Einige langjährige Besucher könnten beim diesjährigen Motto des Kongresses durchaus ein Déjà-vu-Erlebnis gehabt haben.
„Wir hatten tatsächlich vor zehn Jahren schon mal den Kongress unter diesem Thema durchgeführt – damals war der Expertenstandard zur Mobilität gerade erstmals veröffentlicht worden. Heute ist das Thema aktueller denn je“, stimmte Kongress-Initiator Prof. Dr. Volker Großkopf die rund 300 Gäste im Ostermann-Saal des Kölner Veranstaltungszentrums Sartory auf die 17. Auflage der „Pflegefortbildung des Westens“ (JHC) ein.
Diesmal lautete „Mein (das) Recht auf Mobilität“ das Motto der Veranstaltung – genau wie schon 2014.
„Wir sind heute hier, um zu zeigen, wie Mobilitätskonzepte in den Einrichtungen umgesetzt werden können“, versprach Markus Taddicken, Geschäftsführer der Bezirksverwaltung Bochum der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW). Mobilitätsförderung wirke manchmal Wunder – das weiß auch Kai-Uwe Buschina, stellvertretender Pflegedirektor des Universitätsklinikums Köln als weiterer Co-Gastgeber, aus seiner täglichen Arbeit zu berichten.
„Zur Corona-Zeit hatten wir einmal langzeitbeatmete Patienten mobilisiert. In dem Moment, als sie in den Stand kamen, machten sie die Augen auf!“
Vor erneut gut gefüllter Kulisse ist in Köln der frühjährliche Kongress von G&S‑Verlag und den PWG-Seminaren über die Bühne gegangen. 2008 fand die Veranstaltung erstmals zunächst als „JuraHealth Congress“ statt, seit der Neukonzeption im Jahr 2019 firmiert er unter dem Namen „Pflegefortbildung des Westens“, wobei das alte Kürzel JHC erhalten blieb.
Neben dem ganztägigen Hauptprogramm unter Moderation von Randolf Mäser, in der die Referentinnen und Referenten das Thema Mobilisierung aus der pflegerischen, medizinischen, juristischen und ökonomischen Perspektive betrachteten, bot die BGW ihr praxisorientiertes Satellitensymposium „Patientenmobilität ermöglichen – Präventive Aspekte für die Pflegefachpersonen“ an; zudem gab es in allen Fluren und Foyers des Kölner Sartory eine begleitende Industrieausstellung mit vielen Eindrücken und Möglichkeiten zum Ausprobieren.
Mobilitätsförderung braucht stärkere Anreize
„Wenn sich der Patient den Oberschenkelhals bricht, versuchen die Kassen, ihr Geld zurückzubekommen, denn sie sagen, Sie haben einen Fehler gemacht“, warnte Prof. Dr. Großkopf bei seinem Vortrag „Habe ich einen rechtlichen Anspruch auf mobilitätsfördernde Maßnahmen?“.
Der Sturz könne schließlich eine unzureichende Patienten-Mobilität als Mit-Ursache gehabt haben. Allgemein sei es aber schwierig, einen Schadensersatz-Anspruch als Patient durchzusetzen, denn hierfür brauche es neben dem eingetretenen Schaden eine nachgewiesene Sorgfaltspflicht-Verletzung, auch ein Verschulden müsse er nachweisen – sowie den ursächlichen Zusammenhang dieser Faktoren mit dem Schaden. „Man würde in solch einem Fall auf einen Sachverständigen zurückgreifen, der dann wiederum die Doku heranzieht“, so Großkopf.
Wenn diese gepflegt sei, habe man gute Karten. Es gelte jedoch seitens Politik und Expertenverbänden, die Mobilitätsförderung stärker im Vergütungssystem zu berücksichtigen. „Im Hotel gibt es keinen medizinischen Dienst, der kontrolliert, ob die Betten gemacht wurden oder ähnliches. Denn im Zweifelsfall zahlt der Gast einfach nicht! Oder nehmen wir die Bahn, die inzwischen Milliardenbeiträge als Rückvergütung für Verspätungen zahlt. – Und das ist genau die Crux im Gesundheitswesen.“
Wer Patienten oder Bewohner in Bewegung bringen wolle, braucht manchmal Überzeugungskraft. Dies skizzierte Andrea Schiff, Professorin für Pflegewissenschaft an der Katholischen Hochschule (KatHO) NRW, Abteilung Köln, in ihrem Referat. Anhand einer Fallvignette, in der eine Betreuerin eine zunächst unwillige Bewohnerin mit Verweis auf den gesundheitlichen Nutzen zum Spaziergang motiviert, zeigte sie ein beispielhaftes Vorgehen. „Mobilität ist eine existenzielle Erfahrung und Leiberfahrung. Sie hängt mit unserer körperlich-seelischen Verfasstheit zusammen.“
Wenn die Baustelle vor der Einrichtung zur Bewohner-Attraktion wird …
Senioren in Einrichtungen würden oft, weil sie in ihrem Bewegungsverlangen unterschätzt würden, immobil gehalten, weiß die emeritierte Pflegewissenschaftlerin Prof. Dr. Angelika Zegelin, wie sie in „Ortsfixierung – Ein Phänomen mangelnder Mobilisation?“ ausführte. „Wenn ich das ganze Zeug in den Einrichtungen sehe – Bingo, Sitztanz, Gedächtnistraining –, da wird mir schlecht. Ich will Bewegung, raus in die Natur“, versetzte sie sich in die Lage der Betreuten. „Die Leute wollen bewegt werden, aber sie bewegen sich nur zielgerichtet, intentional.“ In ihrer Einrichtung habe sie beobachtet, wie sich die Bewohner in Dreierreihen vor der Tür versammelten, um die Bauarbeiten an einem Nachbargebäude anzuschauen – „weil endlich mal was passiert.“
Dass Mobilität jedoch nicht nur aus Bewohner- und gesundheitlicher Sicht lohnenswert ist, sondern hilft, Geld zu sparen und pflegerische Ressourcen zu schonen, führte Rechtsanwalt und Pflegeberater Markus C. Blaeser in „Ist Bewohnermobilität finanzierbar?“ aus. Darin berichtete er von einem Modellprojekt in der dänischen Kommune Jammerbugt, die auf ein digital gestützte Reha-Programm setzte.
„Die 74 Teilnehmer, die das Programm zu Ende brachten, benötigten 78 bis 93 Stunden weniger pflegerische Hilfs als ohne Training, was insgesamt 8,4 Pflege-Vollzeitstellen entspricht. Es gibt also einen unstreitigen Mehrwert bei der Integration von Mobilität in die Kernprozesse der Pflege.“ Es gelte jedoch, die Betreuung mit Physio- und Ergotherapie zu verzahnen sowie im Abrechnungssystem mitzuvergüten.
Clevere Abstellhilfen für Gehstöcke holen Sieg bei Innovationsforum
Bei der sechsten Auflage des Innovationsforums, das zur Premiere der „Pflegefortbildung des Westens“ im Jahr 2019 erstmals veranstaltet wurde, begeisterte das Team der Steets GmbH mit ihrem Abstellhilfen für Gehstöcke das Publikum: Mit dem von ihnen entwickelten ausklappbaren, vierbeinigen Stativ lassen sich medizinische Gehhilfen sicher aufrecht abstellen, ohne dass diese umfallen; somit werden lästige – oder je nach körperlicher Verfassung sogar gefährliche – Aufhebe-Versuche und Bück-Aktionen vermieden.
Mit 71 Stimmen beim Publikums-Votum setzten sich die beiden jungen Gründer klar an die Spitze unter den elf Bewerberfirmen, vor „Veli Medicare“ auf dem zweiten Platz mit 51 Stimmen, die ein auf Strom- und Wasser-Verbrauchsdaten basierendes Hausnotruf-System vorstellten, sowie dem drittplatzierten Team des Clementshospital Raphaelsklinik aus Münster, das – sehr passend zum diesjährigen Kongressmotto – sein Konzept zum Erwerb von Bewegungskompetenz vorstellte (34 Stimmen).
„Damit hätten wir nie gerechnet“, so die beiden Gründer der Steets GmbH, Thorben Engel und Phil Janßen, aus dem ostwestfälischen Paderborn in Reaktion auf den Titelgewinn. „Wir freuen uns, möglichst viele Nutzer mit dem Gerät auszustatten.“ Nicht einmal 50 Euro, blickten die beiden voraus, würde ein Set der Steets kosten.
Nachdem in den vorangegangenen Innovationsforen eher App‑, KI- und E‑Learning-Systeme das Rennen gemacht hatten – so wie die Quiz-App „Supernurse“ zur spielerischen Aneignung von Pflegewissen (2019), die Smartphone-gestützte Sturzprävention der Lindera GmbH (2020), das auf internationale Pflegekräfte zugeschnittene Deutschkurs-Angebot der Bildungsprofis gGmbH (2021), die KI-gestützte Dienstplanungs-Software von PlanHero (2022) und das Patient-Monitoring-System zur Sturzprophylaxe der QUMEA AG (2023) –, ist diesmal also eine „analoge“, im wahrsten Sinne des Wortes greifbare Innovation zum Sieger gekürt worden!
Auch im Frühjahr 2025 ist die Pflegefortbildung des Westens in den Kölner Sartory-Sälen geplant; ein genauer Termin und das Kongressmotto werden noch bekanntgegeben. Zuvor, am Donnerstag, 28. November 2024, trifft am gleichen Ort der Interdisziplinäre WundCongress (IWC) zusammen, ebenfalls organisiert von PWG-Seminaren und G&S‑Verlag. „Gesundheit gestalten und Wunden heilen – Gemeinsam, zukunftsorientiert, leistungsstark“ lautet dann das Thema.