Demenz
Volker Großkopf, Initia­tor und Co-Gastge­ber des JHC, zusam­men mit Marina Filipo­vic, Pflege­di­rek­to­rin der Unikli­nik Köln.

„Wir erwar­ten, dass in einigen Jahrzehn­ten rund drei Millio­nen Menschen in Deutsch­land demen­zi­ell erkrankt sein werden. Das wird die Gesell­schaft grund­le­gend verän­dern“, betonte Marina Filipo­vic, Pflege­di­rek­to­rin und Mitglied im Vorstand der Unikli­nik Köln, in ihrem Grußwort zur Eröff­nung der siebten „Pflege­fort­bil­dung des Westens“ (JHC) in den Kölner Sartory-Sälen. „Drei Millio­nen auf 82 Millio­nen Menschen klingt erstmal nicht nach viel, aber mein Heimat­land Kroatien hat gerade einmal 3,8 Millio­nen Einwoh­ner. Es wird eine riesige gesell­schaft­li­che Heraus­for­de­rung, das System ist darauf nicht ausge­rich­tet.“

Steigende Demenz-Fallzah­len bedeu­ten große Heraus­for­de­run­gen für die Pflege

Etwas Hoffnung könne man auf die Entwick­lung von Alzhei­mer- und Demenz-Medika­men­ten setzen, ergänzte Prof. Dr. Volker Großkopf, Co-Gastge­ber und Initia­tor der jährli­chen Fortbil­dung. Dabei zog er einen Vergleich zu Organ­trans­plan­ta­tio­nen und der HIV-Thera­pie, wo die Entwick­lung vor Jahrzehn­ten ebenfalls mit beschei­de­nen Resul­ta­ten begann. „Damals überleb­ten die meisten Organ­emp­fän­ger nicht mal ein Jahr, die ersten Empfän­ger einer HIV-Medika­men­ten­the­ra­pie starben an den Neben­wir­kun­gen. Heute dagegen können sie ein nahezu norma­les Leben leben.“

Demenz
Volles Haus in den Sartory-Sälen in Köln.

Vor knapp 400 Gästen fand im Oster­mann-Saal des Sartory-Veran­stal­tungs­zen­trum die siebte Auflage der jährlich im Frühjahr statt­fin­den­den Fortbil­dung von G&S‑Verlag und den PWG-Semina­ren, sowie der Unikli­nik Köln und der Berufs­ge­nos­sen­schaft für Gesund­heits­dienst und Wohlfahrts­pflege (BGW) als Partner, statt. „Demenz: Wenn Erinne­run­gen verblas­sen“ war das diesjäh­rige Schwer­punkt­thema – denn durch den demogra­fi­schen Wandel und die in den vergan­ge­nen Jahrzehn­ten massiv gestie­gene Lebens­er­war­tung gewinnt Demenz, als klassi­sche Erkran­kung in hohem Lebens­al­ter, immer mehr an Bedeu­tung.

Auch für die Pflege ist es eine riesige Heraus­for­de­rung, an Demenz erkrankte Menschen zu betreuen. „Pflege­fach­per­so­nen stehen in einem Spannungs­feld zwischen den zu Pflegen­den, ihren Angehö­ri­gen, gesetz­li­chen Vorga­ben und den Leitun­gen. Das merken wir bei der BGW sehr genau, wir tun alles, um die Betrof­fe­nen zu stärken“, so Markus Taddi­cken, Geschäfts­füh­rer der Bezirks­ver­wal­tung Bochum bei der BGW.

Früherken­nung und recht­zei­ti­ger Thera­pie­start sind bedeu­tend – Präven­tion spielt sehr große Rolle

In seinem Vortrag „Demenz – ein schick­sal­haf­tes Ereig­nis? – Mehr als eine medizi­ni­sche und pflege­ri­sche Versor­gung“ ging Prof. Dr. med. Helmut Frohn­ho­fen, leiten­der Arzt der Alters­me­di­zin an der Klinik für Ortho­pä­die und Unfall­chir­ur­gie am Univer­si­täts­kli­ni­kum Düssel­dorf (UKD), auf die beson­de­ren Heraus­for­de­run­gen auf Station sowie auf Risiko­fak­to­ren und Präven­ti­ons-Ansätze ein. „Wir hatten damals in der Klinik einen eigenen Demenz-Bereich mit 15 Perso­nen. Es war unruhig, aber für die Patien­ten war es gemüt­lich. Mit Betreu­ern struk­tu­rier­ten sie ihren Tag. Wir brauch­ten ganz selten Neuro­lep­tika einset­zen. Unsere Kranken­häu­ser sind heute nicht einge­rich­tet auf diese große Zahl an Demenz­pa­ti­en­ten. Wir müssen uns darauf konzen­trie­ren, Rahmen­be­din­gun­gen zu schaf­fen für sie.“

Da die Krank­heit schlei­chend verlaufe, sei es von Bedeu­tung, früh mit der Thera­pie zu begin­nen. „Gerade in den ersten Phasen ist es ganz wichtig, eine Demenz anzuspre­chen, denn da kann die Vorsorge noch greifen.“ Diese bestehe nur aus einem kleinen Teil aus Medika­tion; immens wichtig seien körper­li­che Aktivi­tät, kreative Anregung und eine gesunde Lebens­weise.

Sascha Saßen, neuer CEO der Berli­ner hesena-Gruppe, sprach in seinem Referat „Exper­ten­stan­dard zur Bezie­hungs­ge­stal­tung in der Pflege von Menschen mit Demenz – Strate­gien der Umset­zung“ über die Imple­men­tie­rung eines adäqua­ten Demenz-Angebots in Einrich­tun­gen. Insbe­son­dere der „Demenz­par­cours“, ein Simula­ti­ons­set, dessen Kompo­nen­ten die Sinnes­leis­tun­gen und Beweg­lich­keit der Teilneh­mer herab­set­zen, sei ein hervor­ra­gen­des Schulungs­in­stru­ment, um sich in die Lage der betrof­fe­nen Patien­ten hinein­zu­ver­set­zen.

Bei dem Satel­li­ten­sym­po­sium der BGW, stellte der ehema­lige Pflege­di­rek­tor der LVR Klinik Köln Frank Allisat, sehr nachvoll­zieh­bar, die Strate­gien im Umgang mit heraus­for­dern­den Verhal­ten bei Demenz vor. Neben dem Exper­ten­stan­dard zur Bezie­hungs­ge­stal­tung in der Pflege von Menschen mit Demenz, erwei­terte er das Thema auf den Umgang mit Aggres­sio­nen im Gesund­heits­be­reich und in der Verwal­tung. Hier wurde sehr deutlich die Rolle des Arbeits­ge­bers beschrie­ben, die Folgen für die Mitar­bei­ten­den und in erster Linie eine Fülle von Präven­ti­ons­maß­nah­men thema­ti­siert.

Hierzu zählen u.a. die struk­tu­rel­len Präven­ti­ons­maß­nah­men, die Kommu­ni­ka­tion und die Körper­spra­che. Aber auch die sinnvolle Beschäf­ti­gung und viel Bewegung. Im Diskus­si­ons-Austausch mit Teilneh­mern ging es um prakti­sche Beispiele, bis zum Deeska­la­ti­ons­kon­zept (Vor- und Nachsorge und Möglich­kei­ten der gesetz­li­chen Unfall­ver­si­che­rung). Danach wurden noch prakti­sche körper­li­che Übungen für den Pflege­all­tag gezeigt. Das Seminar wurde sehr gut bei den Teilneh­men­den angenom­men.

Demenz
Gabriele Stern sprach auf dem Kongress über die Demenz­er­kran­kung ihres Eheman­nes.

„Machen Sie sich noch zwei schöne Jahre, dann erken­nen Sie ihre Frau nicht mehr“

Für einen emotio­na­len Höhepunkt sorgte Gabriele Stern, Wundthe­ra­peu­tin und Inhabe­rin eines ambulan­ten Thera­pie­zen­trums in Bocholt, mit ihrem Programm­punkt „Im Schat­ten des Verges­sens – Ein Bericht über Liebe, Geduld und Hoffnung“. Darin zeich­nete sie die Entwick­lung ihres an Alzhei­mer erkrank­ten Mannes nach, als Fallbei­spiel aus erster Hand für die Entwick­lung einer Demenz.

Früher sei er topfit gewesen, habe unter anderem als Hunde­trai­ner für den Bundes­grenz­schutz sowie Höhlen­tau­cher gearbei­tet. „Aufge­fal­len ist es mir vor fünf Jahren, als ich seine Dampfe im Kühlschrank fand und mir dachte, irgend­et­was stimmt nicht.“ Vor zwei Jahren bekam er dann die Diagnose. „Machen Sie sich noch zwei schöne Jahre, dann erken­nen Sie Ihre Frau nicht mehr!“, habe ihm der Arzt damals geraten. Sie berich­tete über den schritt­wei­sen Verlust von Alltags­fä­hig­kei­ten bei ihrem Mann, und der krank­heits­be­ding­ten Verstär­kung von negati­ven Eigen­schaf­ten. Einzig zu ihrem Haushund Nero habe er eine tiefe emotio­nale Verbin­dung; dieser wurde zu seinem Binde­glied zur Außen­welt. Dennoch ermög­licht es ihre humorige Art und die Freude an ihrer wundthe­ra­peu­ti­schen Arbeit, die emotio­na­len Belas­tun­gen zu verar­bei­ten.

Demenz
Auch das Pibli­kum hatte beim Kongress die Möglich­keit, eigene Perspek­ti­ven zum Thema zu teilen.

Für Aufklä­rung und teils große Überra­schung sorgte der Vortrag von Rechts­an­walt Hubert Klein (Bonn/Köln) zur Relevanz von „natür­li­chem Willen“ im Medizin­recht. RA Klein führte zunächst aus, wie beacht­lich der Wille und die Wünsche von unter Betreu­ung stehen­den Patien­ten sind. Seit 1992 werden Erwach­sene nicht mehr entmün­digt, sie erhal­ten mit einem Betreuer nur einen Vertre­ter. Und wenn der Betreute im Einzel­fall die Vor- und Nachteile einer medizi­ni­schen Maßnahme noch selbst einschät­zen und gegen­ein­an­der abwägen kann, soll er den medizi­ni­schen Eingriff beim Arzt auch selbst bewil­li­gen, oder wirksam ableh­nen. Dabei kann sich der einwil­li­gungs­fä­hige, betreute Patient wegen Artikel 2 Absatz 2 Grund­ge­setz sogar gegen den Willen seines Betreu­ers stellen.

Den natür­li­chen Willen Demenz­kran­ker schüt­zen

Selbst wenn der Mensch keine 100%-ige Geistes­kraft mehr besitzt, verbleibt immer noch ein Schutz vor Zwangs­be­hand­lung. Vor einer „ärztli­chen Zwangs­maß­nahme“ müssen die Vorga­ben des § 1832 BGB erfüllt sein. Der Patient braucht einen Betreuer oder Bevoll­mäch­tig­ten, denen kraft ihrer Urkun­den Gesund­heits­ent­schei­dun­gen zuste­hen. Diese müssen dann zunächst die Einwil­li­gung in die strei­tige medizi­ni­sche Behand­lung ihres Klien­ten prüfen und die Behand­lung bewil­li­gen. Sodann muss die Behand­lungs­ein­wil­li­gung des Vertre­ters aber zusätz­lich noch alle Vorga­ben des § 1832 BGB erfül­len. Insbe­son­dere ist hier ein Antrag auf richter­li­che Geneh­mi­gung erfor­der­lich. Fehlt ein Punkt der Schutz­vor­ga­ben des § 1832 BGB, wird der Richter die Zwangs­be­hand­lung gegen den Willen des geistig einge­schränk­ten Patien­ten nicht geneh­mi­gen; die Zwangs­be­hand­lung muss unter­blei­ben.

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Rechts­an­walt Hubert Klein sprach über den „natür­li­chen Willen“ demenz­kran­ker Patien­ten.

Dr. Alexan­der Risse bot den Zuhörern im Anschluss den ärztli­chen Blick auf das Thema Demenz mit anthro­po­so­phi­scher Note. Nach seiner Einschät­zung werden die tiefgrei­fen­den Verän­de­run­gen der Persön­lich­keit oft nicht ausrei­chend erkannt oder diagnos­ti­ziert. Ein entschei­den­des Problem ist das fehlende psycho­pa­tho­lo­gi­sche Wissen vieler junger Ärzte, kombi­niert mit einem Mangel an Zeit, um bewährte diagnos­ti­sche Metho­den anzuwen­den. Gleich­zei­tig hat die gesell­schaft­li­che Wahrneh­mung und die Ausein­an­der­set­zung mit Demenz durch persön­li­che Erleb­nis­be­richte, Medien­bei­träge und promi­nente Fälle in der Vergan­gen­heit zuneh­mend an Bedeu­tung gewon­nen.

Am Ende besteht für uns alle die Heraus­for­de­rung, effek­tive Strate­gien zur Betreu­ung und Behand­lung zu entwi­ckeln, die nicht nur medizi­ni­sche Aspekte berück­sich­ti­gen, sondern auch die indivi­du­elle Lebens­qua­li­tät der Betrof­fe­nen sichern. Hilfreich hierfür sei es, so Risse eindring­lich, sich mit dem eigenen Alterungs­pro­zess ausein­an­der zu setzen.

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Die Innova­to­ren bei der diesjäh­ri­gen „Pflege­fort­bil­dung des Westens“.

Klang­the­ra­peu­ti­sches Instru­ment „CRDL“ macht das Rennen beim Innova­ti­ons­fo­rum

Für den spannen­den Schluss­punkt des Kongres­ses sorgte wiederum das Innova­ti­ons­fo­rum, das zugleich mit der ersten Auflage der „Pflege­fort­bil­dung des Westens“, dem frühe­ren JuraHe­alth Congress, im Jahr 2019 Premiere feierte. Zwölf Unter­neh­men präsen­tier­ten wiederum ihre Neuent­wick­lun­gen in 2:30-minütigen Kurzprä­sen­ta­tio­nen vor Publi­kum. Bei der online-gestütz­ten Abstim­mung unter den Gästen im Saal setzte sich das klang­the­ra­peu­ti­sche Gerät „CRDL“ aus dem nieder­län­di­schen Maastricht durch.

Das ovale Musik­in­stru­ment erzeugt Klänge und Melodien, wenn sich eine Gruppe von Menschen in den Händen hält und mit Bewegun­gen wie Tippen, Drücken oder Strei­cheln mitein­an­der inter­agiert; Präsen­ta­tor Ger Schui­vens führte bei seiner „Sieger­per­for­mance“ das Gerät mit allen übrigen Innova­ti­ons­fo­rums-Kandi­da­ten im Kreis stehend vor – ein weite­rer unver­gess­li­cher Moment des Kongres­ses. Den zweiten Platz des Innova­ti­ons­fo­rums belegte das Münche­ner Startup-Unter­neh­men Navel Robotics, das die Zuhörer mit ihrem auf moder­ner Compu­ter-Vision und Sprach­tech­no­lo­gie beruhen­den empathi­schen Roboter begeis­terte.

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Ger Schui­vens, Inhaber von Crdl, ist stolzer Gewin­ner des Innova­ti­ons­fo­rums.

Virtual-Reality-Techno­lo­gie errang auch den dritten Platz in der Gesamt­wer­tung. Das Leben erleben lautet das Motto von VitaBlick. Das öster­rei­chisch-burgun­di­sche Unter­neh­men ermög­licht Senio­rin­nen und Senio­ren 3D-Erleb­nis­rei­sen an ihre Sehnsuchtsorte. Das Innova­ti­ons­fo­rum 2025 war wieder einmal eine eindrucks­volle Bühne für visio­näre Ideen, die zeigen, wie Techno­lo­gie mensch­li­che Nähe, Empathie und Erleb­nisse neu gestal­ten kann – Die „Pflege­fort­bil­dung des Westens“ – JHC hat nicht nur Innova­tion präsen­tiert, sondern die Zukunft fühlbar gemacht.

Die nächste „Pflege­fort­bil­dung des Westens“ findet im 11. Juni 2026 statt. Zuvor noch steigt am 27. Novem­ber 2025, ebenfalls im Sartory, der von G&S‑Verlag und den PWG-Semina­ren organi­sierte „Inter­dis­zi­pli­näre WundCon­gress“, zu dem mehr als 1000 Teilneh­mer erwar­tet werden.