
Muskelabbau auf der Intensivstation und seine Folgen
Bereits seit Langem ist bekannt, dass kritisch kranke Patienten auf Intensivstationen einen erheblichen Muskelabbau erleiden. Forschungsarbeiten, beispielsweise von Puthucheary et al. (2013), zeigen, dass innerhalb der ersten 7 bis 14 Tage durchschnittlich ein Verlust von etwa 10–20 Prozent der Muskelmasse auftreten kann. Beeinflusst wird der Muskelschwund durch die jeweilige Grunderkrankungen, den Grad der Immobilität und vor allem die Ernährung. Dieser massive Muskelabbau hat natürlich Folgen:
- Verminderte Muskelkraft und Funktion: Der Verlust an Muskelmasse führt zu einer deutlichen Schwächung, wodurch alltägliche Bewegungen wie Aufstehen, Gehen oder Treppensteigen erschwert werden.
- Verlängerte Rehabilitationsdauer: Patienten benötigen intensivere und längere physiotherapeutische Maßnahmen, was zu einem verlängerten Krankenhausaufenthalt sowie zu einer längeren Rehabilitation führen kann.
- Erhöhtes Risiko für Folgekomplikationen: Die Kombination aus Muskelabbau und Immobilität steigert das Risiko für Stürze, Infektionen oder thromboembolische Ereignisse.
- Langfristige funktionelle Einschränkungen: Ein hoher Muskelverlust kann die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigen und die Wiedererlangung der Selbstständigkeit verzögern.
Die Rolle von Proteinen in der Genesung
Die Bedeutung von Proteinen für den Erhalt der Mobilität ist enorm – insbesondere in Akutsituationen. Nach der Proteinzufuhr werden Proteine im Verdauungstrakt in Aminosäuren umgewandelt, die ins Blut gelangen. Diese Aminosäuren aktivieren in den Muskelzellen über den mTOR-Signalweg die Muskelproteinsynthese, wodurch der Wiederaufbau von Muskelgewebe angeregt wird. In Stresssituationen, wie sie etwa auf der Intensivstation vorkommen, versetzen erhöhte Cortisolspiegel und entzündliche Prozesse den Körper in einen sogenannten katabolen Zustand, der den Muskelabbau fördert. Eine gezielte und zeitlich optimierte Proteinzufuhr – idealerweise direkt nach einer Mobilisationseinheit – kann diesen negativen Effekten entgegenwirken und den Wiederaufbau der Muskulatur unterstützen (Deutz et al. 2014; Bauer et al. 2013).
Die Bedeutung von Mikronährstoffen
Doch nicht nur Proteine sind der Schlüssel zur Wiederherstellung der Mobilität, auch Mikronährstoffe spielen eine zentrale Rolle. Nach der Zufuhr von Mikronährstoffen wie Vitamin D, Calcium und Omega‑3‑Fettsäuren werden diese Bestandteile in spezifische Stoffwechselwege eingebunden, die sowohl die Knochen als auch die Muskelfunktion unterstützen.
- Vitamin D fördert beispielsweise die intestinale Aufnahme von Calcium, was zur Stabilisierung und Mineralisierung der Knochen beiträgt.
- Calcium ist direkt an der Muskelkontraktion und Signalübertragung beteiligt.
- Omega‑3‑Fettsäuren wirken entzündungshemmend und schützen die Zellmembranen – besonders in stressigen Situationen, in denen entzündliche Prozesse und zellschädigender Stress vermehrt auftreten.
Ein anhaltender Mangel dieser Mikronährstoffe begünstigt nach Cruz-Jentoft et al. (2010) den altersbedingten Muskelabbau und kann die Mobilität langfristig beeinträchtigen.
Interdisziplinäre Ansätze in der Rehabilitation
Alle Erkenntnisse unterstreichen, dass interdisziplinäre Behandlungsansätze der Schlüssel für eine erfolgreiche Genesung sind. Ernährungsmanagement, Bewegungstherapie und auch die mentale Gesundheit sollten stets im Gesamten betrachtet werden. Je nach Einzelfall variieren die individuellen Schwerpunkte, doch es bleibt klar: Eine gesunde und ausgewogene Ernährung ist nicht nur in Akutsituationen wichtig, sondern auch präventiv von wesentlicher Bedeutung – etwa zur Vorbeugung der altersbedingten Sarkopenie (altersbedingter Abbau von Muskelmasse-und Kraft).
Fazit
Ob im akuten Krankheitszustand oder als präventive Maßnahme im Alter – eine gezielte Zufuhr von Proteinen und Mikronährstoffen bildet die Grundlage für den Erhalt und Wiederaufbau der Muskulatur. Nur so können wir allen akuten und alltäglichen Herausforderungen begegnen und langfristig gesund und mobil bleiben.
Quellen:
- Puthucheary et al. (2013). Acute skeletal muscle wasting in critical illness. JAMA, 310(15): 1591–600.
- Deutz et al. (2014). Protein intake and exercise for optimal muscle function with aging: recommendations from the ESPEN Expert Group. Clint. Nutr, 33(6): 929–36.
- Bauer et al. (2013). Evidence-Based Recommendations for Optimal Dietry Protein Intake in Older People: A Position Paper From the PROT-AGE Study Group. Journal of the American Medical Directors Association, 14(8): 542–559.
- Cruz-Jentoft et al. (2010). Sarcropenia: European consensus on definition and diagnosis: Report of the Eruopean Working Group on Sacropenia in Older People. Age Ageing, 39(4): 412–23.