Aufklärung
Die Aufklä­rung zu einem opera­ti­ven Eingriff, der schwer­wie­gende Folgen hatte, soll fehler­haft gewesen sein. (Symbol­bild) Bild: sasint/Pixabay.com

Ein Mann litt an einer chronisch rezidi­vie­ren­den Ohren­ent­zün­dung und Pauken­er­güs­sen. Hierbei bildet sich Flüssig­keit im Ohr aufgrund der Entzün­dung. Der Hals-Nasen-Ohren­arzt des Betrof­fe­nen überwies ihn in eine Klinik, um dort mögli­cher­weise eine Opera­tion (Masto­idek­to­mie) durch­füh­ren zu lassen.

Nach einer Unter­su­chung in der Klinik wurde dem Mann geraten, in einem ersten Schritt die Nasen­schei­de­wand begra­di­gen zu lassen, um die Nasen­luft­pas­sage zu optimie­ren. Zusätz­lich sollten die Nasen­ne­ben­höh­len saniert werden.

Kompli­ka­tio­nen bei Opera­tion

Drei Tage vor dem Eingriff wurde der Mann über mögli­che Risiken aufge­klärt. Im Anschluss an das Gespräch unter­zeich­nete er das Formu­lar zur Einwil­li­gung in den ärztli­chen Eingriff.

Während der Opera­tion trat eine starke arteri­elle Blutung auf. Nach der Opera­tion befand sich der Mann in einem komatö­sen Zustand. Das CT ergab eine Hirnblu­tung. Wie sich bei der darauf­hin erfolg­ten neuro­chir­ur­gi­schen Inter­ven­tion heraus­stellte, hatten die Ärztin­nen und Ärzte beim ersten Eingriff die vordere Hirnschlag­ader verletzt und den linken Riech­nerv durch­trennt.

Der Kläger wurde in der Folge­zeit umfas­send stationär und ambulant behan­delt.

Wegen der vermeint­lich fehler­haf­ten Opera­tion und weil er angeb­lich nicht richtig über die Risiken aufge­klärt wurde, verklagte der Mann die Klinik. Er forderte den Ersatz des materi­el­len und immate­ri­el­len Schadens.

Klage zunächst abgewie­sen

Das in erster Instanz zustän­dige Landge­richt Bremen hatte die Klage zunächst abgewie­sen. In der darauf folgen­den Berufungs­ver­hand­lung vor dem Oberlan­des­ge­richt (OLG) Bremen wurde ein Schadens­er­satz­an­spruch hinge­gen für gerecht­fer­tigt erklärt.

Zudem stellte das OLG die Verpflich­tung des beklag­ten Kranken­hau­ses zum Ersatz sämtli­cher zukünf­ti­ger materi­el­ler Schäden sowie weite­rer nicht vorher­seh­ba­rer immate­ri­el­len Schäden, fest.

Revision vor dem BGH

Dem Revisi­ons­ver­fah­ren hat die Entschei­dung des OLG nicht in allen Punkten stand­ge­hal­ten. So hat der Bundes­ge­richts­hof festge­stellt, dass der Kläger doch keinen Schadens­er­satz­an­spruch hat.

Die Annahme, die vom Kläger erklärte Einwil­li­gung in den ärztli­chen Eingriff sei unwirk­sam, ist somit falsch. Inhalt­lich sei der Mann ausrei­chend über alle mögli­chen Risiken aufge­klärt worden. Insbe­son­dere über mögli­che Hirn(haut)verletzungen, Hirnwas­ser­fluss und Riech­stö­run­gen aufge­klärt. Auch wurde er darüber infor­miert, dass bei dem Eingriff die Schädel­ba­sis beschä­digt werden könnte.

Dass die Aufklä­rung unwirk­sam sei, wurde ursprüng­lich damit begrün­det, der Mann habe nicht genügend Bedenk­zeit zwischen Aufklä­rung und Einwil­li­gung in den Eingriff gehabt. Die Aufklä­rungs­pflich­ten vor einer Opera­tion sind in § 630e BGB aufge­führt.

Nach Meinung des Revisi­ons­ge­richts jedoch werden in dem Urteil des Berufungs­ge­richts die Anfor­de­run­gen an die Pflich­ten der behan­deln­den Ärzte aus § 630e Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 BGB überzo­gen darge­stellt.

Kein bestimm­ter Zeitraum für Aufklä­rung festge­legt

Die Bestim­mung des § 630e Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 BGB enthält keine Erfor­der­nis, nach der zwischen Aufklä­rung und Einwil­li­gung ein bestimm­ter Zeitraum liegen müsste. Die Patien­tin oder der Patient muss vor dem beabsich­tig­ten Eingriff so recht­zei­tig aufge­klärt werden, dass sie oder er durch hinrei­chende Abwägung dem Eingriff zustim­men oder ihn ableh­nen kann.

Es muss also Entschei­dungs­frei­heit bestehen, damit das Selbst­be­stim­mungs­recht in angemes­se­ner Weise wahrge­nom­men werden kann.

Die Wirksam­keit einer Einwil­li­gung ist in § 630d BGB festge­schrie­ben. Danach ist der oder die Behan­delnde verpflich­tet, vor der Durch­füh­rung einer medizi­ni­schen Maßnahme die Einwil­li­gung der Patien­tin oder des Patien­ten einzu­ho­len.

Einzige Voraus­set­zung für die Wirksam­keit der Einwil­li­gung ist demnach, dass die Patien­tin oder der Patient nach Maßgabe von § 630e Absatz 1 bis 4 BGB zur Wahrung der Selbst­be­stim­mung aufge­klärt worden ist. Wie eine Aufklä­rung konkret abzulau­fen hat, ist nicht festge­schrie­ben.

Fest steht aber, dass es keine „Sperr­frist“ vor der Einwil­li­gung gibt, die einzu­hal­ten ist. Sieht die Patien­tin oder der Patient sich bereits nach dem Aufklä­rungs­ge­spräch – sollte dies recht­zei­tig erfol­gen – in der Lage eine reflek­tierte Entschei­dung zu treffen, kann sie oder er das tun. Wünscht die Person noch Bedenk­zeit, ist zu erwar­ten, dass sie dies gegen­über der Ärztin oder dem Arzt zum Ausdruck bringen kann.

Aufklä­rung muss wohlüber­legte Entschei­dung ermög­li­chen

Behan­delnde sollten jedoch zumin­dest die Möglich­keit geben, weitere Überle­gungs­zeit in Anspruch zu nehmen. Vor allem dann, wenn erkenn­bar ist, dass die Patien­tin oder der Patient noch Zeit für eine Entschei­dung benötigt und nicht entschlos­sen wirkt.

Die ärztli­che Aufklä­rung muss also eine wohlüber­legte Entschei­dung der Betrof­fe­nen ermög­li­chen. Das setzt voraus, dass die Patien­tin oder der Patient während der Aufklä­rung im vollen Besitz ihrer oder seiner Erkennt­nis- und Entschei­dungs­frei­heit ist und nicht unter Einfluss von Medika­men­ten steht.

Auch darf die Aufklä­rung nicht erst kurz vor dem Eingriff statt­fin­den, beispiels­weise bei der Opera­ti­ons­vor­be­rei­tung. Das könnte die betrof­fene Person unter unzumut­ba­ren psychi­schen Druck setzen oder den Eindruck erwecken, sie könne sich nicht mehr aus einem in Gang gesetz­ten Gesche­hen lösen.

Patient wurde ordnungs­ge­mäß aufge­klärt

Das war im vorlie­gen­den Fall aber nicht so. Mehr als zwei Tage nach seiner Einwil­li­gung begab sich der Mann zum Zwecke der Opera­tion in das Kranken­haus, ließ sich statio­när aufneh­men und duldete die Opera­ti­ons­vor­be­rei­tun­gen. Dieses Verhal­ten konnte von den Behan­deln­den so verstan­den werden, dass er mit der Opera­tion einver­stan­den war. Er hat seine Einwil­li­gung somit bekräf­tigt.

Das Revisi­ons­ge­richt hat das Urteil der Berufungs­in­stanz aufge­ho­ben und den Fall zurück an das Berufungs­ge­richt verwie­sen. Die Sache ist nicht zur Entschei­dung reif und muss erneut verhan­delt werden.

Quelle: BGH vom 20.12.2022 – VI ZR 375/21