Widerspruchslösung
Eine Ärztin wartet mit einem entnom­me­nen Organ auf die Übernahme durch den Trans­por­teur. Bild: Robert Kneschke/Dreamstime

Das Thema Organ­spende ist in Deutsch­land seit Jahren umstrit­ten. Immer noch sterben viele Menschen, während sie auf ein Spender­or­gan warten – 2022 waren es 743 (Quelle: BZgA).

Gleich­zei­tig stehen laut einer Umfrage der Bundes­zen­trale für gesund­heit­li­che Aufklä­rung (BZgA) 84 Prozent der Deutschen der Organ­spende positiv gegen­über, aller­dings gab es im Jahr 2022 nur 869 Organ­spen­den.

Mit einer Quote von 10,3 Spende­rin­nen und Spendern auf eine Million Einwoh­ner liegt Deutsch­land weit hinter anderen europäi­schen Ländern – in Spanien liegt die Quote beispiels­weise bei 46.

Wider­spruch statt Zustim­mung?

Die sogenannte Wider­spruchs­lö­sung, ein Vorstoß des ehema­li­gen Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ters Jens Spahn (CDU), sollte dieses Problem lösen:[1] Demnach wäre jeder Mensch in Deutsch­land automa­tisch Organ­spen­der. Wer das nicht möchte, müsste aktiv wider­spre­chen.

Diese Regelung wurde im Januar 2020 im Bundes­tag abgelehnt, steht jedoch diesen Freitag auf Initia­tive mehre­rer Länder erneut auf der Tages­ord­nung des Bundes­ra­tes.

In anderen Staat längst üblich

Im europäi­schen Raum ist die Wider­spruchs­lö­sung längst üblich, zum Beispiel in Kroatien, Belgien, Öster­reich oder Spanien.

Kriti­ker weisen darauf hin, dass die in diesen Ländern höhere Anzahl an Spendern andere Gründe hat: Spanien hat in jedem Kranken­haus ein Koordi­na­ti­ons­team, dass sich um Organ­spen­den kümmert – in Deutsch­land ist die Entnahme dagegen nur in bestimm­ten Klini­ken möglich. Außer­dem dürfen Spender­or­gane bereits nach dem Herzstill­stand entnom­men werden. Eine Einfüh­rung der Wider­spruchs­lö­sung würde nach Ansicht der Gegner also nicht notwen­di­ger­weise zu einem Anstieg der Spender­zah­len führen.

Wider­spruchs­lö­sung: Dürfen Menschen zur Entschei­dung gezwun­gen werden?

Der eklatante Wider­spruch zwischen der Tatsa­che, dass 84 Prozent aller Deutschen die Organ­spende positiv sehen, und der äußerst gerin­gen Anzahl tatsäch­li­cher Spenden deutet darauf hin, dass Menschen sich mit diesem Thema nicht aktiv beschäf­ti­gen – ob aus Desin­ter­esse oder tatsäch­li­cher Ableh­nung. Aber dürfen sie deshalb zu dieser Entschei­dung gezwun­gen werden?

Oder anders gefragt: Wiegt das Recht eines schwer erkrank­ten Menschen auf ein Spender­or­gan, dass ihm das Weiter­le­ben ermög­licht, höher als das Selbst­be­stim­mungs­recht poten­zi­el­ler Spender? Oder ist das Recht auf körper­li­che Unver­sehrt­heit gefähr­det, wenn man der Möglich­keit einer Organ­ent­nahme aktiv wider­spre­chen muss?

Diese Frage war bereits 1999 Gegen­stand mehre­rer Verfas­sungs­be­schwer­den.[2] Die damals gültige erwei­terte Zustim­mungs­lö­sung räumte die Möglich­keit ein, dass nach dem Hirntod eines Menschen dessen Angehö­rige einer Organ­ent­nahme zustim­men, wenn eine entspre­chende Erklä­rung des Verstor­be­nen fehlt. Die Beschwer­de­füh­rer hatten argumen­tiert, diese Regelung zwinge die Bürger de facto zur Abgabe einer Erklä­rung und stelle somit eine verfas­sungs­wid­rige Nötigung dar.

Das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt hatte die Beschwer­den abgewie­sen: Da die Möglich­keit zum Wider­spruch bestünde, hätten es die Beschwer­de­füh­rer „selbst in der Hand, den befürch­te­ten Grund­rechts­ver­let­zun­gen vorzu­beu­gen.“

Diese Entschei­dung spricht nach einer Stellung­nahme des Natio­na­len Ethik­ra­tes (inzwi­schen Deutscher Ethik­rat) von 2007 für die Verfas­sungs­kon­for­mi­tät der Wider­spruchs­lö­sung, „sofern sicher­ge­stellt ist, dass die Bevöl­ke­rung hinrei­chend über die Folgen eines unter­las­se­nen Wider­spruchs infor­miert ist.“

Der mit der Wider­spruchs­re­ge­lung verbun­dene Eingriff in die körper­li­che Integri­tät des Verstor­be­nen sei durch die höher­wer­ti­gen Rechts­gü­ter der Erhal­tung des Lebens und der Gesund­heit von Patien­ten gerecht­fer­tigt.

Organspendeausweis
Sollte die Bundes­tags­ent­schei­dung zuguns­ten der Wider­spruchs­lö­sung ausfal­len, könnte der Organs­spen­de­aus­weis bald Geschichte sein. Bild: Stephan Bock | Dreamstime.com

Ist die Wider­spruchs­lö­sung moralisch zwingend?

Neben verfas­sungs­recht­li­chen Abwägun­gen spielt auch das Rezipro­zi­täts­prin­zip eine Rolle: Da Deutsch­land dem Eurotrans­plant-System angeschlos­sen ist, können Menschen hier Spender­or­gane erhal­ten, die aus Ländern stammen, in denen die Wider­spruch­lö­sung bereits gilt. Es erscheint nicht unbedingt fair, diesen Austausch weiter­hin zu unglei­chen Bedin­gun­gen laufen zu lassen.

Eine Frage, die man stellen könnte, wäre auch, ob Menschen, die die Wider­spruchs­lö­sung aufgrund von unbestimm­ten Ängsten oder religiö­sen Überzeu­gun­gen ableh­nen, ein Spender­or­gan für sich selbst zurück­wei­sen würden. In der Debatte 2020 hatte auch Karl Lauter­bach (SPD), damals noch Abgeord­ne­ter, argumen­tiert: „Das was man von anderen erwar­tet, muss man selber auch tun. Alle Betei­lig­ten würden Spender­or­gane anneh­men. Dann muss man auch bereit sein, zu spenden.“

So oder so: Selbst wenn es die Wider­spruchs­lö­sung doch noch ins Gesetz schafft, wird Deutsch­land vermut­lich nie an die Spender­zah­len in Spanien heran­kom­men, da die struk­tu­rel­len Vorraus­set­zun­gen in den Klini­ken zu unter­schied­lich sind. Aller­dings könnte die Neure­ge­lung zu einem kultu­rel­len Umden­ken beitra­gen, in dem das Solida­ri­täts­prin­zip die Inter­es­sen des Einzel­nen überwiegt.

Quellen:

  1. BT-Druck­sa­chen 19/11096, 19/16214
  2. BVerfG vom 28.1.1999 – 1 BvR 2261/98; BVerfG vom 18.2.1999 – 1 BvR 2261/98