
Nahrungsergänzungsmittel und ihre „gesundheitsfördernde“ Wirkung
Nahrungsergänzungsmittel sind beliebt bei den Deutschen. Über 75 Prozent der Menschen im Land nutzen sie. Am häufigsten greifen die Verbraucherinnen und Verbraucher zu Vitaminen und Mineralien. Aber auch pflanzliche Ernährungsmittel werden gern konsumiert. Das zeigen Daten von Statista Consumer Insights.
Vor allem die gesundheitsfördernde Wirkung der Mittelchen scheint die Leute zu überzeugen – dabei ist die oft nicht so klar, wie die Werbung gern vermuten lässt. Das hat jüngst auch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshof gezeigt, die Auswirkungen auf den gesamten Markt haben dürfte.
Konkret geht es um den deutschen Nahrungsergänzungsmittel-Hersteller Novel Nutriology. Dieser hat auf seiner Webseite mit folgenden Worten für ein Safran- und Melonensaft-Extrakt geworben:
- „stimmungsaufhellendes Safranextrakt.“
- „Das Safran-Extrakt Safr’Inside in [dem betreffenden Produkt] wurde an 50 Teilnehmern über einen Zeitraum von 30 Tagen in einer Open Study getestet. Mit einer Dosis von 30 mg Safr’Inside pro Tag erlebten 77 % der Probanden nach nur zwei Wochen Einnahme eine Verbesserung des emotionalen Gleichgewichts, fühlten sich optimistischer und glücklicher. 66 % fühlten sich auch entspannter und dynamischer. Nach 30 Tagen verbesserte sich bei 11 % der Probanden die Schlafqualität.“
- „Melonensaft-Extrakt mit Superoxid-Dismutase-Aktivität hat in Studien unter Beweis gestellt, dass nach vier Wochen Stressgefühle und Erschöpfung abnahmen. Außerdem wurde die Reizbarkeit und Erschöpfung um 63 % reduziert, was zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität führte.“
EU-Vorgaben regeln Wettbewerb
Dem Verband Sozialer Wettbewerb – er setzt sich für einen fairen Wettbewerb in der Wirtschaft ein – haben diese Werbesprüche überhaupt nicht gepasst. Sie würden gegen die sogenannte Health-Claims-Verordnung der EU verstoßen. In dieser heißt es:
Art. 10 der Verordnung Nr. 1924/2006
(1) Gesundheitsbezogene Angaben sind verboten, sofern sie nicht den allgemeinen Anforderungen in Kapitel II und den speziellen Anforderungen im vorliegenden Kapitel entsprechen, gemäß dieser Verordnung zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Artikeln 13 und 14 aufgenommen sind.
[…]
(3) Verweise auf allgemeine, nichtspezifische Vorteile des Nährstoffs oder Lebensmittels für die Gesundheit im Allgemeinen oder das gesundheitsbezogene Wohlbefinden sind nur zulässig, wenn ihnen eine in einer der Listen nach Artikel 13 oder 14 enthaltene spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist.
Demnach führt die EU eine Liste mit wissenschaftlich belegten gesundheitsbezogenen Aussagen für Lebens- und Nahrungsergänzungsmittel, die in einer Werbung getätigt werden dürfen. Kommt eine Aussage über ein Nahrungsergänzungsmittel so nicht in dieser Liste vor, darf sie auch nicht in einer Werbung genutzt werden.
Nach Meinung des Wettbewerbsverbands hat sich Novel Nutriology daran allerdings nicht gehalten und forderte das Unternehmen zu einer Unterlassung der Werbung auf. Dem kam der Nahrungsergänzungsmittel-Hersteller nicht nach, weshalb die Sache vor Gericht landete.
Nun musste der Europäische Gerichtshof entscheiden, inwieweit die EU-Vorgaben auch für sogenannte „Botanicals“ also pflanzliche Stoffe gelten, wie sie von Novel Nutriology vertrieben werden. Die Situation gestaltet sich kompliziert.
Werbeverbot für „Botanicals“?
Der Gerichtshof konnte feststellen, dass die zuständige Kommission tatsächlich noch keine abschließende Bewertung zu gesundheitsbezogenen Angaben über pflanzliche Stoffe vorgenommen hat. Entsprechend gibt es zu diesen Stoffen auch noch keine Liste mit erlaubten Werbeaussagen.
Die EU sieht eigentlich vor, dass vor Inkrafttreten der Health-Claims-Verordnung rechtmäßig genutzte Aussagen, für die noch keine neue Bewertung vorgenommen wurde, von den Unternehmen weiterverwendet werden dürfen. Allerdings nur, wenn die Unternehmen entsprechende Anträge zur Prüfung eingereicht hatten.
Weil Novel Nutriology für das Safran-Extrakt nur einen verspäteten und für das Melonensaft-Extrakt überhaupt keinen Antrag eingereicht hatte, kann das Unternehmen von dieser Regelung auch nicht profitieren.
Die Werbeaussagen zu den gesundheitsfördernden Effekten des Safran‑, Melonensaft-Extrakt sind also nicht zulässig, solange die Kommission ihre Bewertung nicht final abgeschlossen hat. Das gilt auch für andere pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel.
Gesundheitsbezogene Angaben zu Lebensmitteln – auch zu Nahrungsergänzungsmitteln mit pflanzlichen Stoffen (Botanicals) – sind grundsätzlich verboten, wenn sie nicht gemäß Art. 13 und 14 der EU-Verordnung Nr. 1924/2006 zugelassen und in die entsprechenden Listen aufgenommen wurden.
Wissenschaftlichkeit ist entscheidend
Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs handelt es sich bei den Werbeaussagen zum Safran und Melonensaft-Extrakt um gesundheitsbezogene Aussagen, die psychische Funktionen und Verhaltensfunktionen beschreiben, für die besondere Anforderungen gelten, um in die EU-Liste aufgenommen zu werden.
So müssen sie sich auf allgemeine anerkannte wissenschaftliche Nachweise stützen und von dem durchschnittlichen Verbraucher richtig verstanden werden. Sonst bestehe die Gefahr, dass Nahrungsergänzungsmittel und pflanzliche Arzneimittel vertauscht werden könnten.
Entscheidend sei laut Gericht, die irreführende Angaben zu unterbinden und die Gesundheit der Verbraucher zu schützen. Sie sollen sich darauf verlassen können, dass die im Handel befindlichen Produkte sicher sind und eine angemessene Kennzeichnung aufweisen.
Quelle: EuGH – C‑286/23