
Wer unter ärztlich verschriebener Behandlung mit Betäubungsmitteln wie Cannabis steht, dem kann die Fahreignung entzogen werden. Die Fahreignung eines Menschen ist im Straßenverkehr enorm wichtig. Wer ein Kraftfahrzeug fährt, muss dazu auch körperlich und geistig in der Lage sein, die Anforderungen des Straßenverkehrs zu beherrschen. Davon hängt letztlich die Sicherheit jeder Verkehrsteilnehmerin und jeden Verkehrsteilnehmers ab.
Beurteilung der Fahreignung
Es gibt mehrere Grundlagen, die bei der ärztlichen Beurteilung über die Fahreignung relevant sind: Aufklärungspflicht, Meldepflicht und Zurückhaltungspflicht. Demnach muss die Ärztin oder der Arzt immer darüber aufklären, dass durch die regelmäßige Behandlung mit einem Betäubungsmittel die Fahreignung eingeschränkt sein könnte.
Grundsätzlich besteht aber für eine generelle Fahruntauglichkeit keine ärztliche Meldepflicht gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde oder den Polizeibehörden. Die Ärztin oder der Arzt ist kein verlängerter Arm der Behörden. Das Vertrauensverhältnis ist hier entscheidend.
Es entsteht also ein Konflikt zwischen dem Schutz auf körperliche Unversehrtheit (Schutz von Leib und Leben des Patienten und anderer Verkehrsteilnehmer) und dem Schutz auf informelle Selbstbestimmung (Schutz vor Geheimnisverrat). Generell muss hier die Ärztin oder der Arzt genau abwägen.
Ein Bruch der Schweigepflicht ist in der Regel nur dann gerechtfertigt, wenn die Patientin oder der Patient nicht einsichtsfähig sein sollte und es konkrete Hinweise dafür gibt, dass sie oder er trotz Aufklärung weiter am Straßenverkehr teilnimmt.
Die Zurückhaltungspflicht bezieht sich auf die Pflicht, die Patientin oder den Patienten vom Straßenverkehr zurückzuhalten. Sie besteht ebenfalls grundsätzlich nicht. Erstens hat der einsichtsfähige Patient ein Recht auf Selbstgefährdung und zweitens kommt dem Arzt hinsichtlich der Sicherheit im Straßenverkehr keine Garantenpflicht zu.
Eine Ausnahme ist auch hier anzunehmen, wenn es dem Patient an der Einsichtsfähigkeit mangelt. In diesem Fall besteht die Pflicht zum Abhalten an der Straßenverkehrsteilnahme fort.
Fahreignung trotz Cannabis-Konsum?
Interessant im Fall einer behördlich angeordneten Beurteilung der Fahreignung ist ein aktueller Fall des VGH Baden-Württemberg. Es geht um einen Mann, der an Depressionen leidet. Im Zeitraum von 2016 bis mindestens Juni 2018 hat er täglich Cannabis konsumiert – und das ohne ärztliche Anordnung. In Zuge dessen verlor er seine Fahreignung. Nachdem er dann im Juni 2018 eine ärztliche Verordnung für Medizinal-Cannabis erhalten hatte, versuchte er seine Fahreignung wiederzuerlangen. Allerdings ohne Erfolg.
In seiner Begründung berief sich das Gericht auf folgendem Leitsatz, der aus Ziffer 9.6.2 der Anlage 4 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) hervorgeht. Bei einer Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis darf der Patient oder die Patientin nur dann weiter Auto fahren, wenn folgende Punkte erfüllt sind:
- Die Einnahme von Cannabis ist indiziert und ärztlich verordnet
- Das Cannabis ist zuverlässig nach ärztlicher Verordnung eingenommen worden
- Die Einnahme wird ärztlich überwacht
- Keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit zu erwarten sind
- Die Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist
- Es nicht zu erwarten ist, dass der oder die Betroffene in Situationen am Straßenverkehr teilnimmt, in denen seine oder ihre Fahrsicherheit durch Medikation oder Erkrankung eingeschränkt ist.
Der Mann hatte gemäß § 11 Absatz 7 FeV in Verbindung mit Ziffer 9.2.1 der Anlage 4 der FeV durch den regelmäßigen Konsum von Cannabis vor der ärztlich angeordneten Behandlung bereits gezeigt, dass er nicht zum Fahren eines Autos geeignet ist. Es wird solange davon ausgegangen, dass er ungeeignet zum Fahren eines Autos ist, solange er das nicht widerlegen kann. Vor Gericht ist ihm das nicht gelungen.
Betäubungsmittel als letzte Option
In Bezug auf den ersten Punkt des Leitsatzes fehlte dem Mann eine Indikation – also eine Notwendigkeit sozusagen – zur Behandlung mit Medizinal-Cannabis. Eine Indikation nach § 13 Absatz 1 Satz 2 BtMG ist unter anderem nur dann gegeben, wenn die Anwendung von Betäubungsmitteln zur Erreichung des Therapieziels unerlässlich ist.
Kommen andere Maßnahmen in Betracht – wie eine Änderung der Lebensweise, physiotherapeutische Behandlungen, eine Psycho- oder Verhaltenstherapie oder die Anwendung von Arzneimitteln – ist diesen Vorrang zu geben. Betäubungsmittel dürfen immer nur die Ultima Ratio sein.
Für die Behandlung mit Cannabis ergibt sich diese Vorgabe auch aus § 31 Absatz 6 Satz 1 SGB V. Demnach haben Versicherte mit schweren Erkrankungen dann Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten, wenn eine allgemeine anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder nicht infrage kommt.
Behandlungsoptionen nicht voll ausgeschöpft
Im Fall des Klägers zur Behandlung seiner psychischen Erkrankung bzw. Störung waren nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden. Es sei keine psychotherapeutische Behandlung durchgeführt worden und es erfolgte lediglich ein Behandlungsversuch mit einem Antidepressivum. Auch diese Aspekte führten zur Abweisung der Klagepunkte.
Da auch die Überprüfung der Cannabis-Einnahme nach Auffassung des Gerichts nicht ausreichend war, hat der Mann seine Fahreignung nicht wiedererlangt. Ob er zusätzlich – nach dem Juni 2018 – über die ärztliche Anordnung hinaus auch illegal beschafftes Cannabis konsumiert habe, brauchte der Senat nicht weiter nachzugehen. Die vorigen Punkte zeigten bereits, dass der Mann zum Fahren eines Autos ungeeignet ist.
Quelle: VGH Baden-Württemberg vom 16.01.2023 – 13 S 330/22
Vergleich mit Alkoholkonsum und Fahrtüchtigkeit
Der Vergleich zwischen den Auswirkungen von Alkohol und medizinischem Cannabis auf die Fahrtüchtigkeit zeigt signifikante Unterschiede. Während Alkohol deutlich die Reaktionszeit und Koordination beeinträchtigt, kann die Wirkung von Cannabis je nach Dosierung und individueller Toleranz variieren. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Cannabis in einigen Fällen die Fahrsicherheit weniger beeinträchtigt als Alkohol, jedoch sind die Effekte sehr
individuell.
Persönliche Erfahrungsberichte von Patienten
Patienten, die medizinisches Cannabis nutzen, berichten von unterschiedlichen Erfahrungen in Bezug auf ihre Fahrtüchtigkeit. Einige fühlen sich in der Lage sicher zu fahren, während andere eine Beeinträchtigung ihrer Fähigkeiten feststellen. Diese Berichte unterstreichen die Wichtigkeit individueller Bewertungen und der Kommunikation mit medizinischen Fachkräften.
Rolle der Ärzte bei der Aufklärung und Überwachung
Ärzte spielen eine entscheidende Rolle bei der Aufklärung ihrer Patienten über die möglichen Auswirkungen von medizinischem Cannabis auf die Fahrtüchtigkeit. Sie überwachen die Dosierung und die Reaktionen ihrer Patienten, um sicherzustellen, dass diese nicht gefährdet sind, wenn sie sich entscheiden, ein Fahrzeug zu führen.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Frage der Fahrtüchtigkeit bei der Verwendung von medizinischem Cannabis komplex ist und von mehreren Faktoren abhängt. Während die ärztliche Verschreibung von Cannabis unter bestimmten Umständen die Fahrtüchtigkeit nicht ausschließt, erfordert sie eine sorgfältige Abwägung der medizinischen Notwendigkeit und der möglichen Auswirkungen auf die Fahrsicherheit. Wichtig ist dabei, dass Ärzte ihre Patienten über die potenziellen Risiken aufklären und die Einnahme streng überwachen. Gerichtsfälle, wie der hier besprochene aus Baden-Württemberg, verdeutlichen, dass bei unzureichender Indikation, fehlender Überwachung und vorangegangenem unerlaubtem Konsum die Fahreignung entzogen werden kann. Dies unterstreicht die Bedeutung einer verantwortungsvollen und regulierten Anwendung von medizinischem Cannabis in der Therapie.
FAQ
Darf man nach der Verschreibung von medizinischem Cannabis noch Auto fahren?
Fahrerlaubnis kann bei Cannabiskonsum entzogen werden, wenn Sicherheit im Straßenverkehr beeinträchtigt ist.
Was sind die ärztlichen Pflichten bei der Verschreibung von Cannabis?
Ärzte müssen über potenzielle Einschränkungen der Fahrtüchtigkeit aufklären, haben jedoch keine Meldepflicht gegenüber Behörden.
Wann kann die Fahreignung bei Cannabiskonsum erhalten bleiben?
Wenn die Einnahme ärztlich verordnet, überwacht wird und die Fahrsicherheit nicht beeinträchtigt, kann die Fahreignung bestehen bleiben.
Warum wurde dem Mann in Baden-Württemberg die Fahreignung abgesprochen?
Wegen unzureichender Indikation für die Behandlung mit Cannabis, fehlender ärztlicher Überwachung und vorherigem unerlaubtem Konsum.
Sind Betäubungsmittel wie Cannabis immer eine zulässige Behandlungsoption?
Betäubungsmittel sollten nur als letzte Option in Betracht gezogen werden, wenn andere Behandlungen nicht ausreichen oder nicht möglich sind.