Laut einer Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) sind die sogenannten einrichtungseinheitlichen Eigenanteile (EEE) Mitte November 2022 im Vergleich zum Vorjahr um durchschnittlich 21 Prozent gestiegen. Der Kostenanstieg der Pflege im Heim ist zwar seit Jahren ein Thema – in den letzten fünf Jahren stieg der EEE jährlich zwischen elf und 14 Prozent –, erreicht aber dieses Jahr ein neues Level.
Pflegekosten für Ältere oft nicht finanzierbar
Seit dem 1. September müssen Pflegeeinrichtungen in Deutschland ihre Beschäftigten in Pflege oder Betreuung auf Tarifniveau bezahlen. Das bedeutet für die Pflegebedürftigen einen deutlichen Kostenanstieg. Die monatlichen pflegebedingten Kosten liegen laut der Auswertung aktuell bei 697 Euro.
Zusätzlich müssen die Pflegedürftigen die Kosten für Unterkunft und Verpflegung in Höhe von durchschnittlich 836 Euro sowie die Investitionskosten von durchschnittlich 468 Euro tragen. Sie müssen somit in der Summe durchschnittlich 2.001 Euro monatlich finanzieren – für viele ältere Menschen eine zu hohe Belastung, die nur mit Unterstützung der Angehörigen möglich ist.
Ein Blick auf die Detailergebnisse der einzelnen Bundesländer macht deutlich, dass es bei den selbst zu tragenden Pflegekosten von Bewohnerinnen und Bewohnern große regionale Unterschiede gibt. Die Spanne der pflegebedingten Kosten (nach Abzug der Leistungszuschläge) reicht laut der aktuellen WIdO-Analyse von 549 Euro pro Monat in Thüringen bis zu 878 Euro monatlich im Baden-Württemberg.
Durch die Anfang 2022 eingeführten Leistungszuschläge können sich die Kosten für Pflegebedürftige reduzieren, je nachdem, wie lange eine pflegebedürftige Person in der Einrichtung lebt. Bewohnerinnen und Bewohner, die bis zu einem Jahr in der Einrichtung leben, zahlen dadurch nach Erhalt der Zuschläge durchschnittlich 1.135 Euro selbst, Pflegebedürftige mit einem Wohnaufenthalt von einem bis zu zwei Jahren 896 Euro, bei zwei bis drei Jahren sind es 657 Euro. Ab einem Aufenthalt von mehr als drei Jahren fallen dann nur noch 358 Euro an.
Soziale Pflegeversicherung nicht ausreichend
Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, sieht die Politik in der Verantwortung: „Aufgrund der Konstruktion der Pflegeversicherung als Teilleistungssystem werden etwa 60 Prozent der zusätzlichen Kosten infolge der höheren Löhne an die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen weitergereicht, den Rest trägt die finanziell ohnehin angeschlagene Soziale Pflegeversicherung über die neu eingeführten Zuschläge.“
Trotz der Anfang des Jahres eingeführten Leistungszuschlags-Regelungen haben die von den Bewohnerinnen und Bewohnern selbst zu tragenden Pflegekosten nach der Analyse des WIdO schon jetzt wieder das Niveau von Ende 2018 erreicht.
„Die Politik ist gefordert, hier wirksam gegenzusteuern. Eine Entlastung kann erreicht werden, indem die Ausbildungskosten aus den Eigenanteilen der Pflegebedürftigen herausgenommen werden. Diese Maßnahme ist im Koalitionsvertrag vereinbart und sollte zeitnah umgesetzt werden“, so Reimann.
Am wichtigsten sei es, die von der Ampel geplante finanzielle Übernahme der medizinischen Behandlungspflege durch die gesetzliche Krankenversicherung jetzt schnell umzusetzen – und zwar so, dass damit auch die steigenden Eigenanteile reduziert werden. Die Investitionskosten der Einrichtungen – durchschnittlich 468 Euro monatlich –, die aktuell von den Pflegebedürftigen getragen werden müssen, sollen nach Forderung der AOK von den Ländern übernommen werden.
„Zudem sollten die Pflegeleistungen jährlich dynamisiert werden. Damit könnten die steigenden Eigenanteile der pflegebedürftigen Menschen ebenfalls verringert werden“, so Reimann. Ansonsten reichten die nach Aufenthaltsdauer gestaffelten Zuschläge nicht aus, um die Pflegebedürftigen mittel- und langfristig wirksam zu entlasten.
Kosten in der Pflege werden weiter steigen
Das Inkrafttreten des Tariflohns vom 1. September hat zu einem sprunghaften Anstieg der Kosten geführt. Aber auch die allgemeine Preisentwicklung in Deutschland – allen voran die aktuelle Energiekrise – wird sich in den Kosten der stationären Pflege niederschlagen. „Diese Entwicklungen werden sich auch in höheren Preisen für die professionelle Pflege niederschlagen“, befürchtet Reimann.
„Die Ausweitung der Wohngeld-Ansprüche für Bewohner in Einrichtungen ist ein Schritt in die richtige Richtung, reicht aber nicht aus, um die Pflegebedürftigen nachhaltig zu entlasten.“ Auch bei den Pflegediensten werde es zu weiteren Kostensteigerungen kommen, warnt Reimann: „Das wird in der ambulanten Pflege ebenfalls zu höheren Zuzahlungen oder zu Leistungseinschränkungen führen.“
Die demographische Entwicklung deutet klar auf einen weiteren Anstieg pflegebedürftiger Menschen hin. Gleichzeitig schaffen es viele Menschen nicht mehr, ihre Altersvorsorge aus eigenen Ersparnissen zu bestreiten. Damit kommen auf die Soziale Pflegeversicherung steigende Kosten zu.
Um diese wachsenden Belastungen meistern zu können, sei eine grundsätzliche und dauerhafte finanzielle Stabilisierung der angeschlagenen Pflegeversicherung notwendig, fordert die AOK-Vorständin: „Trotz des jüngsten Bundeszuschusses aus Steuermitteln erwarten wir am Jahresende ein Defizit von etwa 1,5 Milliarden Euro.
Kurzfristige Darlehen aus Bundesmitteln, mit den die Löcher gerade notdürftig gestopft werden, sind keine dauerhafte Lösung, denn Einnahmen und Ausgaben gehen immer weiter auseinander“, so Carola Reimann. Eine dringend notwendige Maßnahme zur Entlastung der Pflegeversicherung sei die Übernahme der Rentenversicherungsbeiträge von pflegenden Angehörigen durch den Bund.
1 Kommentar
Der Verschiebebahnhof in der stationären Pflege SGB V Leistungen gesondert zu vergüten ist eine kurzfristige Maßnahme zu Gunsten der Einrichtungsträger. Solange Verhandlungen auf Treu und Glauben geführt werden, zahlen die Versicherten durch höhere Beiträge und die Bewohner durch weiter steigende Einheitliche-Einrichtungs-Entgelte. 86% werden in der Häuslichkeit gepflegt, hier werden jährlich 12 Mrd.€ der Hilfen vorenthalten. Solange die Pflege dem freien Markt überlassen wird, ohne das ein Markt gegeben ist, wird die Verarmung zunehmen.