
Rechtsdepesche: Als 14-Jähriger verletzte sich ihr Mandant Andreas V. (Name geändert) beim Fußballspielen am Knöchel und sein Außenband riss. Heute, über 40 Jahre später, leidet er immer noch an den Folgen. Wie kann aus einem banalen Unfall eine lebenslange Leidensgeschichte werden?
Henrik Godejohann: Der Hauptfehler ist damals im Jahr 1983 direkt nach dem Unfall geschehen und daraus ergab sich dann diese lange Krankengeschichte. Nach dem Fußballspielen hatte sich mein Mandant am Sprunggelenk verletzt – Außenbandriss. Er wurde dann direkt mit einer Gipsschale versorgt.
Allerdings war der Gips zu eng, sodass es zu einem Compartment-Syndrom gekommen ist. Der enge Gips verursacht dabei einen derart hohen Druck auf das Gewebe, dass die Blutversorgung des Fußes nicht mehr gewährleistet ist. Neben den Schmerzen wird hierdurch eine Muskelschwellung hervorgerufen. Schließlich starb die Wadenmuskulatur ab und musste entfernt werden.
Weitere Operationen führten dann dazu, dass der Bereich des Sprunggelenks deformiert ist und dass der Fuß und das Bein nicht mehr gewachsen sind. Das rechte Bein ist deutlich kürzer als das linke, was sich natürlich auch im Gangbild bemerkbar macht. Dadurch war, ist und wird er sein ganzes Leben lang beeinträchtigt sein und entsprechende Behandlung benötigen.
„Laufen kann er nicht, nur gehen“
Rechtsdepesche: Mit der Zeit hat sich auch eine chronische Wunde bei ihrem Mandanten entwickelt. Wie hat dies das Leben ihres Mandanten verändert?
Godejohann: Als Folge des Compartment-Syndrom und den zahlreichen nachfolgenden Operationen ist das Gefühl im Bereich des rechten Unterschenkel und insbesondere des Fußes erheblich eingeschränkt. Mein Mandant merkt daher nicht, wenn er eine Druckstelle beim Laufen bekommt. Insbesondere im Bereich der Ferse kam es seit den 90er Jahren immer wieder zu Druckstellen, die dann zu Blutblasen führten. Im Jahr 1998 entwickelte sich aus einer solchen Blutblase eine Wunde, die erst im Jahre 2000 mit einer Stammzellentherapie erfolgreich behandelt werden konnte.
Im Anschluss daran hatte mein Mandant mehrere Jahre keine offene Wunde zu beklagen, bis es im Jahr 2017 erneut zu einer massiven Druckstelle kam, die dann eine chronische Wunde wurde. Generell ist er dadurch nicht mehr so mobil, kann sich also nicht schnell bewegen – laufen kann er nicht, nur gehen. Das strahlt natürlich in alle Lebensbereiche aus.
Rechtsdepesche: 1989 wurde ein Vergleich geschlossen, in dem sich die Haftpflichtversicherung des Krankenhauses dazu verpflichtet hat, neben einem Schmerzensgeld auch künftige materielle Schäden sowie einen weiteren immateriellen Schaden zu ersetzen. Wie gestaltete sich die Abwicklung der Vergleichsinhalte in den Folgejahren?
Godejohann: Die materiellen Schäden wurden damals übernommen, was ja auch in dem Vergleich zugesagt wurde. Das beinhaltet alle Aufwendungen, die sich aus seiner Behandlung ergeben und die auch ansonsten notwendig sind, um seine Beeinträchtigung zu kompensieren. Im Jahr 1999 gab es dann einen weiteren Vergleich.
Da wurde der Nettoverdienstausfallschaden bis zum Jahr 2002 abgegolten. Zusätzlich wurden auch alle Fahrtkosten, Parkgebühren, Telefonkosten, Portokosten, Fußpflegekosten und Massagebehandlungen mit einer Einmalzahlung endgültig entschädigt, weil man sich auf Seiten des Haftpflichtversicherers die regelmäßigen Abrechnungen ersparen wollte.
Im Jahr 2011 wurde der weitere Verdienstausfallschaden vollständig ausgeglichen, genauso wie der Haushaltsführungsschaden, der Rentenschaden und Vorsorgeschaden. Diese Punkte sind damit alle erledigt. Im Grunde geht es jetzt also nur noch darum, die regelmäßigen materiellen Schäden wie beispielsweise Behandlungskosten, Verbände oder Arzneimittel zu erstatten.
Haftpflichtversicherer zahlt Behandlung für chronische Wunde nicht
Rechtsdepesche: Das hat ja soweit auch geklappt, bis die umfänglichen Zahlungen für die chronische Wunde ab dem Jahr 2019 eingestellt wurden. Bis heute zahlt die Haftpflichtversicherung des Krankenhauses die eingereichten Rechnungen nicht mehr bzw. nur zum Teil. Welche Kosten will der Versicherer nicht mehr übernehmen?
Godejohann: Damals im Jahr 2017, als der Ulcus erneut aufgetreten ist, wurden zunächst alle materiellen Schäden wie gehabt übernommen. Grundsätzlich hat der Haftpflichtversicherer zwar ab und an kleinere Sachen weggelassen, aber die wesentlichen Behandlungskosten wurden übernommen.
Zwei Jahre später hat sich das dann geändert. Das heißt, ein Großteil der Kosten, die für die chronische Wunde anfallen, wird seit dem Jahr 2019 nicht mehr übernommen. Konkret geht es um Wundbehandlungen der SlyCare GmbH in Greiz, die unter anderem Plasma- und Vakuumtherapien durchgeführt haben.
Von dem Zahlungsstopp betroffen sind auch Kosten für das Verbandsmaterial, die Arzneimittel und Unterkunftskosten, weil Greiz mehr als 300 Kilometer vom Wohnort meines Mandanten entfernt ist. Diese Kosten will der Haftpflichtversicherer nicht mehr übernehmen, weil nach deren Ansicht die Erfolgsaussichten fraglich und die Methoden auch nicht zwingend notwendig sind. Später hat der Versicherer sogar behauptet, dass die chronische Wunde austherapiert sei und man nichts mehr dagegen tun könnte.
Rechtsdepesche: Dabei wurden die qualifizierten Maßnahmen der Plasma- und die Vakuumtherapie vom Arzt ihres Mandanten vorgeschlagen.
Godejohann: Genau! Andreas V. hatte im Vorfeld verschiedene Behandlungsmethoden versucht und sich auch von mehreren Ärzten beraten lassen. Ein Arzt hatte ihm dann zur Plasmatherapie geraten. Der Haftpflichtversicherer selbst hatte zunächst auch angekündigt, meinem Mandanten beratend zur Seite zu stehen.
Ich glaube aber, dass die niemanden gefunden haben, der sich auf dem Gebiet der Wundversorgung ausreichend auskennt, weil die Studienlage zum Thema chronische Wunden noch relativ dünn ist. Und auch, weil Methoden wie die Plasmatherapie noch nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen enthalten sind.
Es wurde dann gesagt, wir übernehmen gerne die Kosten, die auch die Krankenversicherung zahlen müsste. Und das schließt eben die Plasmatherapie aus. Aber es ist natürlich etwas anderes, ob ich aus einem Krankenversicherungsvertrag vorgehe oder einen Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger geltend mache.
Auf zivilrechtlicher Ebene werden die Kosten ganz anders reguliert als nach den sozialversicherungsrechtlichen Regeln zur Leistungserstattung. Die Rechtsansicht des Haftpflichtversicherers halte ich also für grundsätzlich falsch.
Erfolge durch Plasmatherapie
Rechtsdepesche: Ihr Mandant hat also weite Fahrten durch ganz Deutschland für diese Maßnahmen in Kauf genommen. Wie sind die denn angeschlagen?
Godejohann: Inzwischen ist es zum vollständigen Wundverschluss gekommen. Das war erst vor wenigen Wochen der Fall. Mein Mandant hatte insgesamt zwei Therapiephasen in Greiz, bei denen die Behandlung über einen längeren Zeitraum angewendet wurde und für die er sich immer wieder für mehrere Wochen am Stück dort aufhalten musste.
Bei der ersten Therapiephase 2019 hatte man schon eine Verkleinerung erreicht. Die chronische Wunde ist ein paar Millimeter geschrumpft. Und jetzt bei der zweiten hat es tatsächlich ein gutes Ende gegeben. Da wurde dann wirklich intensiv sechs Mal täglich die Plasmabehandlung durchgeführt, sowie ergänzende Therapiemaßnahmen.
Rechtsdepesche: Der Haftpflichtversicherer sperrt sich trotz der guten Erfolge weiterhin gegen die Kostenübernahme. Was sagen sie dazu?
Godejohann: Das interessante ist, dass jetzt sogar die gesetzliche Krankenkasse zumindest die Kosten für die zweite Therapiephase in Greiz übernommen hat, obwohl die Plasmatherapie nicht in deren Leistungskatalog enthalten ist. In einem Gutachten des medizinischen Dienstes ist festgestellt worden, dass die Maßnahme zwar noch nicht übernahmefähig ist, aber dass es sich in diesem Fall wohl um eine wahrscheinlich wirksame Methode zur Wundheilung handelt.
Das führte letztlich dazu, dass die Behandlungskosten erstattet wurden.
Gleichwohl weigert sich der Haftpflichtversicherer weiterhin, für die Kosten einzustehen. Dort ist allerdings die vollständige Wundheilung und die Kostenübernahme durch die Krankenkasse noch nicht bekannt – eine entsprechende Klageerweiterung ist bei den Sachbearbeitern noch nicht eingegangen. Das heißt, die ursprünglichen Argumente des Haftpflichtversicherers gegen die Kostenübernahme dürften nach den zivilrechtlichen Regulationsprinzipien hinfällig sein, stehen aber noch für die erste Therapiephase im Jahr 2019 im Raum.
Rechtsdepesche: Mit der Klage wollen Sie also die Geltendmachung der materiellen Schäden im Zeitraum zwischen 2019 bis 2021 und 2022 bis Mitte 2023 erreichen – also für beide Therapiezeiträume in Greiz. Die Kosten, die schon von der Krankenkasse übernommen wurden, haben sie abgezogen. Was ist die juristische Schwierigkeit in diesem Fall?
„Naturalrestitution wird geschuldet“
Godejohann: Die Schwierigkeiten, mit denen wir bei den Ansprüchen wegen der Wundbehandlung konfrontiert sind, kann ich größtenteils gar nicht nachvollziehen. Mein Mandant entscheidet sich für Behandlungsmaßnahmen, die er durchführen möchte und die er für sinnvoll hält. Das muss im Rahmen eines Schadensersatzanspruches dann auch übernommen werden.
In so einem Fall wird die sogenannte ‚Naturalrestitution‘ geschuldet. Das heißt, der Schädiger muss den Zustand wieder herstellen, der vor der Schädigung vorhanden war. Das geht bei Körperverletzungen nicht immer, aber dann muss er nach gefestigter Rechtsprechung zumindest die Kosten für die Behandlungen übernehmen, die Linderung verschaffen.
Soweit keine Wiederherstellung möglich ist, muss er eben auch ein Schmerzensgeld zahlen. Tatsächlich müssen die Kosten auch schon dann übernommen werden, wenn der Geschädigte eine Maßnahme selbst für sinnvoll erachtet und sie nicht vollständig willkürlich erscheint.
Von Willkür kann hier allein schon deshalb nicht die Rede sein, weil Andreas V. selbst für die Maßnahmen in Vorkasse gegangen ist, mit der Gefahr, das Geld nie zurückzubekommen. Das heißt, er war zu hundert Prozent überzeugt von den Maßnahmen, was gegen eine willkürliche Entscheidung spricht. Deswegen verstehe ich nicht, wie die Zahlungen abgelehnt werden konnten. Für mich ist das nicht haltbar. Mit Blick auf die Gerichtsverhandlung bin ich also recht optimistisch, dass wir unsere Forderungen durchsetzen können.
Rechtsdepesche: In Klagen findet sich häufig die Standardformulierung, dass neben Schmerzensgeld auch die Feststellung zukünftiger materieller und immaterieller Schadensersatzansprüche begehrt wird. Tatsächlich erstreckt sich die Geltendmachung dieser Ansprüche oft über einen Zeitraum von mehreren Jahren, manchmal sogar über die Lebenszeit hinweg. Welche Probleme erkennen Sie dabei?
Godejohann: Die Formulierung soll dazu dienen, einer Verjährung vorzubeugen. Im Fall von Andreas V. hat der Haftpflichtversicherer allerdings im Jahr 2016 bestätigt, dass die Haftung ‚dem Grunde nach‘ bestehen bleibt. Wie in einem Anerkenntnissurteil wurde damals als Enddatum 2046 angegeben, weil eben auch das Urteil eines Zivilgerichts nach 30 Jahren verjähren würde. Das heißt, was die Verjährung angeht, ist mein Mandant bis zum Jahr 2046 auf der sicheren Seite.
Bis dahin muss die grundsätzliche Haftung auch nicht mehr durch einen weiteren Richterspruch geklärt werden. Wichtig ist lediglich, dass die Behandlungskosten immer innerhalb von drei Jahren nach Fälligkeit geltend gemacht werden. Andreas V. kann also nicht erst im Jahr 2046 Behandlungskosten aus dem Jahr 2023 geltend machen, sondern muss das schon 2026 tun.
Rechtsdepesche: Fehlerhafte Behandlungen passieren immer wieder. Was raten Sie Betroffenen, damit ihnen schnellstmöglich geholfen wird?
Kaum qualifizierte Hilfe für chronische Wunden
Godejohann: Medizinische Hilfe für eine chronische Wunde zu bekommen, ist wirklich schwierig. Was die Wundversorgung angeht, ist in vielen Kliniken einfach nicht die Expertise vorhanden. Andreas V. hat sich sehr intensiv selbst darum gekümmert, qualifizierte Hilfe zu bekommen. Anderen Patienten könnte ich auch nur raten, selber aktiv zu werden.
Wenn ich zum Hausarzt gehe und frage ‚Was mache ich mit meiner chronischen Wunde‘, dann kann ich Glück haben und es funktioniert. Aber gerade bei komplizierten Wunden sollte schon die beste Behandlung gewählt werden, die zur Verfügung steht. Je spezialisierter die Einrichtung auf dem Gebiet der Wundversorgung ist, desto besser ist das natürlich.
Die jüngsten Entwicklungen in der Wundversorgung durch spezialisierte Einrichtungen und spezialisierte Pflegedienste sind da sehr hoffnungsstiftend. Für die betroffenen Patienten wäre es wunderbar, wenn diese Angebote flächendeckend zur Verfügung stünden und weite Wege erspart blieben.
Rechtsdepesche: Wie bewerten Sie denn das Risiko für Betroffene in solchen Fällen in Vorkasse gehen zu müssen?
Godejohann: Das ist ein wahnsinniges Risiko. Im Fall von Andreas V. sind das immense Kosten für die Plasmabehandlung, die er vorstrecken musste. Das kann sicherlich nicht jeder, weil es hier um Beträge von mehreren tausend Euro pro Jahr geht. Und dem ist man als Betroffener einfach ausgeliefert. Die Grundversorgung ist allerdings durch die gesetzliche Krankenversicherung abgedeckt.
Es ist also nicht so, dass man seine Ansprüche gegenüber der Krankenkasse verliert, nur weil man auf der anderen Seite einen Schädiger hat, der haften muss. Wie jeder andere Patient auch, hat man Ansprüche an die eigene Krankenversicherung. Aber alles, was darüber hinaus geht, muss selbst bezahlt werden, wenn der Schädiger die Kostentragung verweigert. Das ist ein enormes finanzielles Risiko für Betroffene.
Zur Person: Henrik Godejohann ist Fachanwalt für Versicherungs- und Medizinrecht. Er ist Teil der Anwaltssozietät Godejohann/Lange/Wolff in Bielefeld.