Bei einer öffent­li­chen Anhörung des Gesund­heits­aus­schus­ses am Mittwoch im Bundes­tag wiesen die Fachleute darauf hin, dass ungeach­tet der vorge­se­he­nen Beitrags­satz­an­he­bung um 0,5 Prozent­punkte in dieser Legis­la­tur­pe­ri­ode das Reform­pro­jekt finan­zi­ell wohl nicht ausrei­chend abgesi­chert sei.

So werde sehr viel Geld gebraucht, um Tausende zusätz­li­che Pflege­kräfte angemes­sen zu bezah­len und eine regel­mä­ßige und ausrei­chende Dynami­sie­rung der Pflege­leis­tun­gen einzu­pla­nen. Der jetzt einma­lig vorge­se­hene Infla­ti­ons­aus­gleich in Höhe von vier Prozent liege an der unteren Grenze dessen, was nötig sei. Mit dem Pflege­vor­sor­ge­fonds zuguns­ten der gebur­ten­star­ken Jahrgänge werde überdies mit viel Geld wenig Wirkung erzielt. Verbands­ver­tre­ter monier­ten außer­dem, dass der neue Pflege­be­dürf­tig­keits­be­griff erst später kommen solle und damit das gesamte Projekt in der falschen Reihen­folge angegan­gen werde.

Das Pflege­re­form­ge­setz (BT-Drucks. 18/1798) sieht Anfang 2015 Leistungs­ver­bes­se­run­gen für Pflege­be­dürf­tige, Angehö­rige und Pflege­kräfte vor. Mit zwei „Pflege­stär­kungs­ge­set­zen“ sollen in dieser Wahlpe­ri­ode die Beiträge in zwei Schrit­ten um insge­samt 0,5 Prozent­punkte angeho­ben werden. Dadurch stehen dann rund sechs Milli­ar­den Euro mehr pro Jahr für die Pflege zur Verfü­gung. Mit dem neuen Pflege­be­dürf­tig­keits­be­griff soll es künftig fünf statt drei Pflege­stu­fen geben, um die Pflege­be­dürf­tig­keit genauer zuord­nen zu können. Dabei wird nicht mehr zwischen körper­li­chen, geisti­gen und psychi­schen Beein­träch­ti­gun­gen unter­schie­den. Vielmehr soll der Grad der Selbst­stän­dig­keit im Alltag entschei­dend sein. Das soll unter anderem den Demenz­kran­ken zugute­kom­men.

Beson­ders heftig fiel die Exper­ten­kri­tik am Vorsor­ge­fonds aus, der ab 2015 mit 0,1 Beitrags­satz­punk­ten (pro Jahr rund 1,2 Milli­ar­den Euro) 20 Jahre lang aufge­baut werden soll. Der Wirtschafts­for­scher Eckart Bomsdorf von der Univer­si­tät Köln rechnete vor, dass die Beitrags­satz­ent­las­tung auf dem Höhepunkt der Versor­gungs­kurve mit wenig mehr als 0,1 Prozent­punk­ten margi­nal wäre. Der Fonds hätte vor 20 Jahren schon aufge­legt werden müssen.

Er schlug daher vor, die Rücklage mit 0,25 Beitrags­satz­punk­ten anzuspa­ren und betonte: „Das Ziel ist richtig, aber der Weg ist schmal.“ Denkbar wäre alter­na­tiv auch, den Solida­ri­täts­zu­schlag in einen „Demogra­fie-Soli“ umzuwid­men zuguns­ten der Sozial­ver­si­che­rung. Ein Vertre­ter der Gewerk­schaft ver.di schlug vor, das Geld lieber in die Ausbil­dung des dringend benötig­ten Pflege­per­so­nals zu inves­tie­ren. So könnten mit dem Geld pro Jahr rund 70.000 Ausbil­dungs­plätze in der Alten­pflege finan­ziert werden. Die Arbeit­ge­ber (BDA) befürch­ten, das angesparte Geld könnte am Ende zweck­ent­frem­det werden und fordern, den Fonds auf Dauer anzule­gen.

Nach Ansicht des Deutschen Gewerk­schafts­bun­des (DGB) wird mit dem Gesetz­ent­wurf die Chance auf eine echte Struk­tur­re­form vertan. So fehle im Gesetz ein verbind­li­cher Zeitplan zur Umset­zung des neuen Pflege­be­dürf­tig­keits­be­griffs. Die Zeit dafür sei eh knapp und ein Pflege­be­griff „light“ sei nicht sinnvoll. Zudem sei fraglich, ob die dafür vorge­se­he­nen Mittel in Höhe von 0,2 Beitrags­satz­punk­ten überhaupt ausreich­ten.

Eine Pflege­voll­ver­si­che­rung wäre nach Darstel­lung der Exper­ten mit einer erheb­li­chen Beitrags­satz­er­hö­hung verbun­den. Statio­när wäre dies vorstell­bar, ambulant jedoch sehr schwer zu steuern, gab der Gesund­heits­öko­nom Heinz Rothgang von der Univer­si­tät Bremen zu beden­ken. Er erinnerte wie auch die Sozial­ver­bände daran, dass derzeit die Versi­cher­ten einen erheb­li­chen Teil der statio­nä­ren Pflege­kos­ten selbst tragen müssen. Der Sozial­ver­band Deutsch­land sprach sich in dem Zusam­men­hang für eine Pflege-Bürger­ver­si­che­rung aus, um mit mehr Beitrags­zah­lern auch mehr Geld in das System zu bringen.

Kritisch äußer­ten sich einige Exper­ten in der Anhörung auch über die staat­lich geför­derte private Pflege-Zusatz­ver­si­che­rung, den sogenann­ten Pflege-Bahr, auf dessen Abschaf­fung die Links­frak­tion mit einem Antrag (BT-Drucks. 18/591) zielt. Die Zusatz­ver­si­che­rung war zu Beginn des Jahres 2013 von dem damali­gen Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Daniel Bahr (FDP) einge­führt worden und lief eher schlep­pend an.

Rothgang sagte dazu, die Zusatz­ver­si­che­rung könne die Versor­gungs­lü­cke in der Pflege nicht schlie­ßen. Der Pflege-Bahr sei „ein Nischen­pro­dukt“ und komme eher den einkom­mens­star­ken Haushal­ten zugute, die sich eine solche Zusatz­ver­si­che­rung leisten könnten. Nach Ansicht der Verbrau­cher­zen­trale bleibt die Zusatz­ver­si­che­rung „ohne signi­fi­kante Wirkung“.

Nach Angaben des Verban­des der Priva­ten Kranken­ver­si­che­rung (PKV) haben rund 500.000 Bürger eine solche private Pflege­zu­satz­ver­si­che­rung abgeschlos­sen, darun­ter viele jüngere Leute. Mit der Einfüh­rung des Pflege-Bahr hätten sich aller­dings auch sehr viele Bürger für eine nicht geför­derte Pflege­zu­satz­ver­si­che­rung entschie­den. Hier gebe es inzwi­schen rund 2,3 Millio­nen Abschlüsse.