals bei diversen Kongressen in Deutschland zum Thema „Nachhaltigkeit“ sprechen. Insbesondere beim OP-Management Kongress in Bremen habe ich gelernt: das Herzstück des Krankenhauses ist der OP-Saal. Das ist sozusagen der Nukleus, um den sich alles dreht, mit dem das Geld verdient wird.
Hier spielen Fragen der Nachhaltigkeit oft eine untergeordnete Rolle. Ein Indiz hierfür ist der übermäßige Einsatz von Einweg-Textilien. Wenn man bedenkt, dass in Österreich beispielsweise 80 Prozent der OP ‑Textilien Mehrwegprodukte sind, fällt diese Quote in Deutschland eklatant ab. Hierzulande bestehen gerade einmal 20 Prozent aller OP-Tücher und Mäntel aus Mehrwegtextilien, die wieder gewaschen werden.
Ganz klar: im OP-Bereich hat Deutschland noch einen immensen Aufholbedarf. Ebenso bedeutsam für das Nachhaltigkeitsmanagement ist aber auch die Organisation der Abläufe und der Einbezug von Nachhaltigkeitsaspekten in den Kriterienkatalog der Auftragsvergabe an die Lieferanten. Im Rahmen der Ausschreibungsverfahren ist dies möglich und die Tendenz geht – wenn auch langsam – in die richtige Richtung.
Nachhaltigkeit in Pflegeheimen noch nicht angekommen
Rechtsdepesche: Ein Wort zu den Pflegeheimen: Haben Sie in diesen Bereich auch Einsichten?
Roland Fehringer: Ich weiß nicht genau, wie viele Pflegeheime die Nachhaltigkeitsthemen tatsächlich angehen und umsetzen. Vom Bauchgefühl her würde ich schätzen, dass das Thema Nachhaltigkeit dort noch nicht richtig angekommen ist. Ich glaube, dass gerade im Pflegebereich die Geldnot ein großes Thema ist. Die Investitionskosten für den Mehrweg-Textil-Einkauf stellen da möglicherweise eine Hürde dar.
Aber, und das darf nicht ausgeklammert oder vergessen werden, die Kosten müssen ganzheitlich kalkuliert werden. Das heißt vom Einkauf über die Nutzungsdauer bis hin zur Verwertung sollten alle Positionen in Euro und Cent dargestellt werden.
Wird dabei berücksichtigt, dass ein Mehrweg-Textil ca. 70-mal verwendet werden kann und die Aufwände für die Lagerhaltung sowie die Abfallentsorgung drastisch reduziert werden, so rechnen sich auch im Pflegebereich die höheren Einstandskosten für Mehrweg-Textilien.
Umweltschutz in Gesetzgebung angekommen
Rechtsdepesche: Der Umweltschutz ist längst in der Gesetzgebung angekommen – auch für das Gesundheitswesen. In Deutschland gebietet beispielsweise das Kreislaufwirtschaftsgesetz den Krankenhäusern und Pflegeheimen die umweltverträgliche Bewirtschaftung. Setzen die Einrichtungen die gesetzlichen Gebote auch um?
Roland Fehringer: Was heißt denn Kreislaufwirtschaft eigentlich? Kreislaufwirtschaft heißt einerseits die Produkte so zu gestalten, dass sie wiederverwendbar sind, dass sie recyclingfähig sind. Da ist man natürlich mit Einwegprodukten auf dem Holzweg. Und gerne noch einmal der Hinweis: in Deutschland werden nur 20 Prozent der OP-Textilien als Mehrwegartikel eingesetzt.
Meine Kontakte zu den Wäschereien belegen, dass sich an diesem Verhältnis in den letzten zehn Jahren nicht viel verändert hat. Hier ist es seither zu keiner Steigerung von Mehrwegprodukten gekommen, obwohl das Kreislaufwirtschaftsgesetz dies vorgibt. Wenngleich das Mehrweg-Textil gegenüber dem Einweg-Textil eine deutlich bessere Umweltbilanz aufweist, werden diese von den verantwortlichen Personen zu wenig nachgefragt.
Es gibt in Deutschland weder keine Verpflichtung für den Einsatz von Mehrwegprodukten oder eine Pönalisierung des Einsatzes von Einwegprodukten, aber im Sinne der Ressourcenschonung sollte sich das Verhältnis von Einweg zu Mehrweg drehen.
Schulungen für alle Mitarbeiter
Rechtsdepesche: Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?
Roland Fehringer: Die Mitarbeitenden müssen durch Schulungen sensibilisiert werden. Das Pflegepersonal, die Ärzte, das Management und der Einkauf müssen wissen, wo die Vorteile liegen, wenn mehrere Produkte zur Auswahl stehen. Natürlich muss ein Produkt die praktischen Anforderungen des ärztlichen und pflegerischen Personals erfüllen. Aber im Sinne der Nachhaltigkeit müssen bei den Beschaffungsentscheidungen zugleich auch Kriterien wie etwa die CO₂-Bilanz berücksichtigt werden.
Vergegenwärtige ich mir, dass ein Mehrweg-OP-Mantel ca. 70-mal genutzt werden kann, hat dieser natürlich einen deutlich niedrigeren Carbon Footprint (die Redaktion: CO2-Fußabdruck) als ein Mantel, der nach einmaligem Gebrauch weggeworfen wird. In der Summe ist die Klima-Bilanz für textile Mehrwegprodukte zweifelsohne deutlich besser – trotz der Wege zu den Wäschereien und trotz des Waschmitteleinsatzes.
Ein gutes Beispiel für die positive Klimabilanz bieten die Vergleichsstudien des Umweltbundesamtes, die eindeutig belegen, dass die Mehrwegflaschen sowohl aus Glas als auch aus Polyethylenterephthalat (PET) gegenüber Einweg-Plastikflaschen und Getränkedosen aus ökologischer Sicht die bessere Wahl sind.
Im Getränkebereich sprechen wir von 15 ‑25 Wiederbefüllungen der Gebinde, während – wie gesagt – im Bereich der Mehrweg-Textilien bis zu 70 Anwendungen möglich sind. Ich finde, das spricht für sich. Bezüglich der Nachhaltigkeit geht es aber nicht nur um Carbon Footprint oder Umweltbelange, es geht insbesondere bei Textilien auch um soziale Belange, da kommen wir dann in den Bereich des heiß diskutierten Lieferkettengesetzes.
Regional einkaufen
Rechtsdepesche: Stichwort Lieferkette. Das Kriterium der „Steuerung der Lieferketten“ stellt mittlerweile für die Einkäufer von Gesundheitseinrichtungen eine echte Herausforderung dar. Woran können sich die Verantwortlichen orientieren?
Roland Fehringer: Das Lieferkettengesetz verpflichtet die Verantwortlichen von Gesundheitseinrichtungen entlang der gesamten Lieferkette genau auf die Herkunft der anzuschaffenden Produkte zu achten. Zu den Kernelementen der neuen unternehmerischen Sorgfaltspflichten gehört die Einrichtung eines Risikomanagements, um die Risiken von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschädigungen zu identifizieren.
Hier kann eine einfache Gleichung aufgestellt werden. Kaufe ich regional ein, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Produkte dem Lieferkettengesetz entsprechen. In Mitteleuropa kann davon ausgegangen werden, dass die hier ansässigen Betriebe genau die gebotenen Menschenrechts- und Umweltstandards, sowie die sozialen Rechtspositionen einhalten.
Einwegtextilien werden meist in Asien statt in Europa aus Polyethylen auf Rohölbasis hergestellt. Da wird es dann für das einzelne Krankenhaus oder die Pflegeeinrichtung schwieriger zu durchforsten, wo kommen die Produkte denn eigentlich her?
Die regionale Beschaffung ist deshalb eindeutig zu bevorzugen. Hier besteht die beste Aussicht, die Forderungen des Lieferkettengesetzes einzuhalten.
Auch Mehrwegprodukte werden für Energiegewinn genutzt
Rechtsdepesche: Die Vertreiber von Einweg-Textilien tragen vor, dass auch ihre Produkte einen positiven Beitrag zur Ökobilanz liefern würden. Die Verbrennung nach dem Gebrauch des Einweg-Textils soll einen energetischen Beitrag in der Fernwärme liefern. Wie stehen Sie zu diesem Argument?
Roland Fehringer: Dieses Argument ist absurd. Jedes Produkt, das am Ende seiner Lebensdauer in einer Verbrennungsanlage mit Fernwärmeanschluss verbrannt wird, liefert einen Beitrag zur energetischen Versorgung. Aber wenn ich einen Brennstoff haben möchte, dann gehe ich nicht in den OP und beschaffe mir dort den Abfall, sondern gehe in den Baustoffhandel.
Und natürlich können auch die Mehrwegprodukte am Ende ihres Lebenszyklus thermisch verwertet und für den Energiegewinn genutzt werden. Es ist jedenfalls kein schlagendes Argument für oder gegen ein Produkt, wenn ich es nach seiner Nutzung verbrennen kann und damit einen positiven Beitrag für die Fernwärme erzeuge.
Viel wichtiger ist das Schließen von Kreisläufen, also die stoffliche Verwertung und auch hier gibt es ein Vorzeigeprojekt in Österreich, das aus gebrauchten Haushalts- und Bekleidungstextilien wieder neue Viscosefasern für die Textilindustrie gewinnt.
Mehrwegprodukte gegenüber Einwegprodukten im Vorteil
Rechtsdepesche: Wie schlagen die ökologischen Aspekte in der Ökonomie einer Gesundheitseinrichtung nieder. Muss die „Nachhaltigkeit“ teuer eingekauft werden?
Roland Fehringer: Nein. Die gesamten Kosten, die im Lebenszyklus eines Produktes anfallen müssen betrachtet werden, im englischen nennt sich das „Total Cost of Ownership“. Werden alle direkten und indirekten Kosten in die Kalkulation einbezogen, dann sind die Mehrwegprodukte gegenüber Einwegprodukten klar im Vorteil.
Im Einkauf schlagen zwar zunächst höhere Investitionen zu Buche, die sich dann aber zum Beispiel schnell durch Einsparungen in der Abfallwirtschaft gegenrechnen lassen. Es gibt einfach viel weniger Abfall, der entsorgt werden muss. Im Sinne des Klimaschutzes wurde von der Stadt Wien 1998 das Programm ÖkoKauf Wien ins Leben gerufen.
Ziel ist es, den Einkauf von Waren, Produkten und Dienstleistungen in allen Bereichen der Stadtverwaltung stärker nach nachhaltigen Gesichtspunkten auszurichten. Das Wiener Projekt belegt eindrucksvoll, dass ökologischer Einkauf die Kosten reduzieren kann. Mit anderen Worten: Nachhaltigkeit muss nicht teuer eingekauft werden. Im Gegenteil: sie bringt Kostenvorteile! Und eines muss schon gesagt werden: gehen wir mit unserem Klima weiter so um, wie derzeit, werden uns die Klimafolgekosten auffressen.
Deshalb müssen wir jetzt schauen, dass die Materialien im Kreislauf geführt werden. Wir müssen Mehrwegprodukte verwenden und darauf achten, dass wir den Energieverbrauch für alle möglichen Prozesse senken. Das Argument, dass jetzt ein Einwegprodukt im Einkauf viel billiger ist, ist sehr kurz gedacht.
Rechtsdepesche: Das heißt, die einzelne Einrichtung ist auch dazu aufgefordert, die Gesamtheit zu unterstützen?
Roland Fehringer: Ja! Und das zahlt sich am Ende für die einzelne Einrichtung auch aus. Der positive Effekt ist, man schützt dadurch auch die Umwelt, die Natur und das Klima.
Rechtsdepesche: Sehr geehrter Herr Fehringer, besten Dank für dieses aufschlussreiche Gespäch.