
Patienten-Dokumente verwechselt
Weil ein Patient in einem Berliner Klinikum mit einem anderen Mann verwechselt wurde, der letztlich jedoch nicht im Krankenhaus erschienen war, kam der Betroffene auf der somatischen Normalstation statt auf einer Station mit Intensivüberwachung unter. In der Folge hätte er falsche Medikamente bekommen, sowie ein Folgeereignis erleiden können, das unbemerkt geblieben wäre. Hiervon berichtet das Dokumentations- und Lernnetzwerk CIRS (Critical Incident Reporting System) Berlin.
Was war im konkreten Fall genau passiert? Der Fehler mit Schadenspotenzial hatte seinen Ursprung im Spätdienst des Krankenhauses des Vortags: Die Rettungsstelle hatte dem Krankenhaus einen Patienten in Aussicht gestellt, der auf dem somatischen Bereich des Klinikums aufgenommen werden sollte. Im darauf folgenden Nachtdienst wurde jedoch ein weiterer Patient angekündigt, der ebenfalls über die Rettungsstelle kam und aufgrund seines kritischeren Zustands auf der Abteilung mit Intensivüberwachung aufgenommen werden sollte.
Die Unterlagen des ersten Patienten – dem für den somatischen Bereich Bestimmten – waren der Station bereits von der Rettungsstelle übermittelt worden und lagen vor. Als im Laufe des Nachtdienstes ein Patient vom Patientenbegleitservice auf Station gebracht wurde, der jedoch keine Unterlagen dabei hatte, hielt ihn die Belegschaft für den ersten (in der Spätschicht angekündigten) Patienten und brachte ihn auf der Normalstation unter. Der Patient, von dem die Unterlagen stammten, ließ sich im Krankenhaus jedoch letztendlich gar nicht blicken: Dieser hatte sich, gegen ausdrücklichen ärztlichen Rat, selbst entlassen, ohne dass dies jedoch der Station bekannt wurde. Erst dem Frühdienst fiel einem Mitglied der Belegschaft die Verwechslung auf.
Kommunikationspannen auf sämtlichen Ebenen
Laut Einschätzung der CIRS Berlin lag die Patientenverwechslung an einer Kommunikationspanne, verbunden mit Unachtsamkeit. „Keiner der pflegerischen Kollegen, die mit dem Patienten Kontakt hatten, hatte explizit nach seinem Namen gefragt“, hieß es. Auch wurde das Identifikations-Armband, das der Patient trug, zum einen falsch gelesen und zum anderen nicht beachtet.
Damit nicht genug: „Der ärztliche Kollege aus der Rettungsstelle hat versäumt, den Kolleginnen auf Station mitzuteilen, dass der Patient für die somatische Station sich gegen ärztlichen Rat selbst entlassen hat.“ Schlussendlich hätten die Kollegen von der Pflege sowie die ärztlichen Kollegen sich nicht darüber informiert, wo einer der zwei erwarteten Patienten geblieben ist.
Erster Fall seiner Art
Bei der vorliegenden Patienten-Verwechslung habe es sich um den ersten Fall seiner Art gehandelt, der dem CIRS-Netzwerk bekannt wurde. „Der vorliegende Bericht zeigt einmal mehr die Risiken, die mit unvollständiger Kommunikation an Schnittstellen einhergehen“, analysierte das Anwender-Forum des CIRS. „Ein weiterer fehlerbegünstigender Faktor ist im Schichtwechsel zu vermuten. Zusätzlich hat ein Erwartungsfehler die Situation begünstigt als der Patient, der für die Intensivüberwachung vorgesehen war, im somatischen Bereich erschien und für den Patienten gehalten wurde, dessen Unterlagen bereits vorlagen.“
Um einem solchen Fall vorzubeugen, empfiehlt das Forum, Standards für die Übergabe von Patientinnen und Patienten zwischen Rettungsstelle und Station zu etablieren. Dabei sollte klar geregelt sein, wer mit wem spricht und welche Informationen dabei mindestens übermittelt werden. Nach der Selbstentlassung des ersten Patienten hätte die Rettungsstelle die Station informieren sollen; umgekehrt hätte auch die aufnehmende Station nachfragen können, wo die erwartete Person bleibt.
Außerdem sei zu ermitteln, warum der Patient, der für die Intensivüberwachung vorgesehen war, vom Patientenbegleitservice auf die Normalstation gebracht wurde. Anders als im beschriebenen Fall gehandhabt, sollten die Patientenakten beim Patienten verbleiben und nicht getrennt von ihm verschickt werden. Sowie, ganz banal: Der auf Station eintreffende Patient hätte nach Namen und Geburtsdatum gefragt, und diese Daten mit dem Patientenarmband abgeglichen werden sollen. „Machen Sie sich immer bewusst, dass in der Realität nicht unbedingt das Erwartete eintritt“, so der abschließende Rat.
Netzwerk, um voneinander zu lernen
Am CIRS Berlin nehmen Krankenhäuser in Berlin sowie im umgebenden Bundesland Brandenburg teil. Im Jahr 2008 hatten Ärztekammer Berlin (ÄKB) und das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) gemeinsam das Netzwerk etabliert. Seit Juli 2020 hat die Bundesärztekammer (BÄK) die Aufgaben des ÄZQ im Netzwerk übernommen.
Alle beim CIRS eingestellten Berichte, die Beinahe-Schäden und abgeschlossene vermeidbare unerwünschte Ereignisse dokumentieren, sind hinsichtlich der Betroffenen und der Einrichtung anonymisiert. Denn Ziel des Netzwerks ist es nicht, medizinische oder pflegerische Kollegen „anzuprangern“, sondern offen von Fehlern zu berichten, damit auch andere Einrichtungen von ihnen lernen können. „Wir müssen nicht jeden Fehler selbst machen, um daraus zu lernen“, lautet dabei das schöne Motto des CIRS Berlin.