Ein 9‑jähriger Junge hatte Schwierigkeiten bei der Nasenatmung. Aus diesem Grund sollte bei ihm eine sogenannte Laserconchotomie durchgeführt werden. Hierbei handelt es sich um eine Verkleinerung der Nasenmuschel.
Einige Tage vor der Operation besprach der behandelnde HNO-Arzt die Einzelheiten des Eingriffs mit dem Vater des Jungen. Das Problem: Der Vater konnte nicht lesen und verstand zudem nur schlecht deutsch. Entsprechend verstand er die Einzelheiten der ärztlichen Aufklärung nicht.
Der Arzt reichte ihm zusätzlich ein Formular zur Narkoseaufklärung. Allerdings hatte dieses keinerlei Informationen zur postoperativen Überwachung des Jungen enthalten – diese Erwies sich später als mangelhaft. Trotz Verständnisschwierigkeiten unterschrieb der Vater die Einverständniserklärung zur Operation.
Operation verlief ohne Komplikationen
Am Tag der Operation wurde der Junge erneut von seinem Vater in die Praxis des HNO-Arztes begleitet. Der Eingriff an sich verlief ohne Komplikationen. Im Anschluss wurde der Junge in einen Aufwachraum gebracht, da er zuvor narkotisiert worden war. Der operierende Arzt überzeugte sich kurz von einer ausreichenden Atmung und führte im Anschluss direkt die nächste Operation durch.
In den folgenden Minuten wurde der junge nur gelegentlich von einer Arzthelferin überwacht. Eine dauerhafte Aufsicht fand jedoch nicht statt.
Der Vater des Jungen zeigte sich zunehmende besorgt darüber, dass sein Sohn nicht aufwache. Eine ernsthafte Reaktion der baufsichtigenden Arzthelferin folgte allerdings nicht – mit fatalen Folgen.
Blutung verstopfte Atemwege
In der Nasenmuschel des Jungen hatte sich nach der OP eine Blutung gebildet, die die Atemwege verstopfte. Da der Junge nach wie vor narkotisiert war, hatte er keinen Hustenreflex, der die Atemwege hätte befreien könnten. Es kam zum Atemstillstand.
Erst als der Arzt den nächsten Patienten in den Aufwachraum brachte, bemerkte er, dass der Junge nicht mehr atmete. Sofort unternahm er eine Reanimation und konnte den Jungen tatsächlich wiederbeleben. Allerdings war er immer noch bewusstlos.
Der Junge wurde unter Beatmung in ein Krankenhaus gebracht. Dort konnten schwere Hirnschäden aufgrund des Sauerstoffmangels festgestellt werden. Eine Woche nach dem Vorfall trat der Hirntod des Jungen ein.
Körperverletzung mit Todesfolge: Arzt zu Geldstrafe verurteilt
Der HNO-Arzt musste sich schließlich vor Gericht für seine Fehler verantworten. Der Bundesgerichtshof bestätigte nun das Urteil des LG Hamburg. Der Arzt wurde wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 440 Euro verurteilt. Wegen der Überlänge des Verfahrens musste der Arzt als Entschädigung allerdings nichts zahlen.
Das Gericht in der Vorinstanz stellte fest, dass der Junge bei Einhaltung der ärztlichen Standards nicht gestorben wäre. Der Arzt hätte die Sauerstoffsättigung des Blutes nach dem Eingriff durch ein Pulsoxymeter ununterbrochen kontrollieren müssen.
Außerdem hätte die Atmung des Jungen konstant durch geschultes Peronsal überwacht werden müssen. Alle genannten Vorkehrungen wurden in der Praxis des Arztes unterlassen.
Der Arzt beging gemäß § 227 StGB eine Körperverletzung mit Todesfolge. Ärztliche Operationen stellen immer auch eine vorsätzliche Körperverletzung dar. Der Tatbestand wird nur dann rechtfertigend aufgelöst, wenn er schulmedizinisch indiziert ist und eine Einwilligung des Patienten vorliegt.
Im vorliegenden Fall blieb der Tatbestand der Körperverletzung jedoch erhalten, weil die Behandlung eben nicht den ärztlichen Standards entsprach und die Fahrlässigkeit (§ 18 StGB) des Arztes um Tod des Jungen führte.
Odysee vor Gericht dauert 17 Jahre
Die Odysee vor Gericht begann 2007. Das Ermittlungsverfahren wurde im April eingeleitet und ein Jahr später eingestellt, weil die Staatsanwaltschaft nicht genügenden Anlass für eine Klage sah.
Nach einer Strafanzeige wurde das Verfahren im Jahr 2011 erneut aufgenommen. Gegen eine Gelszahlung von 5.000 Euro wurde es gemäß § 153a Abs. 1 StPO wieder eingestellt.
Zur Anklage im Vorliegenden Fall kam es erst 2021, nach dem die Eltern des Jungen zwei Mal vor dem OLG Hamburg mit einem Klageerzwingungsverfahren gescheitert waren. Das Bundesverfassungsgericht hatte die beiden Entscheidungen des OLG aufgehoben.
Quelle: BGH 18. Juni 2024 – 5 StR 67/24