Darlehen von 800 Euro geht weit über das hinaus, was als "kleine Aufmerksamkeit" gilt.
Nicht mehr nur eine „kleine Aufmerk­sam­keit“: Darle­hen von 800 Euro für Kranken­pfle­ge­rin. Bild: Photo 61448552 © Sandor Kacso – Dreamstime.com

Die beiden Parteien strei­ten um die Wirksam­keit der Kündi­gung. Die Kläge­rin, eine Kranken­pfle­ge­rin, war seit 2016 bei einem ambulan­ten Pflege­dienst der Beklag­ten tätig. Seit dem 5.2.2018 betreute sie eine Patien­tin, der sie zweimal täglich Insulin zur Kontrolle des Blutzu­cker­spie­gels gab. Zwei Wochen darauf fuhren sie zusam­men zu einer Bank. Die Patien­tin hob 800 Euro von ihrem Konto ab und übergab diese der Kranken­pfle­ge­rin. Von dieser Handlung berich­tete die Tochter der Patien­tin dem Pflege­dienst­lei­ter eine Woche später, so die Beklagte.

Im Arbeits­ver­trag der Pflege­rin gelten die Bestim­mun­gen des Bundes­an­ge­stell­ten­ta­rif­ver­tra­ges für die Angestell­ten im Bereich der evange­li­schen Kirche von Westfa­len (BAT-KF). Darin heißt es in § 3 Absatz 2:

„Die Mitar­bei­ten­den dürfen von Dritten Beloh­nun­gen, Geschenke, Provi­sio­nen oder sonstige Vergüns­ti­gun­gen in Bezug auf ihre Tätig­keit nicht anneh­men. Ausnah­men sind nur mit Zustim­mung des Arbeit­ge­bers möglich. Werden den Mitar­bei­ten­den derar­tige Vergüns­ti­gun­gen angebo­ten, haben sie dies dem Arbeit­ge­ber unver­züg­lich anzuzei­gen.“

Pflege­rin behaup­tet, keinen wirtschaft­li­chen Vorteil durch das Darle­hen zu haben

Mit Schrei­ben vom 7.3.2019 teilte die Pflege­dienst­lei­tung der Mitar­bei­ter­ver­tre­tung die Absicht zur außer­or­dent­li­chen Kündi­gung der Kranken­pfle­ge­rin mit. Sie habe sich von der Patien­tin 800 Euro „erschli­chen“. Mit einem weite­ren Schrei­ben ersuchte sie die Mitar­bei­ter­ver­tre­tung um Zustim­mung zur ordent­li­chen Kündi­gung und einen Tag später sprach sie der Kranken­pfle­ge­rin die frist­lose Kündi­gung aus. Gegen diese Kündi­gung richtete sich die Klage der Pflege­rin vor dem Arbeits­ge­richt Herford.

Ende März schloss sie mit der Patien­tin einen schrift­li­chen Darle­hens­ver­trag über einen Geldbe­trag von 600 Euro ab, 200 Euro habe sie zu dem Zeitpunkt bereits zurück­ge­zahlt. Eine Verzin­sung war nicht vorge­se­hen, das Geld sollte in zwölf Monats­ra­ten à 50 Euro zurück­ge­zahlt werden.

Es kam erneut zu weite­ren Kündi­gungs­schrei­ben, die ebenso beim ArbG Herford angegrif­fen wurden. Die Kläge­rin machte deutlich, das Geld sei dafür da gewesen, um die Renovie­rung der Einlie­ger­woh­nung der Patien­tin zu bezah­len. In diese sollte die Kranken­pfle­ge­rin nämlich einzie­hen.

Die Klage wurde von dem ArbG Herford abgewie­sen (Az.: 1 Ca 275/18). Dagegen legte die Kläge­rin Berufung vor dem LAG Hamm ein. Sie behaup­tet, durch das Darle­hen keinen wirtschaft­li­chen Vorteil zu haben, da sie das Geld schließ­lich wieder zurück­zah­len müsse.

Berufung erfolg­los – Kündi­gung rechts­wirk­sam

Laut des LAG Hamm habe das ArbG Herford die Klage zurecht mit treffen­der Begrün­dung abgewie­sen. Zuguns­ten der Kläge­rin geht das Gericht davon aus, dass die Kranken­pfle­ge­rin das Geld darle­hens­weise erhal­ten hat. Der Grund war, wie sich später heraus­stellte, die Beglei­chung einer Kranken­haus­rech­nung des Eheman­nes der Kläge­rin. Diese wollte sie mit dem Darle­hen bezah­len. Der Verwen­dungs­grund ist jedoch unerheb­lich. Die Kündi­gung ist insofern gerecht­fer­tigt, da die Kranken­pfle­ge­rin sich durch das Darle­hen einen Vorteil in Bezug auf ihre Tätig­keit verschaffte.

Dieser Bezug ergibt sich daraus, dass sie und die Patien­tin sich nur über den beruf­li­chen Weg kennen. Die Aussage, sie habe durch das Darle­hen keinen wirtschaft­li­chen Vorteil, ist falsch. Ein solch zinslo­ses Darle­hen mit freier Entschei­dung über die Rückzah­lungs­mo­da­li­tä­ten ist mit diesen Kondi­tio­nen im Markt nicht verfüg­bar. Des Weite­ren verletzt die Kläge­rin den im Vertrag festge­hal­te­nen § 3 Absatz 2 BAT-KF (siehe oben). Der Paragraph sorgt im Normal­fall dafür, dass Pflege­kräfte nicht in Versu­chung geraten, Vergüns­ti­gun­gen von ihren Patien­ten anzuneh­men. Es besteht die Gefahr, dass die Arbeit­neh­mer dadurch in einen Loyali­täts­kon­flikt geraten und die entspre­chen­den Patien­ten den anderen vorzie­hen, oder sie zum Zwecke ihrer priva­ten Bedürf­nisse ausnut­zen.

Die Kläge­rin erhielt in diesem Fall von einer dritten Person einen wirtschaft­li­chen Vorteil, der über die Lohnzah­lung hinaus reicht. Ebenso verletzte sie ihre Pflicht, den Arbeit­ge­ber über das Darle­hens­an­ge­bot der Patien­tin zu infor­mie­ren. Der Betrag geht weit über das hinaus, was als „kleine“ Aufmerk­sam­keit anzuse­hen ist. Die Kranken­pfle­ge­rin hat damit ihre vertrag­li­chen Neben­pflich­ten verletzt und zudem die Vertrags­be­zie­hung der Beklag­ten zur Patien­tin gestört.

Das Auflö­sungs­in­ter­esse des Arbeits­ver­hält­nis­ses seitens der Beklag­ten ist nach Inter­es­sen­ab­wä­gung erheb­lich vorran­gi­ger als das Inter­esse der Weiter­be­schäf­ti­gung seitens der Kläge­rin. Verletzt der Arbeit­neh­mer seine vertrag­li­chen Vorga­ben, so stellt dies einen Kündi­gungs­grund im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB dar. Das Urteil ist rechts­kräf­tig.

Das komplette Urteil kann hier nachge­le­sen werden.

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe Juli/August der Rechts­de­pe­sche; RDG 16(4), S. 186–189.