
Ein Mann litt an einer chronisch rezidivierenden Ohrenentzündung und Paukenergüssen. Hierbei bildet sich Flüssigkeit im Ohr aufgrund der Entzündung. Der Hals-Nasen-Ohrenarzt des Betroffenen überwies ihn in eine Klinik, um dort möglicherweise eine Operation (Mastoidektomie) durchführen zu lassen.
Nach einer Untersuchung in der Klinik wurde dem Mann geraten, in einem ersten Schritt die Nasenscheidewand begradigen zu lassen, um die Nasenluftpassage zu optimieren. Zusätzlich sollten die Nasennebenhöhlen saniert werden.
Komplikationen bei Operation
Drei Tage vor dem Eingriff wurde der Mann über mögliche Risiken aufgeklärt. Im Anschluss an das Gespräch unterzeichnete er das Formular zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff.
Während der Operation trat eine starke arterielle Blutung auf. Nach der Operation befand sich der Mann in einem komatösen Zustand. Das CT ergab eine Hirnblutung. Wie sich bei der daraufhin erfolgten neurochirurgischen Intervention herausstellte, hatten die Ärztinnen und Ärzte beim ersten Eingriff die vordere Hirnschlagader verletzt und den linken Riechnerv durchtrennt.
Der Kläger wurde in der Folgezeit umfassend stationär und ambulant behandelt.
Wegen der vermeintlich fehlerhaften Operation und weil er angeblich nicht richtig über die Risiken aufgeklärt wurde, verklagte der Mann die Klinik. Er forderte den Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens.
Klage zunächst abgewiesen
Das in erster Instanz zuständige Landgericht Bremen hatte die Klage zunächst abgewiesen. In der darauf folgenden Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht (OLG) Bremen wurde ein Schadensersatzanspruch hingegen für gerechtfertigt erklärt.
Zudem stellte das OLG die Verpflichtung des beklagten Krankenhauses zum Ersatz sämtlicher zukünftiger materieller Schäden sowie weiterer nicht vorhersehbarer immateriellen Schäden, fest.
Revision vor dem BGH
Dem Revisionsverfahren hat die Entscheidung des OLG nicht in allen Punkten standgehalten. So hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass der Kläger doch keinen Schadensersatzanspruch hat.
Die Annahme, die vom Kläger erklärte Einwilligung in den ärztlichen Eingriff sei unwirksam, ist somit falsch. Inhaltlich sei der Mann ausreichend über alle möglichen Risiken aufgeklärt worden. Insbesondere über mögliche Hirn(haut)verletzungen, Hirnwasserfluss und Riechstörungen aufgeklärt. Auch wurde er darüber informiert, dass bei dem Eingriff die Schädelbasis beschädigt werden könnte.
Dass die Aufklärung unwirksam sei, wurde ursprünglich damit begründet, der Mann habe nicht genügend Bedenkzeit zwischen Aufklärung und Einwilligung in den Eingriff gehabt. Die Aufklärungspflichten vor einer Operation sind in § 630e BGB aufgeführt.
Nach Meinung des Revisionsgerichts jedoch werden in dem Urteil des Berufungsgerichts die Anforderungen an die Pflichten der behandelnden Ärzte aus § 630e Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 BGB überzogen dargestellt.
Kein bestimmter Zeitraum für Aufklärung festgelegt
Die Bestimmung des § 630e Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 BGB enthält keine Erfordernis, nach der zwischen Aufklärung und Einwilligung ein bestimmter Zeitraum liegen müsste. Die Patientin oder der Patient muss vor dem beabsichtigten Eingriff so rechtzeitig aufgeklärt werden, dass sie oder er durch hinreichende Abwägung dem Eingriff zustimmen oder ihn ablehnen kann.
Es muss also Entscheidungsfreiheit bestehen, damit das Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahrgenommen werden kann.
Die Wirksamkeit einer Einwilligung ist in § 630d BGB festgeschrieben. Danach ist der oder die Behandelnde verpflichtet, vor der Durchführung einer medizinischen Maßnahme die Einwilligung der Patientin oder des Patienten einzuholen.
Einzige Voraussetzung für die Wirksamkeit der Einwilligung ist demnach, dass die Patientin oder der Patient nach Maßgabe von § 630e Absatz 1 bis 4 BGB zur Wahrung der Selbstbestimmung aufgeklärt worden ist. Wie eine Aufklärung konkret abzulaufen hat, ist nicht festgeschrieben.
Fest steht aber, dass es keine „Sperrfrist“ vor der Einwilligung gibt, die einzuhalten ist. Sieht die Patientin oder der Patient sich bereits nach dem Aufklärungsgespräch – sollte dies rechtzeitig erfolgen – in der Lage eine reflektierte Entscheidung zu treffen, kann sie oder er das tun. Wünscht die Person noch Bedenkzeit, ist zu erwarten, dass sie dies gegenüber der Ärztin oder dem Arzt zum Ausdruck bringen kann.
Aufklärung muss wohlüberlegte Entscheidung ermöglichen
Behandelnde sollten jedoch zumindest die Möglichkeit geben, weitere Überlegungszeit in Anspruch zu nehmen. Vor allem dann, wenn erkennbar ist, dass die Patientin oder der Patient noch Zeit für eine Entscheidung benötigt und nicht entschlossen wirkt.
Die ärztliche Aufklärung muss also eine wohlüberlegte Entscheidung der Betroffenen ermöglichen. Das setzt voraus, dass die Patientin oder der Patient während der Aufklärung im vollen Besitz ihrer oder seiner Erkenntnis- und Entscheidungsfreiheit ist und nicht unter Einfluss von Medikamenten steht.
Auch darf die Aufklärung nicht erst kurz vor dem Eingriff stattfinden, beispielsweise bei der Operationsvorbereitung. Das könnte die betroffene Person unter unzumutbaren psychischen Druck setzen oder den Eindruck erwecken, sie könne sich nicht mehr aus einem in Gang gesetzten Geschehen lösen.
Patient wurde ordnungsgemäß aufgeklärt
Das war im vorliegenden Fall aber nicht so. Mehr als zwei Tage nach seiner Einwilligung begab sich der Mann zum Zwecke der Operation in das Krankenhaus, ließ sich stationär aufnehmen und duldete die Operationsvorbereitungen. Dieses Verhalten konnte von den Behandelnden so verstanden werden, dass er mit der Operation einverstanden war. Er hat seine Einwilligung somit bekräftigt.
Das Revisionsgericht hat das Urteil der Berufungsinstanz aufgehoben und den Fall zurück an das Berufungsgericht verwiesen. Die Sache ist nicht zur Entscheidung reif und muss erneut verhandelt werden.
Quelle: BGH vom 20.12.2022 – VI ZR 375/21