Arbeitsbedingungen
Sache der Politik: Arbeits­be­din­gun­gen in der Pflege EU-weit verbes­sern. Bild: Desiree Gorges

Tradi­tio­nell weiblich geprägt, schlecht bezahlt und unter­fi­nan­ziert – so bringt die Arbeits­recht­le­rin Prof. Dr. Eva Kocher von der Europa-Univer­si­tät Viadrina in Frank­furt (Oder) die Beson­der­heit des Pflege­sek­tors in einem Inter­view auf den Punkt. Gemein­sam mit dem Anthro­po­lo­gen Dr. Ziga Podgor­nik-Jakil hat sie gerade ein Policy Paper mit Vorschlä­gen an die Politik veröf­fent­licht, welche im Rahmen des dreijäh­ri­gen Forschungs­pro­jek­tes „Care4Care“ erarbei­tet wurden.

An dem 2,7 Millio­nen Euro teuren Projekt sind Forschende aus Spanien, Schwe­den, Polen, Italien, Frank­reich und Deutsch­land betei­ligt. Unter dem Leitsatz „We care for those who care“ („Wir kümmern uns um die, die pflegen“) verfolgt Care4Care das Ziel, die Arbeits­be­din­gun­gen in der Pflege auf natio­na­ler Ebene und EU-weit zu verbes­sern.

Was schlägt das Policy Paper vor?

Die konkre­ten Vorschläge zur Verbes­se­rung der Arbeits­be­din­gun­gen in der Pflege erstre­cken sich über fünf Felder:

  • Quali­fi­ka­ti­ons- und Aufstiegs­mög­lich­kei­ten
  • Arbeits­schutz und Arbeits­zeit
  • Live-in-Pflege
  • Migra­tion
  • Diskri­mi­nie­rung

Im beson­de­ren Fokus stehen Ungleich­hei­ten und Benach­tei­li­gun­gen, die sich durch Geschlecht und Migra­tion ergeben und quasi in allen Feldern eine Rolle spielen. Die Vorschläge richten sich an Akteure aus Politik‑, Arbeit­ge­ber- und Sozial­part­ner­krei­sen in den EU-Mitglieds­staa­ten und an die zustän­di­gen Insti­tu­tio­nen der EU.

Beruf fürs Leben durch Quali­fi­ka­tion und Aufstieg

Ein maßgeb­li­cher Ansatz­punkt für bessere Arbeits­be­din­gun­gen in der Pflege liegt in den Quali­fi­ka­ti­ons- und Aufstiegs­mög­lich­kei­ten. „Pflege sollte ein Beruf werden, der für das ganze Leben Perspek­ti­ven bietet“, betont Kocher. Es sollte nicht nur eine Aufgabe sein, die Frauen vor der Heirat überneh­men, wie es früher einmal die Vorstel­lung war.

Die Maßnah­men, die in dem Policy Paper zu diesem Punkt vorschla­gen werden, betref­fen neben der beruf­li­chen Entwick­lung auch die Arbeits­aus­stat­tung und das Arbeits­um­feld im Allge­mei­nen. Steigende Löhne, Gewerk­schaf­ten und Tarif­ver­hand­lun­gen sind weitere Punkte, die das Berufs­feld attrak­ti­ver machen sollen.

Arbeits­schutz und Arbeits­zeit wichti­ger als Bezah­lung

Da die Bezah­lung in der Pflege im Vergleich zu anderen Berufen überpro­por­tio­nal angeho­ben worden ist, zählt das Entgelt nicht mehr zu den größten Proble­men des Sektors. Laut Kocher seien vielmehr der Arbeits­schutz und die Arbeits­zei­ten entschei­dend: „Pflege ist in jeder Hinsicht eine anspruchs­volle Tätig­keit, die Belas­tung ist extrem hoch“, attes­tiert die Forsche­rin. Hinzu kämen psycho­so­ziale Risiken durch Stress, emotio­nal belas­tende Situa­tio­nen bis hin zu Beläs­ti­gung und Gewalt.

Die vorge­schla­ge­nen Maßnah­men umfas­sen in diesem Feld zum Beispiel die wirksame Durch­set­zung des europäi­schen Arbeits­zeit­recht, verbind­li­che Perso­nal­schlüs­sel, um die Belas­tung zu reduzie­ren und Unter­stüt­zung im Umgang mit Gewalt und Beläs­ti­gung.

Live-in-Pflege unsicht­bar

Beson­de­res Augen­merk legt Kocher auf den Bereich Live-in-Pflege, wenn Pflege­kräfte also im Haushalt der pflege­be­dürf­ti­gen Person leben. Dieser Bereich sei so unsicht­bar, dass sich kaum jemand um die zahlrei­chen arbeits­recht­li­chen Verstöße kümmere, bemän­gelt die Arbeits­recht­le­rin. Die meisten Arbeits­kräfte in dem Bereich seien Frauen über 50 und extrem abhän­gig von der Person, bei der sie leben. Eine Begren­zung von Arbeits- und Bereit­schafts­zei­ten gäbe es in der Praxis meistens nicht.

Vor diesem Hinter­grund konzen­triert sich das Policy Paper vor allem auf den Beschäf­ti­gungs­sta­tus, die Bekämp­fung von Schein­selb­stän­dig­keit und die Durch­set­zung von natio­na­len Arbeits­rech­ten.

Migra­tion braucht Integra­tion

Als eine wichtige Säule im Kampf gegen den Perso­nal­not­stand in der Pflege gilt gemein­hin die Migra­tion. Gezielte Anwer­be­pro­gramme verzeich­nen zwar Erfolge, langfris­tig schei­tern sie aber oftmals an den tatsäch­li­chen Arbeits­be­din­gun­gen. „Beson­ders quali­fi­zierte Pflege­kräfte haben dort, wo sie herkom­men, häufig ganz andere Befug­nisse als in Deutsch­land und sind dann enttäuscht, wenn sie hier so wenig medizi­nisch machen dürfen“, beschreibt Kocher ein gängi­ges Problem. Hinzu kämen die kompli­zierte Anerken­nung von auslän­di­schen Quali­fi­ka­tio­nen und sprach­li­che Heraus­for­de­run­gen, für die Pflege­ein­rich­tun­gen kaum Unter­stüt­zung erhiel­ten.

Die Vorschläge an die Politik umfas­sen verein­fachte Migra­ti­ons- und Anerken­nungs­ver­fah­ren und auch den sogenann­ten „Spurwech­sel“, über den Asylbe­wer­ber eine Arbeits­ge­neh­mi­gung erlan­gen können. Eng damit verbun­den sind auch Integra­ti­ons­maß­nah­men wie kosten­lose Sprach­kurse während der Arbeits­zeit und Teambil­dung.

Diskri­mi­nie­rung aufgrund des Geschlechts

Die geschlech­ter­spe­zi­fi­sche Diskri­mi­nie­rung in der Pflege ist komplex und tiefver­an­kert. Um sie zu bekämp­fen, müssen laut Policy Paper soziale Struk­tu­ren und Stereo­ty­pen berück­sich­tigt werden, die in den verschie­de­nen Gesell­schaf­ten präsent sind und die Pflege­ar­beit von Frauen abwer­ten. Entspre­chende Vorstel­lun­gen sollten öffent­lich und eindring­lich in Frage gestellt werden, um so zum Beispiel mehr Männer für den Sektor zu gewin­nen oder auch im Bereich der häusli­chen Pflege verbor­ge­nes Poten­zial zu aktivie­ren und mehr Menschen zur Pflege­ar­beit zu mobili­sie­ren.

FAQ

Was ist Care4Care?

Ein europa­wei­tes Forschungs­pro­jekt mit dem Ziel, die Arbeits­be­din­gun­gen in der Pflege auf natio­na­ler Ebene und EU-weit zu verbes­sern. Betei­ligt sind Forschende aus sechs Ländern.

Wie können die Arbeits­be­din­gun­gen in der Pflege verbes­sert werden?

Ein Policy Paper unter­brei­tet entspre­chende Verbes­se­rungs­vor­schläge in fünf Feldern: Quali­fi­ka­ti­ons- und Aufstiegs­mög­lich­kei­ten, Arbeits­schutz und ‑zeit, Live-in-Pflege, Migra­tion sowie Diskri­mi­nie­rung.