Personalbemessungsinstrument vorgestellt
Das von Prof. Dr. Heinz Rothgang und seinem Team entwickelte, einheitliche Personalbemessungsverfahren für Pflegeeinrichtungen wurde am 25. Februar 2020 in Berlin vorgestellt. Der Fachveranstaltung „Vorstellung der ersten wissenschaftlichen Ergebnisse zur Personalbemessung in der Langzeitpflege“ wohnte auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bei.
Von Juli 2017 bis September 2019 wurde das Verfahren im Auftrag der Pflege-Selbstverwaltung entwickelt und von der Abteilung Gesundheit, Pflege und Alterssicherung der Universität Bremen zusammen mit dem Forschungszentrum SOCIUM durchgeführt. Man untersuchte und bewertete die pflegerische Versorgung 1.380 Pflegebedürftiger hinsichtlich ihrer Fachgerechtigkeit. Dabei beteiligten sich insgesamt 241 Datenerheber, die in 62 Erhebungseinheiten auf 15 Bundesländer aufgeteilt wurden. Die Forscher erfassten, wie lange das Pflegepersonal für verschiedenste Aufgaben unter Einhaltung aller Vorschriften benötigt.
Herausgekommen ist ein Personalbemessungssystem, mit welchem erstmalig wissenschaftlich der fachlich angemessene Personalbedarf für die Versorgung der Pflegebedürftigen berechnet werden kann. Pflegeeinrichtungen und Kostenträger können somit individuell die Menge des benötigten Pflegepersonals, differenziert nach Qualifikationsniveau, empirisch ermitteln.
Bisher seien Personalschlüssel in der Pflege immer nur „politische Werte” gewesen, die von Bundesland zu Bundesland willkürlich und realitätsfern festgelegt worden wären, so die Aussage von Gerontologe Thomas Kalwitzki vom SOCIUM. Das neue Verfahren wiederum soll eine unabhängige Ermittlung des individuellen Personalbedarfs einer Einrichtung ermöglichen. Die Pflegegrade der Bewohner, die benötigte Zeit sowie das bedarfsgerechte Qualifikationsniveau finden in dem Verfahren Anerkennung.
Hoher Mangel an Assistenzkräften
Die Untersuchungen brachten das bereits bekannte Problem ans Licht: Zu wenige Pflegekräfte haben zu wenig Zeit für zu viele Aufgaben.
Für eine Referenz-Einrichtung mit 100 Bewohnern in einer bundesdurchschnittlichen Pflegegradverteilung wurde ein Personalmehrbedarf in Höhe von 36 Prozent festgestellt. Insgesamt fehlen laut der Studie deutlich mehr Pflegekräfte, als bis dato angenommen. Bundesweit werden etwa 440.000 Pflegerinnen und Pfleger benötigt. Während bei den Pflegefachkräften lediglich ein Zuwachs von 3,5 Prozent erforderlich ist, herrscht insbesondere im Bereich der stationären Assistenzkräfte Nachholbedarf. Den Berechnungen zufolge ist hier eine Personalmehrung um 69 Prozent erforderlich. Je nach Bewohnerstruktur der Einrichtungen ergeben sich damit unterschiedliche Mischungen der Ausbildungs- und Qualifikationsniveaus. Das Personalbemessungsinstrument verzichtet dabei auf die einheitlich geltende ordnungsrechtliche Fachkraftquote von 50 Prozent, sondern ersetzt diese durch einrichtungsindividuelle bedarfsorientierte Fachkraftanteile.
Verfahren soll erprobt werden
Bis Juni 2020 erproben die Forscher der Uni Bremen nun das Verfahren. Der Auftrag wurde ihnen vom Bund erteilt. Damit das Bemessungssystem auch zukünftig eingesetzt werden kann, wurden zwei Schritte zur Umsetzung vorgestellt. Schritt eins sieht eine modellhafte Einführung des Verfahrens in 20 bis 30 Einrichtungen vor. Dabei stehe die Wirkung von Mehrpersonal unter Anwendung von Organisations- und Personalentwicklung hinsichtlich der Pflegequalität und Mitarbeiterzufriedenheit im Fokus. Zugleich soll in einem zweiten Schritt schon einmal mit der flächendeckenden Einführung von Mehrpersonal im Bereich der Assistenzkräfte begonnen werden.
Alle Infos zur Datenerhebung, Konzeption und den Ergebnissen der Studie sind im zweiten Zwischenbericht des Projektes einsehbar.
Quelle: SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik; butenunbinnen.de