Cannabis
Medizi­ni­sches Canna­bis Bild: © Dmitry Tishchenko | Dreamstime.com

Wer unter ärztlich verschrie­be­ner Behand­lung mit Betäu­bungs­mit­teln wie Canna­bis steht, dem kann die Fahreig­nung entzo­gen werden. Die Fahreig­nung eines Menschen ist im Straßen­ver­kehr enorm wichtig. Wer ein Kraft­fahr­zeug fährt, muss dazu auch körper­lich und geistig in der Lage sein, die Anfor­de­run­gen des Straßen­ver­kehrs zu beherr­schen. Davon hängt letzt­lich die Sicher­heit jeder Verkehrs­teil­neh­me­rin und jeden Verkehrs­teil­neh­mers ab.

Beurtei­lung der Fahreig­nung

Es gibt mehrere Grund­la­gen, die bei der ärztli­chen Beurtei­lung über die Fahreig­nung relevant sind: Aufklä­rungs­pflicht, Melde­pflicht und Zurück­hal­tungs­pflicht. Demnach muss die Ärztin oder der Arzt immer darüber aufklä­ren, dass durch die regel­mä­ßige Behand­lung mit einem Betäu­bungs­mit­tel die Fahreig­nung einge­schränkt sein könnte.

Grund­sätz­lich besteht aber für eine generelle Fahrun­taug­lich­keit keine ärztli­che Melde­pflicht gegen­über der Fahrerlaub­nis­be­hörde oder den Polizei­be­hör­den. Die Ärztin oder der Arzt ist kein verlän­ger­ter Arm der Behör­den. Das Vertrau­ens­ver­hält­nis ist hier entschei­dend.

Es entsteht also ein Konflikt zwischen dem Schutz auf körper­li­che Unver­sehrt­heit (Schutz von Leib und Leben des Patien­ten und anderer Verkehrs­teil­neh­mer) und dem Schutz auf infor­melle Selbst­be­stim­mung (Schutz vor Geheim­nis­ver­rat). Generell muss hier die Ärztin oder der Arzt genau abwägen.

Ein Bruch der Schwei­ge­pflicht ist in der Regel nur dann gerecht­fer­tigt, wenn die Patien­tin oder der Patient nicht einsichts­fä­hig sein sollte und es konkrete Hinweise dafür gibt, dass sie oder er trotz Aufklä­rung weiter am Straßen­ver­kehr teilnimmt.

Die Zurück­hal­tungs­pflicht bezieht sich auf die Pflicht, die Patien­tin oder den Patien­ten vom Straßen­ver­kehr zurück­zu­hal­ten. Sie besteht ebenfalls grund­sätz­lich nicht. Erstens hat der einsichts­fä­hige Patient ein Recht auf Selbst­ge­fähr­dung und zweitens kommt dem Arzt hinsicht­lich der Sicher­heit im Straßen­ver­kehr keine Garan­ten­pflicht zu.

Eine Ausnahme ist auch hier anzuneh­men, wenn es dem Patient an der Einsichts­fä­hig­keit mangelt. In diesem Fall besteht die Pflicht zum Abhal­ten an der Straßen­ver­kehrs­teil­nahme fort.

Fahreig­nung trotz Canna­bis-Konsum?

Inter­es­sant im Fall einer behörd­lich angeord­ne­ten Beurtei­lung der Fahreig­nung ist ein aktuel­ler Fall des VGH Baden-Württem­berg. Es geht um einen Mann, der an Depres­sio­nen leidet. Im Zeitraum von 2016 bis mindes­tens Juni 2018 hat er täglich Canna­bis konsu­miert – und das ohne ärztli­che Anord­nung. In Zuge dessen verlor er seine Fahreig­nung. Nachdem er dann im Juni 2018 eine ärztli­che Verord­nung für Medizi­nal-Canna­bis erhal­ten hatte, versuchte er seine Fahreig­nung wieder­zu­er­lan­gen. Aller­dings ohne Erfolg.

In seiner Begrün­dung berief sich das Gericht auf folgen­dem Leitsatz, der aus Ziffer 9.6.2 der Anlage 4 der Fahrerlaub­nis­ver­ord­nung (FeV) hervor­geht. Bei einer Dauer­be­hand­lung mit Medizi­nal-Canna­bis darf der Patient oder die Patien­tin nur dann weiter Auto fahren, wenn folgende Punkte erfüllt sind:

  • Die Einnahme von Canna­bis ist indiziert und ärztlich verord­net
  • Das Canna­bis ist zuver­läs­sig nach ärztli­cher Verord­nung einge­nom­men worden
  • Die Einnahme wird ärztlich überwacht
  • Keine dauer­haf­ten Auswir­kun­gen auf die Leistungs­fä­hig­keit zu erwar­ten sind
  • Die Sympto­ma­tik keine verkehrs­me­di­zi­nisch relevante Ausprä­gung aufweist
  • Es nicht zu erwar­ten ist, dass der oder die Betrof­fene in Situa­tio­nen am Straßen­ver­kehr teilnimmt, in denen seine oder ihre Fahrsi­cher­heit durch Medika­tion oder Erkran­kung einge­schränkt ist.

Der Mann hatte gemäß § 11 Absatz 7 FeV in Verbin­dung mit Ziffer 9.2.1 der Anlage 4 der FeV durch den regel­mä­ßi­gen Konsum von Canna­bis vor der ärztlich angeord­ne­ten Behand­lung bereits gezeigt, dass er nicht zum Fahren eines Autos geeig­net ist. Es wird solange davon ausge­gan­gen, dass er ungeeig­net zum Fahren eines Autos ist, solange er das nicht wider­le­gen kann. Vor Gericht ist ihm das nicht gelun­gen.

Betäu­bungs­mit­tel als letzte Option

In Bezug auf den ersten Punkt des Leitsat­zes fehlte dem Mann eine Indika­tion – also eine Notwen­dig­keit sozusa­gen – zur Behand­lung mit Medizi­nal-Canna­bis. Eine Indika­tion nach § 13 Absatz 1 Satz 2 BtMG ist unter anderem nur dann gegeben, wenn die Anwen­dung von Betäu­bungs­mit­teln zur Errei­chung des Thera­pie­ziels unerläss­lich ist.

Kommen andere Maßnah­men in Betracht – wie eine Änderung der Lebens­weise, physio­the­ra­peu­ti­sche Behand­lun­gen, eine Psycho- oder Verhal­tens­the­ra­pie oder die Anwen­dung von Arznei­mit­teln – ist diesen Vorrang zu geben. Betäu­bungs­mit­tel dürfen immer nur die Ultima Ratio sein.

Für die Behand­lung mit Canna­bis ergibt sich diese Vorgabe auch aus § 31 Absatz 6 Satz 1 SGB V. Demnach haben Versi­cherte mit schwe­ren Erkran­kun­gen dann Anspruch auf Versor­gung mit Canna­bis in Form von getrock­ne­ten Blüten oder Extrak­ten, wenn eine allge­meine anerkannte, dem medizi­ni­schen Standard entspre­chende Leistung nicht zur Verfü­gung steht oder nicht infrage kommt.

Behand­lungs­op­tio­nen nicht voll ausge­schöpft

Im Fall des Klägers zur Behand­lung seiner psychi­schen Erkran­kung bzw. Störung waren nicht alle Möglich­kei­ten ausge­schöpft worden. Es sei keine psycho­the­ra­peu­ti­sche Behand­lung durch­ge­führt worden und es erfolgte ledig­lich ein Behand­lungs­ver­such mit einem Antide­pres­si­vum. Auch diese Aspekte führten zur Abwei­sung der Klage­punkte.

Da auch die Überprü­fung der Canna­bis-Einnahme nach Auffas­sung des Gerichts nicht ausrei­chend war, hat der Mann seine Fahreig­nung nicht wieder­erlangt. Ob er zusätz­lich – nach dem Juni 2018 – über die ärztli­che Anord­nung hinaus auch illegal beschaff­tes Canna­bis konsu­miert habe, brauchte der Senat nicht weiter nachzu­ge­hen. Die vorigen Punkte zeigten bereits, dass der Mann zum Fahren eines Autos ungeeig­net ist.

Quelle: VGH Baden-Württem­berg vom 16.01.2023 – 13 S 330/22

Vergleich mit Alkohol­kon­sum und Fahrtüch­tig­keit

Der Vergleich zwischen den Auswir­kun­gen von Alkohol und medizi­ni­schem Canna­bis auf die Fahrtüch­tig­keit zeigt signi­fi­kante Unter­schiede. Während Alkohol deutlich die Reakti­ons­zeit und Koordi­na­tion beein­träch­tigt, kann die Wirkung von Canna­bis je nach Dosie­rung und indivi­du­el­ler Toleranz variie­ren. Forschungs­er­geb­nisse deuten darauf hin, dass Canna­bis in einigen Fällen die Fahrsi­cher­heit weniger beein­träch­tigt als Alkohol, jedoch sind die Effekte sehr
indivi­du­ell.

Persön­li­che Erfah­rungs­be­richte von Patien­ten

Patien­ten, die medizi­ni­sches Canna­bis nutzen, berich­ten von unter­schied­li­chen Erfah­run­gen in Bezug auf ihre Fahrtüch­tig­keit. Einige fühlen sich in der Lage sicher zu fahren, während andere eine Beein­träch­ti­gung ihrer Fähig­kei­ten feststel­len. Diese Berichte unter­strei­chen die Wichtig­keit indivi­du­el­ler Bewer­tun­gen und der Kommu­ni­ka­tion mit medizi­ni­schen Fachkräf­ten.

Rolle der Ärzte bei der Aufklä­rung und Überwa­chung

Ärzte spielen eine entschei­dende Rolle bei der Aufklä­rung ihrer Patien­ten über die mögli­chen Auswir­kun­gen von medizi­ni­schem Canna­bis auf die Fahrtüch­tig­keit. Sie überwa­chen die Dosie­rung und die Reaktio­nen ihrer Patien­ten, um sicher­zu­stel­len, dass diese nicht gefähr­det sind, wenn sie sich entschei­den, ein Fahrzeug zu führen.

Fazit

Zusam­men­fas­send lässt sich sagen, dass die Frage der Fahrtüch­tig­keit bei der Verwen­dung von medizi­ni­schem Canna­bis komplex ist und von mehre­ren Fakto­ren abhängt. Während die ärztli­che Verschrei­bung von Canna­bis unter bestimm­ten Umstän­den die Fahrtüch­tig­keit nicht ausschließt, erfor­dert sie eine sorgfäl­tige Abwägung der medizi­ni­schen Notwen­dig­keit und der mögli­chen Auswir­kun­gen auf die Fahrsi­cher­heit. Wichtig ist dabei, dass Ärzte ihre Patien­ten über die poten­zi­el­len Risiken aufklä­ren und die Einnahme streng überwa­chen. Gerichts­fälle, wie der hier bespro­chene aus Baden-Württem­berg, verdeut­li­chen, dass bei unzurei­chen­der Indika­tion, fehlen­der Überwa­chung und voran­ge­gan­ge­nem unerlaub­tem Konsum die Fahreig­nung entzo­gen werden kann. Dies unter­streicht die Bedeu­tung einer verant­wor­tungs­vol­len und regulier­ten Anwen­dung von medizi­ni­schem Canna­bis in der Thera­pie.

FAQ

Darf man nach der Verschrei­bung von medizi­ni­schem Canna­bis noch Auto fahren?

Fahrerlaub­nis kann bei Canna­bis­kon­sum entzo­gen werden, wenn Sicher­heit im Straßen­ver­kehr beein­träch­tigt ist.

Was sind die ärztli­chen Pflich­ten bei der Verschrei­bung von Canna­bis?

Ärzte müssen über poten­zi­elle Einschrän­kun­gen der Fahrtüch­tig­keit aufklä­ren, haben jedoch keine Melde­pflicht gegen­über Behör­den.

Wann kann die Fahreig­nung bei Canna­bis­kon­sum erhal­ten bleiben?

Wenn die Einnahme ärztlich verord­net, überwacht wird und die Fahrsi­cher­heit nicht beein­träch­tigt, kann die Fahreig­nung bestehen bleiben.

Warum wurde dem Mann in Baden-Württem­berg die Fahreig­nung abgespro­chen?

Wegen unzurei­chen­der Indika­tion für die Behand­lung mit Canna­bis, fehlen­der ärztli­cher Überwa­chung und vorhe­ri­gem unerlaub­tem Konsum.

Sind Betäu­bungs­mit­tel wie Canna­bis immer eine zuläs­sige Behand­lungs­op­tion?

Betäu­bungs­mit­tel sollten nur als letzte Option in Betracht gezogen werden, wenn andere Behand­lun­gen nicht ausrei­chen oder nicht möglich sind.