Mit dem neuen Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) sollen Terminservicestellen ausgebaut werden und gesetzlich Versicherte mehr Sprechstunden angeboten bekommen.
Mit dem neuen Termin­ser­vice- und Versor­gungs­ge­setz (TSVG) sollen Termin­ser­vice­stel­len ausge­baut werden und gesetz­lich Versi­cherte mehr Sprech­stun­den und schnel­ler Termine angebo­ten bekom­men. Bild: © Monkey Business Images

Vor Kurzem ist das Termin­ser­vice- und Versor­gungs­ge­setz (TSVG) vom Bundes­tag beschlos­sen worden. Kern des Geset­zes ist der Ausbau der Termin­ser­vice­stel­len, wodurch gesetz­lich Versi­cherte mehr Sprech­stun­den angebo­ten und schnel­ler Termine bekom­men sollen. Das Gesetz wurde bereits vor Verab­schie­dung sehr breit und kritisch disku­tiert und auch jetzt gibt es immer noch zahlrei­che kriti­sche Stimmen zu dem neuen Gesetz.

Die Rechts­de­pe­sche-Redak­tion wollte es genauer wissen und hat eine Ärztin zu dem neuen Gesetz befragt. Frau Dr. Andrea Heine­mann ist Fachärz­tin für Allge­mein­me­di­zin in einer Hausärzt­li­chen Gemein­schafts­pra­xis (auch Hausbe­su­che) in München und eines lässt sich vorweg sagen: auf Zustim­mung trifft das TSVG bei ihr nicht.

Rechts­de­pe­sche: Frau Dr. Heine­mann, gerade wurde im Bundes­tag das TSVG verab­schie­det, das Termin­ser­vice- und Versor­gungs­ge­setz. Am meisten Aufmerk­sam­keit unter den geplan­ten Maßnah­men haben aus Patien­ten­sicht die Termin­ser­vice­stel­len bekom­men. Damit sollen Patien­ten schnel­ler als bisher einen Termin beim Arzt bekom­men. Sie führen selbst eine Hausarzt­pra­xis in München. Was halten Sie von dieser Idee?

Dr. Andrea Heine­mann: Das ist Geldver­schwen­dung. Das nutzt nur den Patien­ten, denen es egal ist, zu wem sie gehen. Norma­ler­weise möchten die Patien­ten aber möglichst den besten Arzt – oder wenigs­tens einen Arzt, bei dem sie sich gut aufge­ho­ben fühlen. Die guten Ärzte sind alle voll. Da kenne ich keine Ausnahme, außer vielleicht bei Kolle­gen, die gerade erst ihre Praxis aufge­macht haben.

Auch wenn ich mir damit keine Freunde mache: Die Service­stel­len helfen voraus­sicht­lich nur den Ärzten, die zu wenig zu tun haben. Und wenn man mal ein bisschen nachdenkt, woran das liegt, hilft diese Maßnahme dann auch nicht wirklich den Patien­ten. Warum hat denn ein Arzt Zeit? Die Frage kann sich jeder selbst beant­wor­ten.

Um es kurz zu machen: Diese Idee kostet einen Haufen Geld, das dem System an anderer Stelle fehlt. Da müssen ja wieder Leute am Telefon sitzen, die es nicht umsonst gibt. Die brauchen für ihre Telefone eine Infra­struk­tur. Wozu das alles? Wenn ich in meiner Praxis erkenne, dass es sich um einen dringen­den Fall handelt, bekommt der Patient auch noch am gleichen Tag seinen Termin. Dafür brauchen wir keine Service­stelle.

Rechts­de­pe­sche: Hilft der Vorschlag also nieman­dem?

Heine­mann: Wo die Idee wahrschein­lich hilft, ist bei der Psycho­the­ra­pie. Da ist es wirklich arg mit den Termi­nen. Ansons­ten bin ich da skeptisch. Wenn man einen Schnup­fen hat, geht man in die nächste Praxis, die Bereit­schafts­dienst hat. Da geht es nicht um eine optimale Versor­gungs­pla­nung. Wenn man zum Gynäko­lo­gen muss oder zum Ortho­pä­den: Wie sinnvoll ist da eine Zuwei­sung per Zufall?

Rechts­de­pe­sche: Wie stehen Sie zu der Forde­rung aus dem Gesetz, dass der Versor­gungs­auf­trag der Ärzte ab sofort auf 25 Wochen­stun­den ausge­wei­tet wird?

Heine­mann: Da verstehe ich nicht, was das ganz praktisch verbes­sern soll. Richtige Einzel­kämp­fer gibt es ja kaum noch. Die meisten Ärzte dürften heute schon in Praxis­ge­mein­schaft oder einer BAG arbei­ten, also einer Berufs­aus­übungs­ge­mein­schaft. Damit sind die Öffnungs­zei­ten sowieso bei deutlich über 25 Wochen­stun­den. Aller­dings gibt es grund­sätz­lich durch­aus Verbes­se­rungs­be­darf. Ich kenne auch Kolle­gen, die einen ganzen Sitz haben und trotz­dem nur drei Tage in der Woche die Türe aufsper­ren.

Rechts­de­pe­sche: Wie überle­ben denn diese Praxen?

Heine­mann: Die machen zum Beispiel schwer­punkt­mä­ßig Schmerz­the­ra­pien, die einfach besser vergü­tet werden. Oder sie spezia­li­sie­ren sich gleich ganz auf Scheichs. Die kommen schon seit langem gern nach München. Da braucht man dann natür­lich weniger Kassen­pa­ti­en­ten.

Rechts­de­pe­sche: Für neu aufge­nom­mene Patien­ten soll es Zuschläge außer­halb der ärztli­chen Budgets von bis zu 50 Prozent geben. Das müsste Sie doch freuen!

Heine­mann: Können Sie sich daran erinnern, was ich eingangs gesagt habe? Meine Praxis ist voll. Diese Zuschläge kommen dann den Kolle­gen zugute, bei denen man sich fragen muss, warum ihre Praxis nicht voll ist. Das ist ein Schmarrn, dass es der Sau graust.

Rechts­de­pe­sche: Und was halten Sie von der Förde­rung der Weiter­bil­dungs­stel­len von 1.000 auf 2.000?

Heine­mann: Klingt gut, hilft aber nicht, weil es gar keine Ärzte gibt, die man weiter­bil­den könnte. Das System funktio­niert so, dass eine Allge­mein­me­di­zi­ni­sche Praxis ein nettes Förder­geld bekommt, wenn ein angehen­der Arzt dort einen Teil seiner Facharzt­aus­bil­dung absol­viert. Damit kann sie den Assis­tenz­arzt bezah­len, der gerade von seinen zwei Jahren in der Klinik kommt und jetzt noch drei Jahre im wahren Leben vor sich hat. Die Idee ist sinnvoll, und das ist theore­tisch auch ein Erfolgs­mo­dell. Das schei­tert aber daran, dass es einfach keinen Nachwuchs gibt. Es schei­tert schon jetzt nicht am Angebot, sondern an der Nachfrage.

Rechts­de­pe­sche: Physio­the­ra­peu­ten sollen unabhän­gi­ger über die Behand­lung entschei­den können; Ärzte sollen dafür Blanko­re­zepte ausstel­len.

Heine­mann: Mei, kein Arzt braucht es, wenn ihm die Thera­peu­ten in den Ohren liegen und bitten, dass er Manuelle Thera­pie aufschreibt, weil sie nur davon einiger­ma­ßen leben können. Und mir sagen immer wieder Patien­ten, dass ich Kranken­gym­nas­tik gar nicht mehr aufschrei­ben muss, weil ihnen dieses Rezept kein Physio­the­ra­peut abnimmt. Dann soll aber auch der Regress bei den Physio­the­ra­peu­ten landen. Was nicht geht, ist eine Haftung der Ärzte für Entschei­dun­gen der Physio­the­ra­peu­ten. Geschei­ter wäre, dass die Thera­peu­ten ihr eigenes Budget bekom­men und ihre eigene Verant­wor­tung.

Bisher liegt das Budget für uns fast komplett im Nebel. Die Kassen schaf­fen da keine Trans­pa­renz. Wenn ich mich mit Kolle­gen treffe, hat der eine schon eine Verwar­nung von der KV, der andere nicht, und keiner weiß warum. Bei anderen Leistun­gen ist das einiger­ma­ßen sauber aufge­schlüs­selt. Da ist die Ampel mal rot, mal ist sie grün. Bei der Physio­the­ra­pie werden die Ärzte in Unsicher­heit gehal­ten. Das führt natür­lich zum offen­bar gewünsch­ten Effekt, nämlich dass man auf der Bremse steht und weniger verord­net. Niemand braucht zu seinem Glück eine Vorla­dung von der KV wegen Regres­san­dro­hung. Im Inter­esse der Patien­ten ist das alles sicher­lich nicht.

Rechts­de­pe­sche: Da ist die KV also immer noch Erfül­lungs­ge­hilfe der Kassen? Manche Dinge ändern sich offen­bar nie. Manches soll sich aber doch ändern. So soll es bald eine ePA geben, eine elektro­ni­sche Patien­ten­akte. Was halten Sie davon?

Heine­mann: Gerade für Patien­ten mit sehr vielen Medika­men­ten ist das sicher­lich sinnvoll. Und für Röntgen­bil­der oder MRT. Und für Impfpässe. Die Leut‘ haben ja nie ihre Impfpässe dabei. Blutgrup­pen werden sicher­lich trotz­dem jedes­mal neu bestimmt. Da wäre jeder Irrtum tödlich. Dafür sind die Karten zu anfäl­lig für Manipu­la­tio­nen. Die ePA soll ja jeder Patient auf seinem Smart­phone haben, und er soll ganz frei entschei­den können, welche Daten er auf die Karte lädt und welche er löscht. Das hört sich natür­lich nach Verbrau­cher­schutz an und klingt erstmal gut. Ob der Verbrau­cher, also der Patient, damit am Ende wirklich optimal geschützt ist, wenn er mit der Karte machen kann, was er will, werden wir sehen.

Rechts­de­pe­sche: Was steht noch im TSVG? Die Gehäl­ter der Bundes­vor­stände von Kassen und KV sollen einge­fro­ren werden. Der KBV-Chef bekommt zum Beispiel weit über 300.000 Euro im Jahr.

Heine­mann: Neid ist ja eine Todsünde, und ich gönne jedem sein Geld, aber 300.000 Euro – das ist so viel wie die Bundes­kanz­le­rin. Das müsste eigent­lich reichen, gelt? Da wird niemand erfrie­ren beim Einfrie­ren.

Rechts­de­pe­sche: Letzte Frage: Der Regress­schutz soll verbes­sert werden, vor allem für Landarzt­pra­xen.

Heine­mann: Das passt schon. Die Schein­zahl einer Allge­mein­arzt­pra­xis ist in Bayern bei um die 880. Als Landarzt mit großem Einzugs­ge­biet landet man schnell mal bei 2000 Schei­nen. Da wird man dann nur noch abgestaf­felt bezahlt. Man wird also heute bestraft dafür, Landarzt zu sein. Das gehört abgeschafft. Also ist das eine gute Idee.