Laut einer Bundesratsinitiative des Landes Berlin soll die Leiharbeit in der Pflege verboten werden.
Laut einer Bundes­rats­in­itia­tive des Landes Berlin soll die Leihar­beit in der Pflege verbo­ten werden. Bild: George Hodan

Rechts­de­pe­sche: Was halten Sie von der Bundes­rats­in­itia­tive des Landes Berlin, Leihar­beit in der Pflege nach dem Beispiel des Bauge­wer­bes weitge­hend zu verbie­ten?

Basche: Das ist leider nur wieder Symbol­po­li­tik. Gleich der erste Satz des Entwurfs ist eigent­lich eine Belei­di­gung des gesun­den Menschen­ver­stan­des. Da wird, weil es politisch oppor­tun ist, komplett die Kausa­li­tät verdreht. Nicht die Leihar­beit führt zu „negati­ven Auswir­kun­gen (…) auf die Arbeits­be­din­gun­gen der festan­ge­stell­ten Pflege­fach­kräfte“, sondern die schlech­ten Arbeits­be­din­gun­gen der Stamm­be­leg­schaf­ten sind es, die zur Flucht in die Leihar­beit führen.

Schon die Beschrän­kung allein auf die negati­ven Auswir­kun­gen ist eine der Komple­xi­tät des Sachver­halts völlig unange­mes­sene Verkür­zung. Die Leihar­beit ist Fluch und Segen gleicher­ma­ßen. Was glauben Sie, was passie­ren würde, wenn es plötz­lich keine Leihar­beit mehr geben würde? Gut‘ Nacht, lieb‘ Vater­land! Ohne die Fachkräfte aus dem Leasing würde vielen Einrich­tun­gen der einzige Rettungs­ring aus der Hand genom­men, wenn ihnen bei der Perso­nal­vor­hal­tung das Wasser Oberkante Unter­lippe steht. Diese Notla­gen sind nicht immer auf struk­tu­rel­les Versa­gen des Manage­ments zurück­zu­füh­ren. Manch­mal hat man als Einrich­tung auch einfach Pech, wenn ein ganzes Team hustet und schnieft und ausfällt. An wen wendet man sich dann? Hat der Senat eine strate­gi­sche Perso­nal­re­serve zur Hand? Natür­lich nicht.

Rechts­de­pe­sche: Wie zeigt sich das in Berlin, dessen Landes­re­gie­rung die Initia­tive auf den Weg bringen will?

Basche: Der Arbeits­markt der Pflege ist längst überall ein Arbeit­neh­mer­markt gewor­den. Er ist tatsäch­lich seit langem überhitzt. Und dazu tragen auch die öffent­li­chen Pflege­ein­rich­tun­gen massiv bei. In Berlin etwa wirbt gerade der kommu­nale Kranken­haus­kon­zern Vivan­tes auf einer großen Stell­ta­fel für sein Spandauer Klini­kum mit „9.000 Euro Start­prä­mie“ für Pflege­fach­kräfte. Wie gesagt – Vivan­tes gehört dem Land Berlin. Auf Facebook heißt es unter #gönndir­vi­van­tes wortwört­lich: „anfan­gen und absah­nen“.

Dass ein Landes­un­ter­neh­men zum Absah­nen aufruft, geht gar nicht, denn woher sollen die Pflege­kräfte kommen, die dort anfan­gen? Die fallen ja nicht vom Himmel, sondern werden von anderen Einrich­tun­gen abgewor­ben, die keine 9000 Euro als Prämie für eine Neuein­stel­lung in der Kasse haben. Das ist staat­lich subven­tio­nierte Wettbe­werbs­ver­zer­rung. Und jetzt raten Sie mal, wer im Aufsichts­rat von Vivan­tes sitzt: der Finanz­se­na­tor und die Gesund­heits­se­na­to­rin!

Rechts­de­pe­sche: Können Sie in dem Entwurf gar keine positi­ven Aspekte erken­nen?

Basche: Bisher nicht. Vielleicht wird er noch nachge­bes­sert. Das, was ich aktuell lese, fällt für mich unter die Katego­rie Veggie Day. Statt das Fleisch saube­rer zu machen, wird es verbo­ten. Es fehlen die großen Linien. Der Entwurf spricht davon, dass Leasing­kräf­ten die „länger­fris­tige Bindung zum Pflege­be­dürf­ti­gen“ fehlt. Das stimmt. Pflege ist tradi­tio­nell nicht nur Handwerk, sondern auch Bezie­hungs­ar­beit. Aber die Zeiten ändern sich. Die Genera­tion Y kommt in die Pflege. Nicht jeder hat Inter­esse an Teamar­beit. Teams sind eben oft auch Intri­gan­ten­sta­del. Das gilt für Pflege­heime wie für Senats­ver­wal­tun­gen. Immer mehr Hochqua­li­fi­zierte arbei­ten freibe­ruf­lich. Und gerade für die Kranken­pfle­ge­fach­kräfte sind die Einsätze in den Kranken­häu­sern eine spannende und wertvolle Erwei­te­rung und Auffri­schung ihres Wissens, die ihnen keine Fortbil­dung bieten könnte.

Rechts­de­pe­sche: Sie sagten ja schon: Leihar­beit ist Fluch und Segen. Für Leasing­kräfte ist die Leihar­beit also überwie­gend ein Segen?

Basche: Ganz offen­sicht­lich. In der Zeit gab es vor ein paar Tagen als Reaktion auf die geplante Bundes­rats­in­itia­tive einen sehr instruk­ti­ven Artikel. Die dort inter­viewte Alten­pfle­ge­rin hat es auf den Punkt gebracht: Es geht nicht nur um die Mitbe­stim­mung bei den Einsatz­zei­ten und das bessere Gehalt. Es geht auch um den Erfah­rungs­schatz. Aber das Problem ist ein ganz anderes. Selbst die jeder Sympa­thie für die Privat­wirt­schaft unver­däch­tige, stolz von „2220 Genos­sin­nen heraus­ge­ge­bene“ Junge Welt erkannte dieser Tage zu Recht, dass sich immer mehr Pflege­kräfte „fragen, ob sie den falschen Beruf gewählt haben und wie sie ihr Leben lang in diesem System arbei­ten sollen“. Zentral ist doch: Wer einmal ins Leasing gegan­gen ist, geht nicht mehr auf Station zurück. Wir haben jetzt schon viel zu hohe Quoten von Mitar­bei­te­rin­nen, die ganz aus der Pflege ausstei­gen. Da ist die Behaup­tung im Entwurf der Senato­rin, die Pflege­fach­kräfte seien vorhan­den und hätten „nur den Arbeit­ge­ber gewech­selt“, entwe­der blauäu­gig oder blind für die Wahrheit. Ich weiß nicht, was schlim­mer ist. Wenn Leasing wirklich verbo­ten wird, sind diese Menschen für die Pflege verlo­ren.

Was ich auch nicht verstehe: Da geht es Pflege­fach­kräf­ten endlich einmal richtig gut, sie haben so viel Geld und so viel Freiheit wie nie zuvor, und statt sich über diesen Erfolg der Arbeit­neh­me­rin­nen der Pflege zu freuen, führt der alte sozial­de­mo­kra­ti­sche Traum von der Gleich­heit nur zum Verbot. Hier wird ein Symptom kuriert, nicht die Ursache des Übels.

Rechts­de­pe­sche: Was ist denn das Grund­übel?

Basche: Das Grund­übel hat drei Wurzeln. Erstens ist die Solidar­ge­mein­schaft der Versi­cher­ten ganz offen­sicht­lich nicht solida­risch genug, um den Pflege­kräf­ten über eine angemes­sen hohe Vergü­tung der Leistun­gen auch angemes­sene Gehäl­ter zu sichern. Für Pflege wird von den Kosten­trä­gern, also den Kassen und den Kommu­nen, einfach zu wenig bezahlt. Da geht es den Pflege­fach­kräf­ten wie den Polizis­ten: Sie haben eine buchstäb­lich überle­bens­wich­tige Funktion für unsere Gesell­schaft, können aber mit ihren Netto­löh­nen keine großen Sprünge machen. Zweitens ist der Pflege­be­ruf bis heute über weite Strecken fachlich nicht heraus­for­dernd genug. Pflege­fach­kräfte laufen viel zu oft immer noch mit dem Speise­ta­blett über die Wohnbe­rei­che oder waschen im Akkord. Die Verschrei­bungs­be­fug­nis für Pflege­fach­kräfte, also die Übertra­gung heilkund­li­cher Tätig­kei­ten, steht bisher nur auf dem Papier. Für die neuen Vorbe­halts­tä­tig­kei­ten nach dem Pflege­be­ru­fe­ge­setz gibt es keinen Cent. Und drittens fehlt nach wie vor die gesell­schaft­li­che Anerken­nung. Hier bedürfte es einer nachhal­ti­gen, fanta­sie­vol­len Kampa­gne. Wer in der Pflege arbei­tet, bekommt immer noch zu oft eine nur abstrakte, keine fakti­sche Wertschät­zung.

Rechts­de­pe­sche: Das Thema Perso­nal­lea­sing in der Pflege erfährt in der inter­es­sier­ten Öffent­lich­keit gerade außer­ge­wöhn­li­che Aufmerk­sam­keit. Ist diese Aufmerk­sam­keit empirisch gerecht­fer­tigt oder ein Hype?

Basche: Wir beschäf­ti­gen uns hier mit einem Ein-Prozent-Phäno­men. Das müsste der Senato­rin, die immer­hin einmal Arbeits­se­na­to­rin war, bekannt sein, denn das sind die Zahlen der Bundes­agen­tur für Arbeit. Die Agentur spricht für 2018 von einem Anteil der Leihar­beit von 2%, und jeder weiß oder sollte wissen, dass davon etwa die Hälfte in träger­ei­ge­nen Tochter­ge­sell­schaf­ten angestellt sind, es sich also eigent­lich um Inhouse-Leasing handelt. Dabei geht es nicht nur um einen bundes­wei­ten Durch­schnitt. Diese 1% sind z.B. erklär­ter­ma­ßen auch die durch­schnitt­li­che Leasing­quote für die Berli­ner Charité. 1 % sind unter­halb der statis­ti­schen Fehler­quote. Niemand muss sich also scheuen, von einem Hype zu sprechen.

Rechts­de­pe­sche: Die höheren Kosten für den Einsatz von Leasing­kräf­ten in der Pflege bestrei­ten Sie aber nicht?

Basche: Nein, natür­lich nicht. In der Pflege erleben wir tatsäch­lich die paradoxe Situa­tion, dass Leihar­beit­neh­mer teurer sind als die Stamm­be­leg­schaft. Das ist aber Ausdruck der Verzweif­lung in den Einrich­tun­gen, kein Markt­ver­sa­gen. Ich empfehle dringend, mit dem Begriff Kosten­ex­plo­sion sehr zurück­hal­tend umzuge­hen. Wenn einfach die Brutto­stun­den­löhne der Stamm­be­leg­schaf­ten und der Leasing­kräfte neben­ein­an­der gestellt werden, ist das besten­falls eine Milch­mäd­chen­rech­nung, schlimms­ten­falls nur inter­es­se­ge­leite­ter Populis­mus. Die Entlei­her, also die Klini­ken und Heime, sparen sich ja die erheb­li­chen Kosten für Krank­heit, Urlaub, Fortbil­dung und Vorhal­tung bei den Stamm­be­leg­schaf­ten. Und mal ganz neben­bei: Die Kosten für Leasing werden aus den bestehen­den Budgets der Einrich­tun­gen finan­ziert. Weder die Kassen noch die Kommu­nen werden durch die Mehrkos­ten aus dem Leasing belas­tet. Mich überrascht schon, wer sich da in der Politik plötz­lich Sorgen um die Wirtschaft­lich­keit von Kranken­haus- und Pflege­kon­zer­nen macht.

Und ja, es kommt zu „erheb­lich höhere[n] Kosten für den Einsatz von Leihar­beits­kräf­ten“, wie es im Entwurf für die Bundes­rats­in­itia­tive heißt. Hat aber schon einmal jemand daran gedacht, dass die Kosten für Leihar­beit auch deshalb so hoch sind, weil dort 19 % Umsatz­steuer fällig werden? Mit dem drastisch höheren Steuer­so­ckel steigen Körper­schafts- und Gewer­be­steuer. Das addiert sich. Damit ist Leihar­beit nicht wegen der Gier der Leasing­un­ter­neh­men, sondern nach dem Willen des Gesetz­ge­bers von vornher­ein um ein Fünftel teurer als die Perso­nal­kos­ten für die Stamm­be­leg­schaf­ten, für die bekann­ter­ma­ßen keine Umsatz­steuer anfällt. Wenn Steuern nicht nur Abschöp­fen bedeu­ten soll, sondern auch ins Ruder greifen, also Umsteu­ern, wäre es sinnvol­ler, eine Bundes­rats­in­itia­tive zu starten, die Leihar­beit von der Umsatz­steuer befreit. Aber das werden wir wohl nicht erleben.

Rechts­de­pe­sche: Sie sind Geschäfts­füh­rer mehre­rer ambulan­ter Pflege­dienste. Was bedeu­tet die Idee, Leasing in der Pflege zu verbie­ten, ganz konkret für Sie?

Basche: Für mich persön­lich wenig. Ich lease nur zur Weihnachts­feier, damit auch der Spätdienst teilneh­men kann, und einmal im Sommer zur jährli­chen Dampfer­fahrt. Und drei‑, viermal im Jahr, wenn es wirklich gar nicht mehr anders geht. Für die ambulante Pflege insge­samt bedeu­tet diese Idee aber ein echtes Problem, auch wenn die Dienste oft zu klein sind, um sich Leasing im großen Stil leisten zu können. Ein Pflege­dienst kann sein Pflege­per­so­nal nicht wie ein Klini­kum quersub­ven­tio­nie­ren, indem ein paar Hüften und Kniee mehr operiert werden. Im Bundes­durch­schnitt haben Pflege­dienste nur wenige Dutzend Angestellte und Kunden und entspre­chend geringe Umsätze. Was aber passiert, wenn krank­heits­be­dingt mehrere Touren wegbre­chen? Anders als eine Bäcke­rei oder ein Friseur­sa­lon kann ein Pflege­dienst nicht einfach die Tür zuschlie­ßen, weil das Perso­nal nicht kommt. Die Pflege steht ja auch deshalb unter einem so starken Druck, weil man die Pflege­be­dürf­ti­gen zu Hause nicht sich selbst überlas­sen kann. Man muss losfah­ren und Insulin sprit­zen. Was dann, wenn wirklich keiner mehr da ist? Wenn alle Kolle­gin­nen schon angeru­fen worden sind? Wer Leasing einfach verbie­ten möchte, ohne die ganz prakti­schen Folgen zu beden­ken, handelt grob fahrläs­sig.

Wie gesagt: Es geht bei der Pflege sehr oft ums Überle­ben von Menschen. Und wenn im vorlie­gen­den Entwurf mit Alarmie­rungs­plä­nen und Hygie­ne­plä­nen argumen­tiert wird, die Leasing­kräfte in Kranken­häu­sern nicht kennen, fasse ich mir an den Kopf. Für den Alarm­fall kann man eine obliga­to­ri­sche Einwei­sung vor Dienst­an­tritt verein­ba­ren, und für Hygie­ne­be­stim­mun­gen gibt es bundes­ein­heit­li­che Regelun­gen, die ihre Wirksam­keit in jeder Einrich­tung entfal­ten. Was die Patien­ten­si­cher­heit gefähr­det, sind nicht die Leihar­beit­neh­me­rin­nen, sondern wenn es gar keine Pflege­fach­kräfte mehr auf den Statio­nen und Wohnbe­rei­chen gibt.

Rechts­de­pe­sche: Führt denn der häufige Perso­nal­wech­sel nicht tatsäch­lich zu Quali­täts­ver­lus­ten?

Basche: Da bitte ich um Beweis­an­tritt. Aus der Praxis höre ich etwas ganz anderes: dass nämlich die Leasing­kräfte aus den häufi­gen Wechseln eine ganz eigene Kompe­tenz entwi­ckeln, auf Verän­de­run­gen zu reagie­ren. Mit einer langjäh­ri­gen Leasing­kraft muss man keinen Alarm­fall mehr üben. Die hat so viele Häuser von innen gesehen, dass sie kaum noch etwas überra­schen kann.

Rechts­de­pe­sche: Was empfeh­len Sie statt eines Verbots?

Basche: Angemes­sene Regulie­rung. Leihar­beit braucht neue Regeln. Derzeit machen viele Verlei­her, was sie wollen. Das ist ein vertrags­recht­lich unhalt­ba­rer Zustand. Die Einrich­tun­gen buchen, bleiben aber auf dem Risiko sitzen. Wenn nämlich der Leasing­firma selbst die Mitar­bei­te­rin­nen ausfal­len, weil sie krank werden, stellt sie gewöhn­lich keinen Ersatz. Die Verträge sind bisher einsei­tig zu Gunsten der Verlei­her und zu Lasten der Entlei­her gestal­tet. Das muss sich ändern.

Rechts­de­pe­sche: Und was noch?

Basche: Keine Quoten! Die würden in der Praxis abseh­bar nur dazu führen, dass die Einrich­tun­gen sie unter Normal­last voll nutzen und dann im wirkli­chen Alarm­fall keine Leasing­kräfte mehr hinzu­ho­len dürften. Solche Routi­nen darf man als kurzsich­tig kriti­sie­ren. Man darf dabei aber nicht verges­sen, dass keine Einrich­tung freiwil­lig auf Leasing­kräfte zurück­greift. Diese wirken oft wie ein hochan­ste­cken­der Virus und verur­sa­chen in der Stamm­be­leg­schaft Abwan­de­rungs­phan­ta­sien. Die Mitar­bei­te­rin­nen hören, um wieviel besser es anderen Kolle­gin­nen geht, und wollen das auch einmal auspro­bie­ren. Das liegt in der Natur des Menschen.

Dr. Jan Basche ist Pflege­ex­perte und Geschäfts­füh­rer mehre­rer ambulan­ter Pflege­dienste.