Hinweis: Nachfolgende Übersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Wesentliche Punkte
Pflegekammer kommt
Auch die zuletzt im Rahmen einer Fernsehshow geäußerte Kritik eines bekannten Berliner Komikers konnte die Koalitionsverhandler nicht umstimmen: Der Aufbau einer landeseigenen Pflegeberufekammer wird fortgesetzt. Das legt der Vertrag der neuen nordrhein-westfälischen Landesregierung nun klipp und klar fest.
Keine wirkliche Überraschung: Hierüber bestand ja bereits in den Wahlprogrammen und im Sondierungspapier weitgehend Einigkeit.
Akademisierung der Pflege
Im Bereich der Pflege strebt das designierte Regierungsbündnis eine Akademisierungsquote von bis zu 20 Prozent an. Die Zahl kommt Ihnen bekannt vor? Wahrscheinlich, weil der Wissenschaftsrat in seinen „Empfehlungen zu hochschulischen Qualifikationen für das Gesundheitswesen“ vom Juli 2012 genau diese Quote vorgeschlagen hat – also bereits vor gut 10 Jahren.
Dabei ist schon jetzt klar: Den gegenwärtigen Rückstand bei der Akademisierungsquote wird man nicht durch die seit 2020 bestehende Möglichkeit der primärqualifizierenden akademischen Ausbildung aufholen können.
Jedenfalls nicht unter den gegenwärtigen Konditionen – das primärqualifizierende Studium ist schlichtweg unattraktiv. Beispiel: Im Gegensatz zur beruflichen Ausbildung bleiben die (verpflichtenden) Praxiseinsätze der Studenten unvergütet.
Am schwersten wiegt jedoch: Es gibt bislang kaum formulierte Stellenprofile für akademisierte Pflegekräfte. Im Zweifel werden sie dann nach dem Studium mit den gleichen Aufgaben betraut, wie auch die beruflich ausgebildeten Kollegen – natürlich zum gleichen Gehalt und ohne die Möglichkeit zur Anwendung ihres speziell erworbenen Wissens!
Kurzum: Das primärqualifizierende Studium verlangt von den Betroffenen eine Menge ab und bringt schlussendlich nicht viel. Von der oft kolportierten „Aufwertung des Pflegeberufs durch Akademisierung“ kann so natürlich keine Rede sein.
Zwar will das neue Regierungsbündnis laut Koaltionsvertrag NRW das Gespräch mit den Trägern suchen, um „die Voraussetzungen dafür [zu] klären, dass sich mehr nicht-examiniertes Personal weiterqualifiziert“. Inwieweit das ausreichen soll, um die selbstgesteckten Ziele in den kommenden 5 Jahren zu erreichen, erschließt sich mir nicht.
Community Health Nurses
Die Ermöglichung einer wohnortnahen Versorgung, zum Beispiel in Form einer Versorgungsgemeinschaft im Quartier (siehe hierzu das Schwerpunktthema in der RDG-Ausgabe Mai/Juni 2022) – dieses Ziel scheint augenscheinlich vor allem dem CDU-Wahlprogramm zu entspringen.
Ein zentraler Punkt der angedachten quartiersbezogenen Versorgung soll dem Koalitionsvertrag NRW zufolge die Community Health Nurse (CHN) – eine Variante des sogenannten „Advanced Practice Nursing“ – sein.
Das Problem hieran: Dieses Berufsbild existiert in Deutschland faktisch noch gar nicht: Nur wenig Hochschulen, wie zum Beispiel die Uni Witten/Herdecke seit 2021 , bieten entsprechende Weiterqualifizierungs-Studiengänge nach internationalem Vorbild an. Und diese können allenfalls als Modellvorhaben betrachtet werden. Zuviele rechtliche Einschränkungen – hier vor allem heilberuferechtlicher Natur – stehen der vollen Entfaltung des CHN-Potenzials im Wege.
Dies scheint auch dem Regierungsbündnis bewusst zu sein. Diesen Schluss legt zumindest der folgende Passus aus dem Koalitionsvertrag NRW nahe:
Wir unterstützen eine moderne Arbeitsteilung im Gesundheitswesen und eine Aufwertung der Pflegeberufe. Dazu gehören ein Allgemeines Heilberufegesetz, die Überführung der Modellstudiengänge für die therapeutischen Heilberufe in Regelstudiengänge und ein Bundesgesetz für das Berufsbild der Community Health Nurse.
Koalitionsvertrag NRW, Seite 98
Hiernach kann vermutet werden, dass die neue Landesregierung die Modernisierung des angestaubten Heilberufegesetzes anstrebt – mit der Absicht dieses für andere (nichtärztliche) therapeutische Berufsgruppen zu öffnen. Neue Heilberufe, wie eben auch die Community Health Nurse, könnten dann einfach und ohne vorhergehendes Kompetenzgerangel gemäß Artikel 74 Absatz 1 Numer 19 GG eine Regelung per Bundesgesetz erfahren.
Undenkbar? Keinesfalls, denn auch die anderen Bundesländer stehen vor ähnlichen Problemen bei der Primärversorgung – eine entsprechende Gesetzeseingabe über den Bundesrat ist also durchaus realistisch. Wenn, ja wenn die berufsständischen Vertretungen der Medizin nicht jeden noch so kleinen Eingriff in die Heilkundeausübung mit Zähnen und Klauen verteigen würden – selbst wenn sie schlussendlich davon sogar profitieren würden (Stichwort: Entlastung). Dieses Vorhaben wird jedenfalls nicht ohne ein politisches Blutvergießen ablaufen.
Personalbemessung
Noch vor der Wahl klang das in etwa so:
Gute Pflege gelingt nur mit gut qualifiziertem Personal, besseren Arbeitsbedingungen, einer angemessenen Bezahlung und mit verbessertem Personalschlüssel für alle Berufsgruppen in der Pflege, Hauswirtschaft und im Sozialen Dienst. Deshalb müssen wissenschaftlich fundierte, verbindliche Personalbemessungsinstrumente in der stationären sowie in der Langzeitpflege vollumfänglich umgesetzt werden, um mehr Zeit für eine ganzheitliche Versorgung zu schaffen.
Wahlprogramm BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Seite 80
Wir setzen uns für die Durchführung von Modellvorhaben zur Erprobung von zukünftigen Personalbemessungsinstrumenten in allen Bereichen der pflegerischen und gesundheitlichen Versorgung ein.
Wahlprogramm CDU, Seite 78
Trotz der offenkundigen Einigkeit darüber, dass irgendwo irgendwas irgendwie zur Personalbemessung gemacht werden muss – entsprechende Erwartungen an die neue Landesregierung sollten erstmal kleingehalten werden: Denn mit dem Koalitionsvertrag NRW wurde der Ball zunächst einmal an den Bund weitergegeben. Denn erst wenn dieser „die entsprechenden Regelungen geschaffen hat, um die personelle Situation in der Langzeitpflege zu stärken“, würde man das Rothgang-Gutachten zur Personalentwicklung in der Langzeitpflege umsetzen.
Auch eine verbindliche Vorgabe für den Nachtdienst im Bereich der stationären Altenpflege – wie zuletzt noch vom DBfK gefordert – hat keinen Niederschlag in den Koalitionsvereinbarungen gefunden. Schwarz-Grün beabsichtigt jedoch eine angemessene Mindestquote zu prüfen – na immerhin.
Von einer Personalbemessung in anderen Bereichen ist im Übrigen keine Rede mehr.
Rekrutierung von ausländischen Pflegekräften
Ohne die Migration ausländischer Pflegefachkräfte wird dem anhaltenden Pflegenotstand kaum zu begegnen sein. Insofern folgerichtig wurde im Sondierungspapier festgelegt, dass man die „Bemühungen um ausländische Pflegekräfte […] deutlich intensivieren“ wolle.
Tatsächlich wird aber erstmal nur da weitergemacht, wo man aufgehört hat. Denn geblieben ist von dem „Bemühen“ nur die Beibehaltung eines Begrüßungsgeldes für Pflegekräfte aus Nicht-EU-Ländern: Beim sogenannten „Willkommensgeld NRW“ handelt es sich um einen einmaligen, nicht rückzahlbaren Zuschuss in Höhe von 3.000 Euro pro Person.
Übrigens: Eingeführt wurde das Willkommensgeld erst kurz vor der Landtagswahl. Die hierfür zur Verfügung gestellten Mittel in Höhe von 7,5 Millionen Euro werden von der EU bereitgestellt.
Kinderkrankenpflege
Der Koalitionsvertrag NRW greift thematisch auch die pflegerische Versorgung im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin auf. Dabei stößt man im besagten Abschnitt auf folgende Formulierung:
Der große Fachkräftemangel in der Kinderkrankenpflege ist eine enorme Herausforderung. Deshalb setzen wir uns für eine Stärkung der Kinderkrankenpflegeausbildung ein.
Koalitionsvertrag NRW, Seite 96
Zu beachten ist – es geht hier nicht um die verstärkte Besetzung offener Stellen in der Kinderkrankenpflege, wie man nach dem Lesen des ersten Satzes vielleicht annehmen könnte. Vielmehr soll, so Satz 2, ein Eingriff in die Ausbildung erfolgen. Doch wie könnte der aussehen?
Verfolgt man etwa die Absicht, es Pflegeauszubildende besonders schmackhaft zu machen nach dem 2. Jahr auf die Fortführung der generalistischen Pflegeausbildung zu pfeifen und sich stattdessen für eine Ausbildung zum Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger bzw. zur Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin zu entscheiden? Das kann es ja nun sicherlich nicht sein.
Vereinbarkeit von Pflege und Beruf
Pflege und Beruf sollen zukünftig leichter unter einem Hut gebracht werden können. Schwarz-Grün unterstützt hierzu die auf Bundesebene geplante Pflegezeit als eine gesetzliche Regelung in Anlehnung an den Anspruch auf Lohnersatzleistungen während der Elternzeit.
Was nicht im Koalitionsvertrag NRW steht
Tarifvertrag Entlastung
Vor der Wahl wollte die CDU sich „für eine flächendeckende, nachhaltige und vor allem sektorenunabhängige tarifliche Vergütung aller Pflegekräfte“ einsetzen. Im Sondierungspapier war sodann die Rede davon, die rechtlichen Voraussetzungen für einen „Tarifvertrag Entlastung“ zu schaffen.
Geht man hiernach im Koalitionspapier NRW auf die Suche, findet sich hierzu nichts.
Personalrückgewinnung
Um ausgeschiedenes Pflegepersonal den Wiedereinstieg in Beruf zu ermöglichen hat die CDU in ihrem Wahlprogramm beispielhaft eine Reihe von Unterstützungsmöglichkeiten aufgeführt. Genannt werden unter anderem
- landesgeförderte Auffrischerkurse,
- die Unterstützung gestufter Wiedereingliederungsmodelle
- oder die Einführung einer Wiedereinsteigerprämie.
Weder hat es eines oben genannten Beispiele noch eine allgemeine Absichtserklärung zur Unterstützung eines Wiedereinstiegs in den Koalitionsvertrag NRW geschafft.
Mehr Fach- und Assistenzkräfte
Sowohl im Wahlprogramm der CDU (Seite 79) als auch von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Seite 80 f.) findet sich ein Bekenntnis zur Steigerung der Zahl der Ausbildungsplätze für pflegerische Assistenzkräfte.
Trotz dieser inhaltlichen Übereinstimmung: Im Koalitionsvertrag NRW fehlt eine entsprechende Aussage. Die Gründe hierfür sind unklar.
Mehr Lehrende
Für eine gute Pflegeausbildung braucht es auch eine entsprechende Anzahl gut qualifizierter Lehrende – auch darin sind sich beide Parteien im Grundsatz einig (CDU: Seite 79; Grüne: Seite 81).
Ein Passus, der einen Ausbau von Qualifikationsmöglichkeiten für Lehrende vorsieht, hat dennoch keinen Einzug in die fertige Koalitionsvereinbarung gefunden.
1 Kommentar
Es ist schon traurig, dass die Politik nicht auf die Pflege an der Basis hört. Die kochen ihr eigenes Süppchen und wir löffeln es aus.
Eine Gewinnung von ausländischen Pflegekräften gab es schon in mehreren Jahren. Die Forderung nach einem freiwilligen sozialen Jahr, hatten wir auch schon. Alles hat nicht auf Dauer geholfen.
Verbessert endlich die Arbeitsbedingungen, dann können sich ausgeschiedene Kollegen wieder vorstellen zurück zu kommen. Wenn ihr unbedingt eine Kammer wollt, setzt keine Vorstandmitglieder darein. Dann gehen eher mehr aus der Pflege weg. Das was jetzt passiert, ist die Folge Eurer Politik. Hört auf die Basis, damit Pflege in Deutschland Bestand und Wert hat.