Proteinaggregate, die toxisch auf Zellen wirken.
Mittels Kryoelek­tro­nen­to­mo­gra­phie wurde eine hochauf­lö­sende 3D-Struk­tur der Hunting­tin-Aggre­gate erstellt. Hinter­grund: Rohda­ten, Vorder­grund: 3D-Visua­li­sie­rung Bild: MPI für Bioche­mie

Wild wuchern­des Unkraut – der Alptraum eines jeden Gärtners. Beschnei­den, Stutzen, Mähen. Eine gründ­li­che Garten­pflege ist nötig. Wird diese vernach­läs­sigt, nimmt das Unkraut Überhand und unter­drückt das Wachs­tum der Nutz- und Zierpflan­zen. In unserem Körper läuft es auf Prote­in­ebene ähnlich: Moleku­lare Maschi­nen, große Prote­in­kom­plexe, die in Zellen lebens­wich­tige Prozesse steuern, überneh­men die Funktion eines Gärtners: Sie bringen Prote­ine in die richtige Form und hegen und pflegen diese.

Auf die richtige Form kommt es an

Damit Prote­ine ihre Funktion erfül­len können, müssen sie die korrekte dreidi­men­sio­nale Struk­tur haben. Die Bausteine der Prote­ine, die Amino­säu­ren, sind in einer langen Kette anein­an­der­ge­reiht und werden in eine komplexe Faltung gebracht. Ist die entstan­dene Anord­nung fehler­haft, werden die defek­ten Prote­ine in einem streng regulier­ten Prozess abgebaut. Geschieht dies nicht, können sie verklum­pen und Ablage­run­gen bilden. Die unlös­li­chen Prote­in­ag­gre­gate wirken toxisch auf Zellen. Das Gehirn von Patien­ten mit neuro­de­ge­nera­tive Krank­hei­ten wie Alzhei­mer, Parkin­son oder Hunting­ton weist häufig solche Aggre­gate auf.

Ob und wie genau diese Aggre­gate Nerven­zel­len schädi­gen, ist bisher ungeklärt. Dieser Frage gehen Exper­ten des ToPAG (Toxic Protein AGgre­ga­tion in neuro­de­ge­nera­tion) Konsor­ti­ums, Wissen­schaft­ler am Max-Planck-Insti­tut für Bioche­mie, nach. Ein detail­lier­ter Einblick in die dreidi­men­sio­nale Struk­tur der Prote­in­ag­gre­gate soll den Forschern helfen, das Rätsel zu lösen. Ein Team von Wissen­schaft­lern der Abtei­lun­gen von Wolfgang Baumeis­ter, Ulrich Hartl und Rüdiger Klein konnte eine hochauf­lö­sende 3D-Struk­tur der Prote­in­ag­gre­gate, die mit der Hunting­ton-Krank­heit assozi­iert sind, inner­halb ihrer intak­ten zellu­lä­ren Umgebung entschlüs­seln.

Eiskalt unter die Lupe genom­men

Möglich war dies durch eine neuar­tige Technik in der Struk­tur­for­schung, der Kryo-Elektro­nen­to­mo­gra­phie. Dabei werden Zellen blitz­ar­tig einge­fro­ren und am Elektro­nen­mi­kro­skop zweidi­men­sio­nale Aufnah­men aus verschie­de­nen Winkeln erstellt. Die Forscher können die entstan­de­nen Bilder dann – wie Teile eines 3D-Puzzles – am Compu­ter zu einem hochauf­ge­lös­ten Modell zusam­men­set­zen. „Mit dieser Methode können wir eine Moment­auf­nahme der Struk­tur von Prote­inen in intak­ten Zellen erstel­len und analy­sie­ren, mit welchen anderen Zellbe­stand­tei­len diese Prote­ine inter­agie­ren“, erklärt Rubén Fernán­dez-Busna­diego, Koordi­na­tor der Studie, die Beson­der­hei­ten dieser Technik.

Als die Wissen­schaft­ler Nerven­zel­len mit Prote­in­ab­la­ge­run­gen unter die Lupe nahmen, fanden sie Einschluss­kör­per, bestehend aus verkleb­ten, faser­ar­ti­gen Bündeln des Hunting­tin-Prote­ins (Fibril­len). Bei Patien­ten, die von der Hunting­ton-Krank­heit betrof­fen sind, ist dieses Protein aufgrund einer Verän­de­rung eines einzel­nen Gens fehler­haft: Die DNA, die Bauan­lei­tung der Prote­ine, enthält anein­an­der­ge­reiht mehrfa­che Kopien einer bestimm­ten Sequenz. Im ferti­gen Protein wird deswe­gen vermehrt der Prote­in­bau­stein Glutamin an das Ende angehef­tet. Die fehler­haf­ten Hunting­tin-Prote­ine sind dadurch beson­ders klebrig und verklum­pen leicht zu unlös­li­chen Knäueln. Mit der Zeit lagern sich immer mehr solcher Prote­in­ag­gre­gate ab“, erklärt Felix Bäuer­lein, Erstau­tor der Studie.

Bishe­rige Thera­pien behan­deln nur die Symptome neuro­de­ge­nera­ti­ver Erkran­kun­gen, eine Heilung der Patien­ten ist noch nicht möglich. „Mithilfe der Struk­tur der Prote­in­ag­gre­gate wollen wir die toxische Wirkung auf Nerven­zel­len besser verste­hen. Auf dieser Grund­lage erhof­fen wir uns, in Zukunft neuar­tige Behand­lungs­an­sätze zu finden“, gibt sich der Koordi­na­tor der Studie, Rubén Fernán­dez-Busna­diego, optimis­tisch.