Sexualstraftaten
Sexuelle Übergriffe werden viel zu selten bestraft Bild: Alexan­der Meyer-Köring

Die Quote der Verur­tei­lun­gen bei den Sexual­straf­ta­ten ist in Deutsch­land sehr niedrig. Im Zuge der Beratun­gen zum „fünfzigs­ten Gesetz zur Änderung des Straf­ge­setz­bu­ches – Verbes­se­rung des Schut­zes der sexuel­len Selbst­be­stim­mung“ lagen werden nach Auskunft des damali­gen Bundes­jus­tiz­mi­nis­ters Heiko Maas nur circa 8 Prozent der Sexual­straf­tä­ter einer Strafe zugeführt.

Nach Einschät­zun­gen des Berli­ner Opfer­be­auf­trag­ten Roland Weber versage der Rechts­staat bei der Straf­ver­fol­gung wegen Sexual­straf­ta­ten gar komplett.

Es verwun­dert daher nicht, dass auch die Anzei­ge­be­reit­schaft bei Frauen, die Opfer sexuel­ler Gewalt werden, sich durch­aus im Rahmen hält. Dies gilt auch für die sexuel­len Übergriffe, die im Zuge eines medizi­ni­schen Behand­lungs­ver­hält­nis­ses zu verzeich­nen sind.

Oftmals steht hier das beson­dere Vertrau­ens­ver­hält­nis, das Wissen des Arztes um intimste Details des Seelen­le­bens, das Scham­emp­fin­den und die Scheu vor dem Licht der Öffent­lich­keit der Straf­an­zeige entge­gen.

Dabei trägt das Straf­recht dem gestei­ger­ten Schutz­be­dürf­nis der Patienten(innen) durch § 174c StGB seit vielen Jahren Rechnung; geschützt wird die sexuelle Selbst­be­stim­mung der Patient(innen) jeden Alters, die Integri­tät der Heilbe­rufe und das Inter­esse an einem funktio­nie­ren­den Gesund­heits­we­sen.

§ 174c StGB – Sexuel­ler Mißbrauch unter Ausnut­zung eines Beratungs‑, Behand­lungs- oder Betreu­ungs­ver­hält­nis­ses

„Wer sexuelle Handlun­gen an einer Person, die ihm wegen … einer körper­li­chen Krank­heit oder Behin­de­rung zur Beratung, Behand­lung oder Betreu­ung anver­traut ist, unter Mißbrauch des Beratungs‑, Behand­lungs- oder Betreu­ungs­ver­hält­nis­ses vornimmt oder an sich von ihr vorneh­men lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexuel­ler Handlun­gen an oder von einer dritten Person bestimmt, wird mit Freiheits­strafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“

Das Offizi­al­de­likt sieht eine Freiheits­strafe von 3 Monaten bis zu 5 Jahren vor, wenn ein Arzt unter dem Vorwand angeb­lich notwen­di­ger Unter­su­chun­gen sexuell motivierte Berüh­run­gen vornimmt und sein(e)n Patient(in) entwür­di­gen­den Unter­su­chun­gen aussetzt.

Das Dortmun­der Straf­ver­fah­ren

Seit Mitte 2014 wirft die Dortmun­der Staats­an­walt­schaft einem Gynäko­lo­gen vor, seine Tätig­keit im Jahr 2011 mehrfach ausge­nutzt und in dutzen­den Fällen ledig­lich vorge­ge­ben zu haben, gynäko­lo­gi­sche Unter­su­chun­gen durch­zu­füh­ren, wobei er tatsäch­lich sexuelle Handlun­gen an den Patien­tin­nen vorge­nom­men habe (zum Beispiel Einrei­ben der Klito­ris mit Gleit­gel und Einfüh­ren des Fingers in die Scheide).

In einigen Fällen sollen zudem digitale Bilder und Video­auf­zeich­nun­gen mittels einer Kamera, die in der Auffang­schale des gynäko­lo­gi­schen Stuhls angebracht gewesen sein soll, sowie mit einer als Kugel­schrei­ber getarn­ten Kamera Fotos vom Genital­be­reich der Patien­tin­nen angefer­tigt worden sein.

Sexual­straf­ta­ten sollen verdeckt bleiben

Im Ausgangs­ver­fah­ren räumte der Angeklagte ein, dass er in vielen der vorge­wor­fe­nen Fälle den objek­ti­ven Sachver­halt der Ankla­ge­schrift verwirk­licht habe und die Erstel­lung der Bilder und Aufzeich­nun­gen zu eigenen sexuel­len Zwecken erfolgte. Die Unter­su­chun­gen selbst habe er aber nicht zu eigenen sexuel­len Zwecken vorge­nom­men, sondern aus medizi­ni­schen Gründen.

Das LG Dortmund hat den Angeklag­ten wegen sexuel­len Missbrauchs unter Ausnut­zung eines Beratungs‑, Behand­lungs- oder Betreu­ungs­ver­hält­nis­ses in 25 Fällen zu einer Gesamt­frei­heits­strafe von einem Jahr und 10 Monaten verur­teilt (LG Dortmund vom 19. Novem­ber 2018 – 31 KLs 78/15). Gegen diese Entschei­dung hat der Angeklagte Revision zum Bundes­ge­richts­hof einge­legt, mit der er in der Sache eine Reduzie­rung des Straf­ma­ßes zu erzie­len beabsich­tigt.

Sexualstraftaten
Der Angeklagte wurde wegen sexuel­len Missbrauchs in 25 Fällen zu einer Gesamt­frei­heits­strafe von einem Jahr und zehn Monaten verur­teilt

Die Revision vor dem Bundes­ge­richts­hof

Der BGH hat die Verur­tei­lung des Gynäko­lo­gen für rechts­feh­ler­frei erach­tet und die Revision als unbegrün­det verwor­fen. Als Kompen­sa­tion für eine rechts­staats­wid­rige Verfah­rens­ver­zö­ge­rung wurden ihm aller­dings vier Monate der erkann­ten Freiheits­strafe als vollstreckt anerkannt.

Vor allem die Manipu­la­tio­nen an den Genita­lien der Patien­tin­nen wurden nach ihrem äußeren Erschei­nungs­bild als sexuelle Handlun­gen im Sinne des § 174c StGB anerkannt, weil die von dem Angeklag­ten vorge­nom­me­nen Berüh­run­gen und Penetra­tio­nen der Genitale seiner Patien­tin­nen unter den hier gegebe­nen Umstän­den nicht regel­ge­recht waren.

Die sexuelle Motiva­tion blieb nicht nur auf die Anfer­ti­gung der Bildauf­nah­men und Videos beschränkt, sondern auch die äußere Ausge­stal­tung der jewei­li­gen „Unter­su­chungs­hand­lun­gen“ bestimmte in einer Weise das Gesche­hen mit, dass der Behand­lungs- und Unter­su­chungs­cha­rak­ter durch den Sexual­be­zug überla­gert wurde.

Die juris­ti­sche Diskus­sion um die Straf­bar­keit von medizi­nisch indizier­ten und regel­ge­recht ausge­führ­ten Behand­lungs­maß­nah­men am weibli­chen Genital, die zugleich von sexuel­ler Motiva­tion mitge­tra­gen werden, griff daher auch im Revisi­ons­ver­fah­ren keinen Platz.

Fazit

Die Frauen­heil­kunde ist ein umfang­rei­cher medizi­ni­scher Arbeits­be­reich. Frauen­ärzte müssen über präzise inter­nis­ti­sche, chirur­gi­sche, endokri­no­lo­gi­sche und onkolo­gi­sche Kennt­nisse verfü­gen. Der Bereich der Geburts­hilfe vervoll­stän­digt das Verant­wor­tungs­spek­trum.

Alle diese Arbeits­be­rei­che, insbe­son­dere die körper­be­ton­ten Thera­pie­for­men greifen per se in den sensi­blen weibli­chen Intim­be­reich ein. Frauen exponie­ren sich als Patien­tin bei einem Gynäko­lo­gen natur­ge­mäß im beson­de­ren Maße.

Aber nicht nur Frauen werden Opfer sexua­li­sier­ter Gewalt durch die Ärzte­schaft, wie ein Straf­pro­zess aus Berlin zeigt. Dort soll sich ein renom­mier­ter HIV-Spezia­list an männli­chen Patien­ten vergan­ge­nen haben. Das Urteil steht noch aus.

Wird der medizi­ni­sche Behand­lungs­vor­gang ausge­nutzt, um sexuelle Handlun­gen vorzu­neh­men, ist das straf­wür­dig. Die Grenze zieht § 174c StGB. Das ist die gesetz­ge­be­ri­sche Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist die Rechts­pra­xis. Erst die richter­li­che Anwen­dung der Rechts­nor­men auf die Sachver­halte füllt das Straf­recht mit Leben. Das ist in dem Dortmun­der Straf­pro­zess gegen den Gynäko­lo­gen gesche­hen – aller­dings mit überlan­ger Verzö­ge­rung.

Hinweis:

Selbst eine Einwil­li­gung und ein einver­ständ­li­cher Sexual­kon­takt können die Straf­bar­keit nach § 174c Absatz 2 StGB begrün­den.

Bei einem vorsätz­li­chen Missbrauch des Vertrau­ens­ver­hält­nis­ses zwischen Arzt und Patient wird ein berufs­recht­li­cher Überhang fast durch­gän­gig bejaht.

Lässt sich der Angeklagte umfas­send und gestän­dig im Rahmen eines sexuel­len Missbrauchs­de­lik­tes ein und können die geschä­dig­ten Frauen hierdurch von einer erneu­ten Verneh­mung verschont werden, kann diesem Umstand im Rahmen der Straf­zu­mes­sung ein erheb­li­ches Gewicht zukom­men.