Claudia Moll
Claudia Moll (55) Bild: Bernd Lammel / bundes­foto

Claudia Moll: „Nie mehr so viele Pflege­kräfte wie jetzt“

Rechts­de­pe­sche: Auf die überal­ter­ten Gesell­schaf­ten Europas rollt eine nur schwer einzu­schät­zende Demogra­phie-Welle der Pflege­be­dürf­tig­keit zu und trifft auf ein jetzt schon schwä­cheln­des System. Wie soll es weiter­ge­hen?

Claudia Moll: Die Lage ist klar: Wir werden nie wieder so viele Pflege­kräfte haben, wohl kaum mehr Geld, aber sicher mehr Menschen mit Pflege­be­darf. Deshalb müssen wir die Pflege jetzt zukunfts­fest machen.

Kernpunkt ist die Stärkung der häusli­chen Pflege. Da brauchen wir mehr Flexi­bi­li­tät, in den Leistun­gen der Pflege­ver­si­che­rung, aber auch in der Arbeits­welt.

Das zweite große Feld ist die Weiter­ent­wick­lung der Quartiers­pflege vor Ort. Wir brauchen deutlich mehr Betei­li­gung und Einfluss der Kommu­nen. Und drittens müssen wir auch die profes­sio­nelle Pflege stärken. Gelin­gen kann dies nur im Zusam­men­spiel aller Betei­lig­ten.

„Fachkräfte aus dem Ausland liefern wichti­gen Beitrag“

Rechts­de­pe­sche: Es handelt sich dabei um ein Problem mit globa­len Ausma­ßen. Auch die Pflege-Kontin­gente in Indien und Brasi­lien sind endlich. Die müssen sich auch um sich selber kümmern dort. Ist das Konzept der Rekru­tie­rung von Pflege­kräf­ten im Ausland überholt?

Claudia Moll: Fachkräfte aus dem Ausland leisten hier einen wichti­gen Beitrag und das wird auch in Zukunft so sein. Aber wer geglaubt hat, sie allein könnten die Probleme in der Pflege lösen, war schon immer auf dem Holzweg. Wir müssen vor allem unsere Hausauf­ga­ben hier vor Ort machen und das heißt ganz klar, die Prozesse und Struk­tu­ren neu gestal­ten.

Die Probleme von heute und morgen können wir nicht mit der Aufga­ben­ver­tei­lung und den Arbeits­be­din­gun­gen von gestern lösen. Ein ganz wichti­ger Schritt ist für mich deshalb das sich in Arbeit befind­li­che Pflege­kom­pe­tenz­ge­setz. Pflege­kräfte müssen endlich eigen­stän­di­ger das tun dürfen, was sie in der Ausbil­dung gelernt haben. Das macht den Beruf attrak­ti­ver und verbes­sert die Versor­gung.

Rechts­de­pe­sche: Zur Zeit häufen sich die Stimmen aus der Branche wie Diako­nie, Pflege­ver­bände etc., die sagen: Der Kipppunkt in der Pflege ist bald erreicht. Was sagen Sie denen?

Claudia Moll: Ich kann mich hier nur wieder­ho­len: wir werden nie wieder so viele Pflege­kräfte haben wie jetzt. Darauf müssen sich alle einstel­len, auch die Einrich­tungs­be­trei­ber und Pflege­ver­bände.

Noch haben wir es in der Hand und können mit neuen und innova­ti­ven Versor­gungs­kon­zep­ten darauf reagie­ren. Die braucht es genauso dringend wie eine effizi­en­tere, inter­pro­fes­sio­nelle Aufga­ben­ver­tei­lung zwischen den verschie­de­nen Berufs­grup­pen im Gesund­heits­we­sen. Wir können es uns nicht mehr erlau­ben, Kompe­ten­zen nicht adäquat zu nutzen.

„Wir entwi­ckeln ein Pflege­kom­pe­tenz­ge­setz“

Rechts­de­pe­sche: Wie oft stimmen Sie sich mit Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Lauter­bach ab, wenn es um die Gestal­tung der Pflege­po­li­tik geht? Was berich­ten Sie dem Minis­ter aus der Szene?

Claudia Moll: Wir treffen uns ständig und stimmen und gut ab. Und auch er sieht natür­lich die Entwick­lung und die Stimmung in der profes­sio­nel­len und in der häusli­chen Pflege und wie schon erwähnt: gerade arbei­ten wir sehr eng zusam­men an dem Pflege­kom­pe­tenz­ge­setz­ent­wurf.

Rechts­de­pe­sche: Was glauben Sie: Werden die Beiträge zur Pflege­ver­si­che­rung erhöht? Inwie­weit kann diese Erhöhung dazu beitra­gen, die Situa­tion zu verbes­sern?

Claudia Moll: Die Frage nach einer Beitrags­er­hö­hung ist nahelie­gend. Viel wichti­ger ist aber, die struk­tu­rel­len Fragen anzuge­hen, so wie wir es zum Beispiel mit dem Gemein­sa­men Jahres­be­trag für die Kurzzeit- und Verhin­de­rungs­pflege gemacht haben. Damit haben wir dafür gesorgt, dass die Leistun­gen der Pflege­ver­si­che­rung besser zu den Bedürf­nis­sen der Menschen passen.

Effizi­en­zen nutzen, Bürokra­tie abbauen, Leistun­gen so gestal­ten, dass sie passge­nau sind und für Menschen mit Pflege­be­darf und ihre Angehö­ri­gen den größten Effekt haben. Die Bundes­re­gie­rung wird unter Leitung des Bundes­mi­nis­te­ri­ums für Gesund­heit noch vor der Sommer­pause Empfeh­lun­gen für eine stabile und dauer­hafte Finan­zie­rung der sozia­len Pflege­ver­si­che­rung vorle­gen, so ist es verein­bart. Hierbei wird insbe­son­dere auch die Ausga­ben­seite der sozia­len Pflege­ver­si­che­rung betrach­tet.

„Perso­nal­man­gel führt schnell zu Unter­ver­sor­gung“

Rechts­de­pe­sche: Ab wann kann es gefähr­lich werden für die Patien­ten­si­cher­heit in den Einrich­tun­gen, wenn Perso­nal­man­gel chronisch ist?

Claudia Moll: Mit chroni­schem Perso­nal­man­gel lassen sich weder eine gute Versor­gung noch gute Arbeits­be­din­gun­gen reali­sie­ren. Das kann schnell zu einer Unter­ver­sor­gung oder zu einem neuen Pflege­skan­dal führen. Menschen mit Pflege­be­darf müssen aber immer gut versorgt werden, auch bei perso­nel­len Engpäs­sen. Dazu gibt es Perso­nal­aus­fall­kon­zepte, die der Gesetz­ge­ber gerade auch gestärkt hat.

Die aller­meis­ten Pflege­ein­rich­tun­gen leisten tagtäg­lich sehr gute Arbeit! Wir müssen weiter­hin daran arbei­ten, dass sich noch mehr Menschen für den Pflege­be­ruf entschei­den. Wir haben die Ausbil­dung moder­ni­siert, führen die Perso­nal­be­mes­sung mit einem neuen Perso­nal­mix schritt­weise ein, wir haben dafür gesorgt, dass das Pflege­stu­dium jetzt vergü­tet wird und außer­dem hat sich die Bezah­lung in den letzten Jahren durch unsere Verpflich­tung zu Bezah­lung nach Tarif­höhe enorm verbes­sert.

Zusam­men mit dem Pflege­kom­pe­tenz­ge­setz sind das Riesen­schritte für die Pflege, die auch den Beruf noch attrak­ti­ver machen.

„Pflege­kräfte müssen fair entohnt werden – ohne Wenn und Aber“

Rechts­de­pe­sche: Wäre es überhaupt gerecht­fer­tigt, Pflege­fach­kräf­ten noch bessere Löhne zu zahlen? Ist da eine Grenze nicht bereits erreicht?

Claudia Moll: Das klingt für mich wie eine Frage aus einem schlech­ten Planspiel. Pflege­kräfte leisten gute Arbeit. Dafür müssen sie, wie jede andere Gruppe von Arbeit­neh­me­rin­nen und Arbeit­neh­mern auch, angemes­sen entlohnt werden – ohne Wenn und Aber.

Rechts­de­pe­sche: Welches persön­li­che Ziel in Ihrer Tätig­keit als Bevoll­mäch­tigte der Bundes­re­gie­rung für Pflege wollen Sie Ende 2024 erreicht haben?

Claudia Moll: Ich will, dass wir weitere Schritte auf dem Weg hin zu einem moder­nen Pflege­sys­tem machen.

Mit meiner Broschüre „Pflege jetzt gestal­ten“ und mit meinen Vorschlä­gen zur Effizi­enz­stei­ge­run­gen in der ambulan­ten Pflege habe ich wichtige Ziele skizziert.

Flexi­blere Leistun­gen, mehr Verant­wor­tung der Kommu­nen, Wege für neue Versor­gungs­for­men und natür­lich auch Abbau von Bürokra­tie und unnöti­gen Hinder­nis­sen, um nur ein paar Stich­worte zu nennen. Natür­lich geht das nicht von heute auf morgen, Struk­tu­ren so zu verän­dern, braucht Zeit. Dazu kommt, wir sind an Koali­ti­ons­part­ner und an die finan­zi­el­len Möglich­kei­ten gebun­den.

Unter diesen schwie­ri­gen Umstän­den haben wir trotz­dem schon enorm viel für die Pflege bewegt, für die Berufs­an­ge­hö­ri­gen genauso wie für die Menschen mit Pflege­be­darf. Und dafür werde ich auch weiter kämpfen.

Rechts­de­pe­sche: Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person: Claudia Moll (55) ist seit 2022 die Bevoll­mäch­tigte der Bundes­re­gie­rung für Pflege. Das SPD-Mitglied ist gelernte Alten­pfle­ge­rin und bereits seit 2017 Mitglied des Bundes­ta­ges in Berlin.