„Licht ist da am Ende des Tunnels – ich weiß nur noch nicht, wie lang der Tunnel ist…“, resümierte Andreas Westerfellhaus angesichts der Coronapandemie und der langsam anrollenden Impfkampagne. Doch noch sei die Mitarbeit der Bevölkerung vonnöten, das Virus einzuhegen und einer Verbreitung der ansteckenderen, möglicherweise auch tödlicheren aus Großbritannien stammenden Corona-Mutation zu verhindern. „Wir brauchen 7‑Tages-Inzidenzen von unter 30 pro 100.000 Einwohnern, sonst bekommen wir die neue Corona-Variante nicht in den Griff“, ist er überzeugt.
Der langjährige Präsident des Deutschen Pflegerates und heutige Staatssekretär und Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung war zum Seminar mit rund 30 Teilnehmern aus Pflege, Ärzteschaft, Medizinrechtlern und aus dem Pflegeprodukte-Bereich per Videokonferenz-Tool bei der diesjährigen Winterakademie zugeschaltet. In seinem einstündigen Referat mit Fragerunde ging er auf die Rolle der Pflege und die sich verändernden politischen Vorzeichen im Zuge der Pandemie ein, und gab zugleich einen Ausblick auf die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens.
Keine validen Zahlen zur Impfbereitschaft beim Pflegepersonal – „Pflegende sind keine Impfverweigerer“
Energisch trat er den Meldungen aus der Presse entgegen, dass es in der Pflege eine verbreitete Impfmüdigkeit oder ‑unwilligkeit gebe. „Wir haben keine validen Zahlen über die Impfbereitschaft beim Pflegepersonal“, betonte er. „Pflegende sind keine Impfverweigerer, sondern an der einen oder anderen Stelle Skeptiker.“ Die ihm vorliegenden Studien deuteten eher auf das Gegenteil hin, etwa eine Impfbereitschaft von 78 Prozent der befragten Pfleger aus der Region Westfalen-Lippe. Allgemein sieht er durch Corona und die verstärkte Wahrnehmung der Pflegeberufe auch eine Gelegenheit, die Rahmenbedingungen zum Besseren zu wenden. „Wir haben in der Pandemie dafür gesorgt, dass wir Themen in der Pflege anders diskutieren – wovon wir vor 10 Jahren nicht einmal geträumt hätten. Insofern ist die Krise tatsächlich eine Chance.“
Die Pflege braucht eine bessere Selbstorganisation
Um tatsächlich etwas zum Positiven zu verändern, brauche man aber – entsprechend des langjährigen Credos des 64-Jährigen – eine stärkere Eigeninitiative aus der Pflege. „Die Politik schafft das alleine nicht. Wir brauchen eine starke Organisation in der Pflegebranche, da wir mit der Pflege reden müssen, nicht über sie. Aber dafür müssen die Pflegenden auch eine Institution haben, die für sie sprechen kann.“ Angesichts dessen bedaure er die Entwicklung in Niedersachsen sehr, wo die bereits gebildete Landespflegekammer derzeit nach negativem Votum der Berufsangehörigen rückabgewickelt wird. „Wenn ich nach Niedersachsen schaue, tut es mir in der Seele weh, wenn ich die Rückwärts-Entwicklung dort verfolge.“ Gerade jetzt sei es jedoch wichtig für die Pflege, als Berufsstand nachzusetzen, damit es nicht bei symbolischen Applaus-Aktionen oder einmaligen Mini-Prämien bleibe. „Ich finde nicht, dass die 150 Euro brutto aus den Tarifverhandlungen des Öffentlichen Dienstes der große Sprung sind, von denen dann vielleicht 80 netto übrig bleiben.“
Positiv dagegen verfolge er die Entwicklung des Bochumer Bundes, der ersten Spartengewerkschaft speziell für die Pflege. „Es hat etwas gedauert, bis dass der Bochumer Bund Fahrt aufgenommen hat. Aber nun ist er erster Tarifpartner für Pflegende an einigen Krankenhäusern. Das stellt Rückenwind dar, und ist sehr ermutigend.“ Dessen Forderung nach einem Einstiegsgehalt von 4.000 Euro für ausgebildete Pflegefachkräfte mache deutlich, wohin die Richtung gehen müsse. „Es stimmt schon, als Altenpfleger könnte ich mir beispielsweise nicht leisten, in München zu leben. Wenn das Geld auch nicht alles ist, muss man sich im Leben auch was leisten können, mal in Urlaub fahren. Und Weiterqualifizierungen müssen sich lohnen, auch finanziell.“ Nicht Minderqualifikation – also das großflächige Absenken der Anforderungen – sei die Lösung, sondern „die Aufgabenteilung zwischen Pflegeassistenten, examinierten Pflegenden und studierten Kräften“. Auch etwa das aus den Niederlanden stammende Buurtzorg-Konzept sei sehr vielversprechend. „Wir wissen, dass es funktioniert. Warum braucht es da nochmal aufwändige Studien?“
Neben der berufsständischen und gewerkschaftlichen Arbeit müssten sich die Pflegenden jedoch auch ihres politischen Stimmgewichts bewusst werden. „Wenn 1,4 Millionen Pflegekräfte einen Partner oder eine Partnerin haben, sind wir schon bei 2,8 Millionen Wählern. Wir haben es also in der Hand, die Debatte weiter zu befeuern.“ Die Struktur des Gesundheitswesens sehe er in Zukunft derart verändert, dass sich die Strukturen und Kompetenzen der Berufsfelder einander ergänzen und Sektorengrenzen aufgelöst sind. „Wir müssen sie zusammenführen, das braucht unser Gesundheitssystem. Politik kann nur steuern – die Kompetenzen müssen aus den Berufsgruppen kommen“, wiederholte er seinen Appell zur stärkeren Beteiligung.