stationäre Behandlung
Symbol­bild: Weil sich eine Patien­tin zu oft außer­halb der Psych­ia­trie aufge­hal­ten haben soll, will ihre Kranken­kasse die Behand­lung nicht zahlen. Bild: © Sergiy Palamarchuk | Dreamstime.com

Rechnung über vollsta­tio­näre Behand­lung sorgt für Unmut

Im Herbst 2016 suchte eine damals 23-jährige Frau Hilfe in einer Hambur­ger Klinik. Die junge Versi­cherte litt unter anderem an einer rezidi­vie­ren­den depres­si­ven Störung und einer Border­line-Persön­lich­keits­stö­rung. Bereits im Frühjahr dessel­ben Jahres war sie in dersel­ben Klinik behan­delt worden. Nach einem Aufent­halt in der Türkei kehrte sie zurück – mit dem Bedürf­nis nach weite­rer Hilfe auf der Psycho­the­ra­pie­sta­tion. Vom 27. Septem­ber bis 8. Dezem­ber 2016 blieb sie erneut in der Klinik. Die Rechnung an ihre Kranken­kasse: 22.026,58 Euro.


Die Summe zahlte die Kranken­kasse zwar zunächst. Nach einiger Zeit regten sich aller­dings Zweifel: War die vollsta­tio­näre Behand­lung wirklich notwen­dig? Der Medizi­ni­sche Dienst wurde einge­schal­tet – und kurze Zeit später zog die Kasse das bereits gezahlte Geld wieder ein, indem sie es gegen andere Forde­run­gen der Klinik aufrech­nete.

Weil die Patien­tin sich zu einem erheb­li­chen Anteil ihres statio­nä­ren Aufent­halts, außer­halb der Klinik aufge­hal­ten habe, sei die vollsta­tio­näre Behand­lung nach Ansicht der Kasse nicht nötig gewesen. „Die Behand­lung der Versi­cher­ten, die sich etwa die Hälfte der vollsta­tio­nä­ren Behand­lungs­dauer nicht im Kranken­haus aufge­hal­ten habe, habe nicht dem Wesen einer vollsta­tio­nä­ren Behand­lung entspro­chen, sondern allen­falls einer inten­si­vier­ten ambulan­ten Behand­lung. Eine vollsta­tio­näre Behand­lung sei auch nicht erfor­der­lich gewesen“, heißt es von der Kasse.

Gerichte sehen medizi­ni­sche Notwen­dig­keit

Die Klinik wollte das nicht auf sich sitzen lassen und zog vor Gericht – mit Erfolg. Bereits das Sozial­ge­richt Hamburg gab ihr recht. Auch das Landes­so­zi­al­ge­richt bestä­tigte: Die vollsta­tio­näre Behand­lung war medizi­nisch notwen­dig.
Nun musste sich das Bundes­so­zi­al­ge­richt mit dem Fall beschäf­ti­gen – und wies die Revision der Kranken­kasse endgül­tig ab. Die entschei­dende Frage: Wann ist eine Behand­lung wirklich vollsta­tio­när – und wann handelt es sich nur um eine ambulante Thera­pie im Tarnman­tel?

Thera­pie braucht Stabi­li­tät – und ein freige­hal­te­nes Bett

Nach Ansicht des Gerichts sei nicht entschei­dend, ob sich die Patien­tin durch­ge­hend im Klinik­ge­bäude aufhielt. Maßgeb­lich sei vielmehr, ob die vollsta­tio­näre Behand­lung unter enger räumli­cher und funktio­nel­ler Anbin­dung an das Kranken­haus erfolgte – und ob jeder­zeit eine Rückkehr­mög­lich­keit bestand.

In diesem Fall war die Antwort klar: ja, die Klinik hielt während der gesam­ten Zeit ein Bett für die Patien­tin frei. Die sogenann­ten „Belas­tungs­er­pro­bun­gen“ – also gezielte Aufent­halte außer­halb der Klinik unter thera­peu­ti­scher Beobach­tung – waren laut Gericht Teil des Gesamt­kon­zepts und nicht als „Freizeit“ zu werten. Das gehöre zu moder­nen multi­mo­da­len und multi­pro­fes­sio­nel­len Thera­pie­an­sät­zen schwe­rer psychi­scher Erkran­kun­gen.

Die Richter beton­ten außer­dem die Wichtig­keit einer stabi­len thera­peu­ti­schen Bezie­hung, insbe­son­dere bei Patien­tin­nen mit Border­line-Störung. Ein abrup­ter Abbruch oder eine vorzei­tige Entlas­sung wäre demnach nicht zu verant­wor­ten gewesen.

Kein Verfah­rens­feh­ler – keine Chance für die Kasse

Entge­gen der Vorwürfe der beklag­ten Kranken­kasse erkannte das Gericht auch keine Verfah­rens­feh­ler in den Vorin­stan­zen. Der Versuch der Kasse, das Urteil wegen angeb­li­cher Fehler im Prozess zu kippen schei­terte somit auch. Das Bundes­so­zi­al­ge­richt stellte klar: Die Vorin­stan­zen hätten sorgfäl­tig gearbei­tet, insbe­son­dere gestützt auf ein überzeu­gen­des medizi­ni­sches Sachver­stän­di­gen­gut­ach­ten.

FAQ

Was bedeu­tet statio­näre Behand­lung?

Eine statio­näre Behand­lung bedeu­tet, dass Patien­tin­nen und Patien­ten für eine bestimmte Zeit rund um die Uhr in einer Klinik oder einem Kranken­haus aufge­nom­men und medizi­nisch betreut werden. Sie schla­fen dort, nehmen an Thera­pien teil und erhal­ten umfas­sende Versor­gung. Diese Form der Behand­lung bietet eine inten­sive Betreu­ung, die bei schwe­ren psychi­schen Erkran­kun­gen notwen­dig sein kann. Eine Behand­lung gilt als vollsta­tio­när, wenn sie unter enger räumli­cher und funktio­nel­ler Anbin­dung an das Kranken­haus erfolgt – unabhän­gig davon, ob sich die Patien­tin ständig im Gebäude aufhält.

Wann ist eine statio­näre Behand­lung bei Depres­sio­nen notwen­dig?

Eine statio­näre Behand­lung bei Depres­sio­nen ist notwen­dig, wenn ambulante Maßnah­men nicht ausrei­chen, die Symptome stark ausge­prägt sind oder eine akute Selbst­ge­fähr­dung besteht. Auch bei komple­xen Diagno­sen wie einer Border­line-Störung in Kombi­na­tion mit Depres­sio­nen kann eine engma­schige thera­peu­ti­sche Beglei­tung in einer Klinik erfor­der­lich sein. Dabei zählt nicht nur der Aufent­halt in der Klinik selbst, sondern auch die thera­peu­ti­sche Struk­tur und ein freige­hal­te­ner Platz für Stabi­li­tät und Rückkehr­mög­lich­kei­ten.
Quelle: B 1 KR 31/23 R