Netzhaut im Mausmodell für Kinderdemenz.
Bilder einer Netzhaut im Mausmo­dell für Kinder­de­menz: Links die Gangli­en­zell­schicht einer gesun­den Netzhaut, in der Mitte eine erkrankte. Rechts eine erkrankte Netzhaut, behan­delt mit Terif­lu­no­mide. Bild: Janos Groh

Kinder­de­men­zen sind genetisch bedingte Stoff­wech­sel­er­kran­kun­gen des Gehirns. Sie machen sich zuerst durch eine Verschlech­te­rung der Sehleis­tung bemerk­bar. Es folgen epilep­ti­sche Anfälle, Erblin­dung, Taubheit, Demenz und ein früher Tod. Der medizi­ni­sche Fachaus­drück für die Kinder­de­menz lautet Neuro­nale Ceroid-Lipofus­zi­no­sen (CLN). Mehr als zehn Formen dieser Krank­heit sind bisher bekannt. Sie alle werden durch verschie­dene Genmu­ta­tio­nen verur­sacht, sie alle sind bislang nicht behan­del­bar und verlau­fen immer tödlich.

Schlei­chende Entzün­dung im Gehirn entdeckt

Verstärkt wird die Krank­heit durch eine schlei­chende Entzün­dungs­re­ak­tion im Gehirn. Das hat die Forschungs­gruppe um Profes­sor Rudolf Martini, Leiter der Sektion Experi­men­telle Entwick­lungs­neu­ro­bio­lo­gie an der Neuro­lo­gi­schen Klinik des Würzbur­ger Univer­si­täts­kli­ni­kums, vor einigen Jahren entdeckt.

Nun verfolgt Marti­nis Gruppe einen Weg, der diese Erkennt­nis mögli­cher­weise klinisch umsetz­bar macht: „Die Gabe der immun­mo­du­la­to­ri­schen Medika­mente Fingo­li­mod und Terif­lu­no­mid zeigt im Mausmo­dell für die Kinder­de­menz eine erstaun­li­che thera­peu­ti­sche Wirkung“, so der Profes­sor. Dieser Effekt hatte sich bereits in allen vorher­ge­hen­den grund­la­gen­wis­sen­schaft­li­chen Experi­men­ten angedeu­tet.

Degene­ra­tion von Gehirn und Netzhaut gebremst

Im Tiermo­dell haben die beiden Medika­mente krank­hafte Verän­de­run­gen im Gehirn und andere klini­sche Parame­ter – wie die Häufig­keit von Muskel­zu­ckun­gen – deutlich reduziert. Außer­dem bewirk­ten sie, dass die Netzhaut des Auges weniger und langsa­mer degene­riert.

Hirnaut­op­sien von Patien­ten unter­sucht

Zunächst haben die Wissen­schaft­ler ihre Ergeb­nisse noch zurück­hal­tend bewer­tet – schließ­lich wussten sie nicht, ob ähnli­che Entzün­dungs­re­ak­tio­nen wie im Tiermo­dell auch bei Patien­ten mit Kinder­de­menz auftre­ten und ob sie damit tatsäch­lich eine neue Behand­lungs­chance an der Hand haben.

Deshalb unter­such­ten sie zusätz­lich selten verfüg­bare Hirnaut­op­sien, die ihnen von der „London Neuro­de­ge­nera­tive Disease Brain Bank and Brains for Demen­tia Research“ zur Verfü­gung gestellt wurden. Das Ergeb­nis: Alle unter­such­ten Proben von Patien­ten wiesen Entzün­dungs­re­ak­tio­nen auf, die denen der Modell­mäuse erheb­lich ähnel­ten. Somit bestehen gute Chancen, dass auch Patien­ten auf eine Behand­lung mit den Immun­mo­du­la­to­ren anspre­chen.

Klinisch gangba­ren Weg gefun­den

Mit bundes­weit etwa 500 und weltweit rund 50.000 erkrank­ten Kindern gehört die Kinder­de­menz zu den sogenann­ten selte­nen Erkran­kun­gen. Die Finan­zie­rung für die Entwick­lung neuer Medika­mente gegen seltene Erkran­kun­gen gestal­tet sich generell eher schwie­rig, weiß Martini. Die Unter­su­chun­gen seines Teams zeigen nun aber einen Weg, da sich die Medika­mente bereits im klini­schen Einsatz befin­den und deren Neben­wir­kun­gen und Risiken bereits bekannt sind. Fingo­li­mod und Terif­lu­no­mid wurden nämlich für die Behand­lung der häufigs­ten Entzün­dungs­er­kran­kung des zentra­len Nerven­sys­tems entwi­ckelt, die Multi­ple Sklerose, erklärt der Würzbur­ger Neuro­bio­loge.

Indivi­du­elle Heilver­su­che wären also möglich, aber kontrol­lierte klini­sche Studien mit Patien­ten wären der Goldstan­dard. Solche Studien seien jedoch hinsicht­lich der Finan­zie­rung und der Selten­heit der Erkran­kung eine Heraus­for­de­rung. „Erfreu­li­cher­weise haben uns aber das Würzbur­ger Zentrum für seltene Erkran­kun­gen unter der Leitung von Profes­sor Helge Hebestreit, die Neuro­lo­gi­sche Klinik mit Profes­sor Jens Volkmann an der Spitze und die Augen­kli­nik unter Profes­sor Jost Hillen­kamp tatkräf­tige Unter­stüt­zung zugesagt“, freut sich Martini.

Quelle: idw