Nachhaltigkeit
Roland Fehrin­ger beschäf­tigt sich seit 30 Jahren mit den Themen Abfall­wirt­schaft, Ökobi­lan­zie­rung und Nachhal­tig­keit. 2017 gründete er das Unter­neh­men c7-consult Bild: Privat

Rechts­de­pe­sche: Sehr geehr­ter Herr Fehrin­ger, Sie beschäf­ti­gen sich inten­siv mit dem Thema „Nachhal­tig­keit“. Welchen Stellen­wert haben die ökolo­gi­schen Aspekte für den Betrieb eines Kranken­hau­ses?

Im Fokus: Nachhal­tig­keit im OP-Saal

Roland Fehrin­ger: Ich durfte in den vergan­ge­nen Jahren mehrmals bei diver­sen Kongres­sen in Deutsch­land zum Thema „Nachhal­tig­keit“ sprechen. Insbe­son­dere beim OP-Manage­ment Kongress in Bremen habe ich gelernt: das Herzstück des Kranken­hau­ses ist der OP-Saal. Das ist sozusa­gen der Nukleus, um den sich alles dreht, mit dem das Geld verdient wird.

Hier spielen Fragen der Nachhal­tig­keit oft eine unter­ge­ord­nete Rolle. Ein Indiz hierfür ist der übermä­ßige Einsatz von Einweg-Texti­lien. Wenn man bedenkt, dass in Öster­reich beispiels­weise 80 Prozent der OP ‑Texti­lien Mehrweg­pro­dukte sind, fällt diese Quote in Deutsch­land eklatant ab. Hierzu­lande bestehen gerade einmal 20 Prozent aller OP-Tücher und Mäntel aus Mehrweg­tex­ti­lien, die wieder gewaschen werden.

Ganz klar: im OP-Bereich hat Deutsch­land noch einen immensen Aufhol­be­darf. Ebenso bedeut­sam für das Nachhal­tig­keits­ma­nage­ment ist aber auch die Organi­sa­tion der Abläufe und der Einbe­zug von Nachhal­tig­keits­aspek­ten in den Krite­ri­en­ka­ta­log der Auftrags­ver­gabe an die Liefe­ran­ten. Im Rahmen der Ausschrei­bungs­ver­fah­ren ist dies möglich und die Tendenz geht – wenn auch langsam – in die richtige Richtung.

Nachhal­tig­keit in Pflege­hei­men noch nicht angekom­men

Rechts­de­pe­sche: Ein Wort zu den Pflege­hei­men: Haben Sie in diesen Bereich auch Einsich­ten?

Roland Fehrin­ger: Ich weiß nicht genau, wie viele Pflege­heime die Nachhal­tig­keits­the­men tatsäch­lich angehen und umset­zen. Vom Bauch­ge­fühl her würde ich schät­zen, dass das Thema Nachhal­tig­keit dort noch nicht richtig angekom­men ist. Ich glaube, dass gerade im Pflege­be­reich die Geldnot ein großes Thema ist. Die Inves­ti­ti­ons­kos­ten für den Mehrweg-Textil-Einkauf stellen da mögli­cher­weise eine Hürde dar.

Aber, und das darf nicht ausge­klam­mert oder verges­sen werden, die Kosten müssen ganzheit­lich kalku­liert werden. Das heißt vom Einkauf über die Nutzungs­dauer bis hin zur Verwer­tung sollten alle Positio­nen in Euro und Cent darge­stellt werden.

Wird dabei berück­sich­tigt, dass ein Mehrweg-Textil ca. 70-mal verwen­det werden kann und die Aufwände für die Lager­hal­tung sowie die Abfall­ent­sor­gung drastisch reduziert werden, so rechnen sich auch im Pflege­be­reich die höheren Einstands­kos­ten für Mehrweg-Texti­lien.

Umwelt­schutz in Gesetz­ge­bung angekom­men

Rechts­de­pe­sche: Der Umwelt­schutz ist längst in der Gesetz­ge­bung angekom­men – auch für das Gesund­heits­we­sen. In Deutsch­land gebie­tet beispiels­weise das Kreis­lauf­wirt­schafts­ge­setz den Kranken­häu­sern und Pflege­hei­men die umwelt­ver­träg­li­che Bewirt­schaf­tung. Setzen die Einrich­tun­gen die gesetz­li­chen Gebote auch um?

Roland Fehrin­ger: Was heißt denn Kreis­lauf­wirt­schaft eigent­lich? Kreis­lauf­wirt­schaft heißt einer­seits die Produkte so zu gestal­ten, dass sie wieder­ver­wend­bar sind, dass sie recycling­fä­hig sind. Da ist man natür­lich mit Einweg­pro­duk­ten auf dem Holzweg. Und gerne noch einmal der Hinweis: in Deutsch­land werden nur 20 Prozent der OP-Texti­lien als Mehrweg­ar­ti­kel einge­setzt.

Meine Kontakte zu den Wäsche­reien belegen, dass sich an diesem Verhält­nis in den letzten zehn Jahren nicht viel verän­dert hat. Hier ist es seither zu keiner Steige­rung von Mehrweg­pro­duk­ten gekom­men, obwohl das Kreis­lauf­wirt­schafts­ge­setz dies vorgibt. Wenngleich das Mehrweg-Textil gegen­über dem Einweg-Textil eine deutlich bessere Umwelt­bi­lanz aufweist, werden diese von den verant­wort­li­chen Perso­nen zu wenig nachge­fragt.

Es gibt in Deutsch­land weder keine Verpflich­tung für den Einsatz von Mehrweg­pro­duk­ten oder eine Pönali­sie­rung des Einsat­zes von Einweg­pro­duk­ten, aber im Sinne der Ressour­cen­scho­nung sollte sich das Verhält­nis von Einweg zu Mehrweg drehen.

Schulun­gen für alle Mitar­bei­ter

Rechts­de­pe­sche: Wo sehen Sie Verbes­se­rungs­be­darf?

Roland Fehrin­ger: Die Mitar­bei­ten­den müssen durch Schulun­gen sensi­bi­li­siert werden. Das Pflege­per­so­nal, die Ärzte, das Manage­ment und der Einkauf müssen wissen, wo die Vorteile liegen, wenn mehrere Produkte zur Auswahl stehen. Natür­lich muss ein Produkt die prakti­schen Anfor­de­run­gen des ärztli­chen und pflege­ri­schen Perso­nals erfül­len. Aber im Sinne der Nachhal­tig­keit müssen bei den Beschaf­fungs­ent­schei­dun­gen zugleich auch Krite­rien wie etwa die CO₂-Bilanz berück­sich­tigt werden.

Verge­gen­wär­tige ich mir, dass ein Mehrweg-OP-Mantel ca. 70-mal genutzt werden kann, hat dieser natür­lich einen deutlich niedri­ge­ren Carbon Footprint (die Redak­tion: CO2-Fußab­druck) als ein Mantel, der nach einma­li­gem Gebrauch wegge­wor­fen wird. In der Summe ist die Klima-Bilanz für textile Mehrweg­pro­dukte zweifels­ohne deutlich besser – trotz der Wege zu den Wäsche­reien und trotz des Wasch­mit­tel­ein­sat­zes.

Ein gutes Beispiel für die positive Klima­bi­lanz bieten die Vergleichs­stu­dien des Umwelt­bun­des­am­tes, die eindeu­tig belegen, dass die Mehrweg­fla­schen sowohl aus Glas als auch aus Polyethy­len­te­re­phtha­lat (PET) gegen­über Einweg-Plastik­fla­schen und Geträn­ke­do­sen aus ökolo­gi­scher Sicht die bessere Wahl sind.

Im Geträn­ke­be­reich sprechen wir von 15 ‑25 Wieder­be­fül­lun­gen der Gebinde, während – wie gesagt – im Bereich der Mehrweg-Texti­lien bis zu 70 Anwen­dun­gen möglich sind. Ich finde, das spricht für sich. Bezüg­lich der Nachhal­tig­keit geht es aber nicht nur um Carbon Footprint oder Umwelt­be­lange, es geht insbe­son­dere bei Texti­lien auch um soziale Belange, da kommen wir dann in den Bereich des heiß disku­tier­ten Liefer­ket­ten­ge­set­zes.

Regio­nal einkau­fen

Rechts­de­pe­sche: Stich­wort Liefer­kette. Das Krite­rium der „Steue­rung der Liefer­ket­ten“ stellt mittler­weile für die Einkäu­fer von Gesund­heits­ein­rich­tun­gen eine echte Heraus­for­de­rung dar. Woran können sich die Verant­wort­li­chen orien­tie­ren?

Roland Fehrin­ger: Das Liefer­ket­ten­ge­setz verpflich­tet die Verant­wort­li­chen von Gesund­heits­ein­rich­tun­gen entlang der gesam­ten Liefer­kette genau auf die Herkunft der anzuschaf­fen­den Produkte zu achten. Zu den Kernele­men­ten der neuen unter­neh­me­ri­schen Sorgfalts­pflich­ten gehört die Einrich­tung eines Risiko­ma­nage­ments, um die Risiken von Menschen­rechts­ver­let­zun­gen und Umwelt­schä­di­gun­gen zu identi­fi­zie­ren.

Hier kann eine einfa­che Gleichung aufge­stellt werden. Kaufe ich regio­nal ein, besteht eine hohe Wahrschein­lich­keit, dass die Produkte dem Liefer­ket­ten­ge­setz entspre­chen. In Mittel­eu­ropa kann davon ausge­gan­gen werden, dass die hier ansäs­si­gen Betriebe genau die gebote­nen Menschen­rechts- und Umwelt­stan­dards, sowie die sozia­len Rechts­po­si­tio­nen einhal­ten.

Einweg­tex­ti­lien werden meist in Asien statt in Europa aus Polyethy­len auf Rohöl­ba­sis herge­stellt. Da wird es dann für das einzelne Kranken­haus oder die Pflege­ein­rich­tung schwie­ri­ger zu durch­fors­ten, wo kommen die Produkte denn eigent­lich her?

Die regio­nale Beschaf­fung ist deshalb eindeu­tig zu bevor­zu­gen. Hier besteht die beste Aussicht, die Forde­run­gen des Liefer­ket­ten­ge­set­zes einzu­hal­ten.

Auch Mehrweg­pro­dukte werden für Energie­ge­winn genutzt

Rechts­de­pe­sche: Die Vertrei­ber von Einweg-Texti­lien tragen vor, dass auch ihre Produkte einen positi­ven Beitrag zur Ökobi­lanz liefern würden. Die Verbren­nung nach dem Gebrauch des Einweg-Textils soll einen energe­ti­schen Beitrag in der Fernwärme liefern. Wie stehen Sie zu diesem Argument?

Roland Fehrin­ger: Dieses Argument ist absurd. Jedes Produkt, das am Ende seiner Lebens­dauer in einer Verbren­nungs­an­lage mit Fernwär­me­an­schluss verbrannt wird, liefert einen Beitrag zur energe­ti­schen Versor­gung. Aber wenn ich einen Brenn­stoff haben möchte, dann gehe ich nicht in den OP und beschaffe mir dort den Abfall, sondern gehe in den Baustoff­han­del.

Und natür­lich können auch die Mehrweg­pro­dukte am Ende ihres Lebens­zy­klus thermisch verwer­tet und für den Energie­ge­winn genutzt werden. Es ist jeden­falls kein schla­gen­des Argument für oder gegen ein Produkt, wenn ich es nach seiner Nutzung verbren­nen kann und damit einen positi­ven Beitrag für die Fernwärme erzeuge.

Viel wichti­ger ist das Schlie­ßen von Kreis­läu­fen, also die stoff­li­che Verwer­tung und auch hier gibt es ein Vorzei­ge­pro­jekt in Öster­reich, das aus gebrauch­ten Haushalts- und Beklei­dungs­tex­ti­lien wieder neue Visco­se­fa­sern für die Textil­in­dus­trie gewinnt.

Mehrweg­pro­dukte gegen­über Einweg­pro­duk­ten im Vorteil

Rechts­de­pe­sche: Wie schla­gen die ökolo­gi­schen Aspekte in der Ökono­mie einer Gesund­heits­ein­rich­tung nieder. Muss die „Nachhal­tig­keit“ teuer einge­kauft werden?

Roland Fehrin­ger: Nein. Die gesam­ten Kosten, die im Lebens­zy­klus eines Produk­tes anfal­len müssen betrach­tet werden, im engli­schen nennt sich das „Total Cost of Owner­ship“. Werden alle direk­ten und indirek­ten Kosten in die Kalku­la­tion einbe­zo­gen, dann sind die Mehrweg­pro­dukte gegen­über Einweg­pro­duk­ten klar im Vorteil.

Im Einkauf schla­gen zwar zunächst höhere Inves­ti­tio­nen zu Buche, die sich dann aber zum Beispiel schnell durch Einspa­run­gen in der Abfall­wirt­schaft gegen­rech­nen lassen. Es gibt einfach viel weniger Abfall, der entsorgt werden muss. Im Sinne des Klima­schut­zes wurde von der Stadt Wien 1998 das Programm ÖkoKauf Wien ins Leben gerufen.

Ziel ist es, den Einkauf von Waren, Produk­ten und Dienst­leis­tun­gen in allen Berei­chen der Stadt­ver­wal­tung stärker nach nachhal­ti­gen Gesichts­punk­ten auszu­rich­ten. Das Wiener Projekt belegt eindrucks­voll, dass ökolo­gi­scher Einkauf die Kosten reduzie­ren kann. Mit anderen Worten: Nachhal­tig­keit muss nicht teuer einge­kauft werden. Im Gegen­teil: sie bringt Kosten­vor­teile! Und eines muss schon gesagt werden: gehen wir mit unserem Klima weiter so um, wie derzeit, werden uns die Klima­fol­ge­kos­ten auffres­sen.

Deshalb müssen wir jetzt schauen, dass die Materia­lien im Kreis­lauf geführt werden. Wir müssen Mehrweg­pro­dukte verwen­den und darauf achten, dass wir den Energie­ver­brauch für alle mögli­chen Prozesse senken. Das Argument, dass jetzt ein Einweg­pro­dukt im Einkauf viel billi­ger ist, ist sehr kurz gedacht.

Rechts­de­pe­sche: Das heißt, die einzelne Einrich­tung ist auch dazu aufge­for­dert, die Gesamt­heit zu unter­stüt­zen?

Roland Fehrin­ger: Ja! Und das zahlt sich am Ende für die einzelne Einrich­tung auch aus. Der positive Effekt ist, man schützt dadurch auch die Umwelt, die Natur und das Klima.

Rechts­de­pe­sche: Sehr geehr­ter Herr Fehrin­ger, besten Dank für dieses aufschluss­rei­che Gespäch.