
Erste Behandlungsversuche schlagen nicht an
Aufklärungsgespräch wird zum Streit: Ein Mann suchte wegen Schmerzen im Sprunggelenk eine unfallchirurgische Arztpraxis auf. Er und der Arzt sind alte Bekannte – schon neun Jahre zuvor war er wegen einer Überdehnung des Sprunggelenks dort in Behandlung.
Weil die Schmerzen aber immer schlimmer wurden, entschloss der Arzt sich dazu, eine Röntgenaufnahme durchzuführen. Die zeigte mehrere freie Gelenkkörper im Sprunggelenk.
Der Arzt wollte nichts überstürzen und entschloss sich zunächst für eine konservative Behandlung mit Bewegungsübungen und Belastungsreduktion. Das half dem Mann allerdings nur wenig – die Schmerzen ließen nicht nach. Eine Operation war nötig.
Operation am Sprunggelenk wird nötig
Für die OP wurde ein Termin vereinbart. Vorher unterzeichnete der Mann, gemeinsam mit dem Arzt, einen Aufklärungsbogen zur arthroskopischen Untersuchung und Operation des Sprunggelenks. Eine mündliche Aufklärung erfolgte zwar auch, über deren Inhalt sind sich beide Parteien später vor Gericht uneins.
Bei dem Eingriff konnte der Arzt nicht alle freien Gelenkkörper entfernen und veranlasste deshalb eine zweite Operation. Doch schon bevor diese stattfinden konnte, beklagte sich der Mann über neue Probleme mit seinem Fuß. Er habe Missempfindungen bei der Berührung des Fußrückens und die Schmerzen würden immer schlimmer werden.
Es zeigte sich, dass es bei der ersten Operation zu einer Nervenschädigung gekommen war. Der Arzt entfernte schließlich das beschädigte Nervengewebe und löste Nerven auf, damit die Schmerzen ausgeschaltet werden. Zum Unmut des Patienten – der wusste angeblich nichts von den möglichen Komplikationen.
Aufklärung ungenügend?
In der Folge wandte sich der betroffene Mann mit einer Klage an das Landgericht Darmstadt. Dort behauptete er, der Arzt habe ihn nicht richtig aufgeklärt. Er sei nicht über alle Risiken der Operation, insbesondere einer möglichen Nervenschädigung, aufgeklärt worden. Auch habe der Arzt ihm keine Behandlungsalternativen aufgezeigt.
Dass die Operation nur eine relative Erfolgschance biete und möglicherweise nicht alle Gelenkkörper entfernt werden könnten, wusste der Mann auch nicht. Infolge des Eingriffs sei er erwerbslos, zu 60 Prozent schwerbehindert und dauerhaft erwerbsunfähig geworden. Vom Arzt fordert er deshalb Schadensersatz.
Das Landgericht hat die Klage in erster Instanz zurückgewiesen. Auch das Oberlandesgericht wies die Klage in der Berufung zurück. Der Bundesgerichtshof hat schließlich entschieden, dass die Erwägungen beider Vorinstanzen nicht ausreichend waren.
Ordnungsgemäße Aufklärung kann nur mündlich erfolgen
Wie der BGH ausführt, setzt die wirksame Einwilligung nach § 630d BGB eine ordnungsgemäße Aufklärung voraus. Dabei muss der Arzt nicht alle möglichen Risiken medizinisch exakt erläutern, es reicht, wenn der Patient „im Großen und Ganzen“ wahrheitsgetreu über Chancen und Risiken aufgeklärt wird.
Vor allem über Risiken, die zwar selten vorkommen aber schwerwiegend Folgen haben können, muss in jedem Fall aufgeklärt werden.
Zu den Aufklärungspflichten nach §630e BGB gehört zudem, dass die Aufklärung mündlich zu erfolgen hat. Unterlagen, die der Patient wie im vorliegenden Fall in Textform erhält, dürften nur ergänzend sein.
Persönliches Aufklärungsgespräch ermöglicht Rückfragen
Ein vertrauensvolles Aufklärungsgespräch zwischen Arzt und Patient soll immer auch die Möglichkeit für Rückfragen ermöglichen, erklärt das Gericht. Das schließe zwar auch die Verwendung schriftlicher Materialien ein, kann sich allerdings nicht auf diese begrenzt werden.
Der Arzt muss sich nämlich im Aufklärungsgespräch – und nur hier ist das verlässlich möglich – davon überzeugen, dass der Patient alle Informationen verstanden hat. Gegebenenfalls muss er auch auf individuelle Belange des Patienten einzugehen.
Insofern sei es nach Ansicht des OLG rechtsfehlerhaft, wenn die Vorinstanzen davon ausgehen, dass offen bleiben könne, ob im mündlichen Gespräch das Risiko einer Nervenschädigung explizit besprochen wurde, weil es ja zusätzlichen einen Aufklärungsbogen gab und im Gespräch deshalb nicht alle Inhalte wiederholt werden müssten. Demnach hätte der Arzt sehr wohl im Aufklärungsgespräch das Risiko einer Nervenschädigung und ihre Auswirkungen ausdrücklich benennen müssen.
BGH – VI ZR 188/23
„Lediglich ergänzend, das heißt zur Wiederholung des Gesagten (als Gedächtnisstütze), zur bildlichen Darstellung und zur Verbesserung des Verständnisses des mündlich Erläuterten und zur Vermittlung vertiefender Informationen, die hilfreich, für das Verständnis der Risiken aber nicht unbedingt notwendig sind, kann (muss aber nicht) auf Informationen in Textform Bezug genommen werden.“
Der BGH stellt klar, dass die Vorinstanzen falsch in der Annahme liegen, dass sich das Gesamtbild der gebotenen Aufklärung aus der Zusammenführung von mündlicher und schriftlicher Aufklärung ergibt. Es kommt nur auf den mündliche mitgeteilten Inhalte an, der eine selbstbestimmte Entscheidung ermöglichen muss.
Der Fall wird zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, um festzustellen, was genau im Aufklärungsgespräch gesagt wurde.
Quelle:
BGH vom 5. November 2024 – VI ZR 188/23