Die schweren Unwetter in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 haben in vielen Regionen Deutschlands verheerende Schäden hinterlassen. Die Evakuierung von Kliniken und Heimen musste angeordnet werden, in vielen Einrichtungen ist noch nicht klar, wann eine normale Versorgung der Patienten wieder aufgenommen werden kann.
Kliniken und Heime sind besonders gefährdet
Im Lebenshilfehaus in Sinzig, einem Heim für Menschen mit Behinderung, sind 12 Bewohner ertrunken. Der genaue Ablauf konnte noch nicht rekonstruiert werden. Laut SWR hatte die Feuerwehr jedoch das Heim gewarnt und aufgefordert, die Bewohner zu evakuieren. Da aber die Nachtwache – wie in vielen Einrichtungen – nur aus einem einzigen Mitarbeiter bestand, kam die Flut zu schnell, um alle Bewohner retten zu können. Evakuierung fehlgschlagen.
Stationär aufgenommene Patienten und Bewohner von Pflegeheimen sind in Katastrophen besonders gefährdet: Ihre Beweglichkeit ist oft so stark eingeschränkt, dass sie keine Möglichkeit haben, sich selbst in Sicherheit zu bringen. Außerdem verzichten Heime teils bewusst auf laute Alarmsignale, um die Bewohner nicht in Panik zu versetzen und so zu verhindern, dass sie sich durch falsche Reaktionen selbst in Gefahr bringen.
Nachtschichten knapp besetzt
Auch die Feuerwehr kann oft nur bedingt helfen. Denn sie ist darauf angewiesen, dass sich Bewohner und Patienten bereits in einem sicheren Bereich befinden. Gerade das ist aber oft durch das Gesundheitspersonal nicht zu leisten, da Nachtschichten in der Regel nur mit der allernötigsten Anzahl von Pflegekräften besetzt sind.
Helmut Kneppe, Vorsitzender des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA), fordert deshalb, dass Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen bei der Neustrukturierung von Warn- und Rettungskonzepten stärker berücksichtigt werden: „Wir müssen […] Warn- und Rettungsstrukturen schaffen, die deutlich früher und nahe am jeweiligen Bedarf der Bewohner Hilfe schaffen.“
Evakuierung: Sind Pfleger verpflichtet zu helfen?
Wie der Jurist Prof. Dr. Volker Großkopf hier im Video erklärt, „nimmt [Gesundheitspersonal] aufgrund seiner Schutzpflicht gegenüber den Patienten und Bewohnern eine besondere Garantenstellung ein. Das heißt, es ergibt sich über den Arbeitsvertrag die Verpflichtung, Patienten und Bewohner im Rahmen der Zumutbarkeit vor Schaden zu schützen.“ Als zumutbar gilt dabei jede Hilfeleistung, die ohne erhebliche eigene Gefahr ausgeführt werden kann.
Das heißt, dass sich Pflegekräfte im Katastrophenfall folgende Fragen stellen müssen:
- Was kann dem Patienten oder Heimbewohner passieren, wenn ich nicht helfe? Wie wahrscheinlich ist das?
- Was kann mir zustoßen, wenn ich helfe? Wie wahrscheinlich ist das?
Natürlich muss sich auch ein sogenannter Garant nicht in Lebensgefahr bringen, um zu helfen. Verlässt aber das Gesundheitspersonal das Haus, obwohl eine Evakuierung der Bewohner ohne Eigengefährdung möglich gewesen wäre, drohen rechtliche Konsequenzen bis zum Vorwurf des Totschlags.
Was kann ich tun, um die Patienten besser zu schützen?
Viele Heime und Kliniken fragen sich jetzt: Was tun, wenn die nächste Flut kommt? Martin Voss, Leiter der Katastrophenforschungsstelle Berlin (KFS) an der FU-Berlin, geht im Gespräch mit tagesschau.de auf die Wichtigkeit von Präventionsmaßnahmen ein: „Wir müssen anfangen, präventiv zu denken. Also: Wie leben wir eigentlich und welche Risiken entstehen aus dieser Art zu leben? Damit hängt zusammen, wie wir unsere Landschaft gestalten, wie wir Städte planen, […]“
Besonders der letzte Punkt ist wichtig: Kliniken und Heime in dicht besiedelten Gebieten sind für Rettungsfahrzeuge schwer zugänglich, was eine schnelle Evakuierung erschwert.
Vorgehen nicht einheitlich geregelt
Grundsätzlich ist das Vorgehen in Katastrophenfällen für Heime und Kliniken in Deutschland nicht einheitlich geregelt. Jede Einrichtung sollte deshalb über einen detaillierten Plan für die Evakuierung verfügen, in dem unter anderem folgende Punkte behandelt werden:
- Welche Personen sind für die einzelnen Schritte zuständig und verantwortlich?
- Sind Flucht- und Rettungswege bekannt? Wo sind die Sammelplätze und wie gelangen gehfähige und bettlägerige Patienten/Bewohner dorthin?
- Wie läuft die Koordination mit Feuerwehr, THW und Katastrophenschutz?
- Wie können dienstfreie Beschäftigte informiert werden?
- Wie können Patienten/Bewohner identifiziert werden (z. B. Notfallarmband mit Patienteninformationen)?
- Wo können Patienten/Bewohner vorübergehend untergebracht werden? Welche Transportmittel stehen zur Verfügung?
- Ist die medizinische Versorgung der Patienten/Bewohner während des ganzen Ablaufs gewährleistet (zum Beispiel auch bei Winterevakuierungen)?
- Wie wird mit persönlichem Eigentum der Patienten/Bewohner verfahren?
- Wie werden Angehörige informiert?
Schulungen für alle Mitarbeiter
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die regelmäßige Schulung aller Mitarbeiter für den Ernstfall, die Evakuierung, damit alle Abläufe gut eingeübt sind.
Fest steht: Ein solches Jahrhunderthochwasser wird – nicht nur in Krankenhäusern und Pflegeheimen – hoffentlich immer den Ausnahmefall darstellen. Aber es gibt den Betreibern der Einrichtungen die Möglichkeit, bestehende Notfallpläne zu verbessern und so beim nächsten Mal vielleicht größere Sicherheit für Patienten, Bewohner und nicht zuletzt das Gesundheitspersonal bieten zu können.