Ältere Frau liest Zeitung verkehrt herum
Ein Viertel der Menschen mit Demenz in Pflege­hei­men könnte mit besse­rer Unter­stüt­zung noch zu Hause wohnen. Bild: UW/H

Fast vier Jahre lang haben sich die Projekt­part­ner im Rahmen des von der Univer­si­tät Witten/Herdecke koordi­nier­ten EU-Projekts „Right­Tim­ePlace­Care“ mit den Fragen beschäf­tigt, wie die Pflege- und Versor­gungs­si­tua­tion von Menschen mit Demenz und ihrer pflegen­den Angehö­ri­gen in Europa aussieht, wie diese verbes­sert werden kann und welche Fakto­ren einen Umzug in ein Pflege­heim beein­flus­sen. Das Haupt­au­gen­merk des von der Pflege­wis­sen­schaft­le­rin Prof. Dr. Gabriele Meyer wissen­schaft­lich koordi­nier­ten Projekts lag dabei auf der Übergangs­phase von der häusli­chen in die statio­näre Betreu­ung. Unter anderem wurden dafür mehr als 2000 Menschen mit Demenz, die kürzlich in ein Pflege­heim gezogen waren oder für die ein Umzug als wahrschein­lich einge­schätzt wurde, sowie ihre pflegen­den Angehö­ri­gen befragt.

In der Quali­tät der Pflege stellte die Projekt­gruppe EU-weit erheb­li­che Unter­schiede fest. Sehr stark schwankte beispiels­weise die Anzahl der angewand­ten freiheits­ent­zie­hen­den Maßnah­men bei den Menschen mit Demenz, die im Pflege­heim leben (Bettgit­ter, Bauch­gurte etc.). Spitzen­rei­ter in der Anwen­dung waren hier Spanien (83 Prozent), Estland (48 Prozent) und Finnland (40 Prozent), während im EU-Schnitt in 32 Prozent der Fälle derar­tige Maßnah­men bei den unter­such­ten Menschen mit Demenz angewandt wurden. Die meisten Druck­ge­schwüre im Pflege­heim kamen in Estland vor (mit 14 Prozent doppelt so viele wie im EU-Schnitt), Psycho­phar­maka wurden am häufigs­ten in Frank­reich (90 Prozent) und Spanien (81 Prozent) verab­reicht. Hier liegt der EU-Schnitt ohnehin mit 70 Prozent sehr hoch. Auch bei Menschen mit Demenz, die zu Hause gepflegt werden, fallen die Ergeb­nisse ähnlich hetero­gen aus. Zentrale Erkennt­nis ist jedoch, dass es kein teilneh­men­des EU-Land gibt, das einem anderen in allen Aspek­ten der Pflege­qua­li­tät überle­gen ist.

Große Varia­tion gibt es auch bei der Lebens­qua­li­tät der Betrof­fe­nen. Diese wurde in Schwe­den und England am höchs­ten einge­schätzt und in Estland und Spanien am niedrigs­ten. Doch zwischen den Wohnor­ten zu Hause und Pflege­heim gibt es keinen Unter­schied im Ausmaß der Lebens­qua­li­tät.

Die Belas­tung der pflegen­den Angehö­ri­gen hinge­gen war in allen Ländern in der häusli­chen Pflege erheb­lich höher als in einer statio­nä­ren Einrich­tung. Aber auch hier gab es im Ausmaß der empfun­de­nen Belas­tung erheb­li­che Unter­schiede zwischen den Ländern.

Als häufigste Fakto­ren, die EU-weit mit einem Umzug von Menschen mit Demenz in statio­näre Einrich­tun­gen assozi­iert waren, identi­fi­zier­ten die Forscher die Abhän­gig­keit bei der Bewäl­ti­gung alltäg­li­cher Aktivi­tä­ten, Demenz-bedingte Verhal­tens­auf­fäl­lig­kei­ten sowie die hohe Belas­tung der pflegen­den Angehö­ri­gen. Doch gab es große Unter­schiede in den Gründen für einen Heimein­zug zwischen den Ländern. „Bei der Entschei­dungs­fin­dung über den Umzug in ein Pflege­heim besteht in allen teilneh­men­den Ländern Optimie­rungs­be­darf“, so Prof. Meyer. Viele Betrof­fene hätten durch­aus in ihrer gewohn­ten Umgebung verblei­ben können, lautet das Ergeb­nis aus Exper­ten­pa­nels, in denen abschlie­ßend alle Daten kritisch beurteilt wurden.

Wenn Menschen mit Demenz bei verbes­ser­ter ambulan­ter Unter­stüt­zung länger in den eigenen vier Wänden leben, kann dies zudem Geld sparen. Dies zeigte die ökono­mi­sche Begleit­eva­lua­tion, die durch Prof. Dr. Dirk Sauer­land von der Univer­si­tät Witten/Herdecke gelei­tet wurde. „Dieses Geld müsste wiederum in die ambulante Versor­gung reinves­tiert werden“, fordert Prof. Meyer.