Aggressive Patienten
Kranken­häu­ser klagen über immer mehr aggres­sive Patien­ten. Bild: © Sudok1 | Dreamstime.com

Aggres­si­vi­tät immer häufi­ger

Gewalt durch aggres­sive Patien­ten rückt immer weiter in die öffent­li­che Diskus­sion.

Zahlen des Bundes­kri­mi­nal­amts zeigen, dass es im Jahr 2022 über 45.ooo Fälle von Wider­stand oder tätli­chen Angrif­fen gegen Einsatz­kräfte gab. Der Großteil davon gegen Polizei­be­amte, bei den Rettungs­kräf­ten zeigt sich der höchste Wert seit Beginn der Erhebun­gen.

Doch nicht nur auf den Straßen auch in den Kranken­häu­sern scheint der Umgang rauer gewor­den zu sein. Immer häufi­ger sind Mitar­bei­tende von Kranken­häu­sern mit Übegrif­fen und Gewalt konfron­tiert, wie eine aktuelle Umfrage des Deutschen Kranken­haus Insti­tuts zeigt.

73 Prozent der befrag­ten Klini­ken gaben an, dass die Zahl von körper­li­chen oder verba­len Übergrif­fen auf ihre Mitar­bei­ten­den in den letzten fünf Jahren deutlich oder zumin­dest mäßig gestie­gen ist.

Die Studi­en­au­toren rechnen indes mit einer erheb­li­chen Dunkel­zif­fer der Fälle. Sie gehen davon aus, dass erfolgte Übergriffe kranken­haus­in­tern von den Mitar­bei­tern nur selek­tiv gemel­det oder dokumen­tiert werden.

Ein Zustand, der von Matthias Müthing im Gespräch mit der Rechts­de­pe­sche bestä­tigt werden kann. Er ist Pflege­team­lei­ter in der Notauf­nahme der Unikli­nik Köln.

„Es ist eine Zunahme zu verzeich­nen, rein subjek­tiv. Der Ton wird rauer. Da können Sie jeden hier fragen, das nimmt jeder so wahr“, erzählt Müthing. Die Vorfälle würden aller­dings nicht täglich oder wöchent­lich vorkom­men.

Einzel­fälle, die durch­aus auffal­len, häufen sich jedoch. Meistens gehe es dabei um verbale Übergriffe in Form von Beschimp­fun­gen und Bedro­hun­gen. Dass jemand handgreif­lich wird, hänge vor allem auch mit Alkohol- oder Drogen­ein­fluss zusam­men, so Müthing.

Lange Warte­zei­ten als Grund

Auch in der Umfrage gaben Klini­ken bundes­weit an, dass vor allem der Zustand des jewei­li­gen Patien­ten zu Aggress­vi­tät führen kann. Hat der Patient große Schmer­zen oder ist alkoho­li­siert, sind Übergriffe wahrschein­li­cher. Patien­ten, die etwa an Schizo­phre­nie und Demenz leiden, stellen ebenfalls ein erhöh­tes Risiko für das Kranken­haus­per­so­nal dar.

Die Mitar­bei­ten­den in den Kranken­häu­sern stellen aller­dings auch einen allge­mei­nen Respekt­ver­lust fest. Über 70 Prozent konnten darin einen Grund für Übergriffe erken­nen.

Pflege­team­lei­ter Müthing nimmt zwar auch einen gewis­sen Respekt­ver­lust der Patien­ten wahr, für ihn sind jedoch die steigen­den Patien­ten­zah­len entschei­den­der. „Die Warte­zeit ist ein Faktor, der für das größte Gewalt­po­ten­zial verant­wort­lich ist“, sagt Müthing.

Nach der Aufnahme, die relativ schnell voran­ginge, würden viele Patien­ten in ein „Warte­zim­mer­loch“ fallen, in dem sie nicht genau wissen, was vor sich geht. Das führe zu viel Frust, der negative Stimmun­gen begüns­ti­gen kann.

Die langen Warte­zei­ten werden darüber­hin­aus auch durch Leute verur­sacht, die mit ihren Beschwer­den an anderer Stelle besser aufge­ho­ben wären als in der Notauf­nahme, so Müthung. Zusätz­li­che Belas­tun­gen, die nicht spurlos an den Mitar­bei­ten­den vorbei gehen.

Aggres­sive Patien­ten in der Pflege – Zustäz­li­che Belas­tung

Immer­hin 59 Prozent der Klini­ken gaben an, dass sich Mitar­bei­tende gelegent­lich in Folge eines körper­li­chen oder verba­len Übergriffs in thera­peu­ti­sche Behand­lung begeben müssen. Auch geringe physi­sche Schäden in Form von Kratz­wun­den, Hämato­men oder Bisswun­den werden häufig verzeich­net. Sachschä­den ohne Körper­scha­den kommen ebenfalls häufig vor.

Laut Umfrage klagen die meisten Klini­ken (87 Prozent) häufig oder gelegent­lich über merkli­che psychi­sche Belas­tun­gen ihrer Mitar­bei­ten­den nach übegrif­fi­gen Situa­tio­nen. Vor allem Schock, Angst­ge­fühle und Nieder­ge­schla­gen­heit belas­ten die Betrof­fe­nen.

Gegen aggres­sive Patien­ten in der Notauf­nahme von Pflege­lei­ter Müthing hilft da vor allem auch der kolle­giale Zusam­men­halt: „Vieles wird im Team selber kompen­siert. Wir sprechen dann über die Fälle und für viele ist das dann eine Bewäl­ti­gungs­stra­te­gie. Dann wird die Situa­tion auch noch mal reflek­tiert“, erklärt Müthing. Neben dem persön­li­chen Austausch gebe es aber auch mehrere Ansprech­stel­len, die psycho­so­ziale Nachsorge oder Seelsorge anbie­ten.

Maßnah­men im Umgang mit aggres­si­ven Patien­ten

Die Notauf­nahme in Köln verfüge darüber hinaus über einen eigenen Sicher­heits­dienst. Zusätz­li­cher Luxus, so Müthing, sei der ohnehin vorhan­dene Werkschutz der Unikli­nik Köln, der rund um die Uhr im Einsatz ist.

Eine Unter­stüt­zung, die nicht für alle Klini­ken in Deutsch­land selbst­ver­ständ­lich ist. Von nur 28 Prozent der Klini­ken wird Sicher­heits­per­so­nal einge­setzt. Begrün­det wird das vor allem durch Geldfra­gen. So sind die Kosten für Sicher­heits­per­so­nal in den letzten fünf Jahren entschei­dend gestie­gen.

Um Mitar­bei­tende trotz­dem gegen aggres­sive Patien­ten zu schüt­zen, setzen die meisten Klini­ken (65 Prozent) auf Deeska­la­ti­ons­trai­ning in Kranken­häu­sern. Auch techni­sche Maßnah­men wie Zutritts­kon­trol­len und Video­über­wa­chen nutzen viele.

Das wichtigste für Müthing ist dabei eine Sache: Eigen­schutz. „Ich werde nicht dafür bezahlt, solche Situa­tion zu lösen oder mich zusam­men­schla­gen zu lassen. Eigen­schutz geht immer vor“.

Handlungs­hil­fen für Einsatz­kräfte

Eigen­schutz ist auch zentra­ler Aspekt in den „Handlungs­hil­fen für Gewalt gegen Einsatz­kräfte“ des Deutschen Roten Kreuz. Auch unter­wegs können einige Maßnah­men ergrif­fen werden, um aggres­sive Patien­ten in Schach zu halten.

Gerade im Außen­ein­satz kommen viele Fakto­ren zusam­men, die verschie­dene Arten von Gewalt fördern. Sei es verbale oder körper­li­che Gewalt, Sachbe­schä­di­gung an Fahrzeug und Ausrüs­tung sowie Waffen­ge­walt.

Das Deutsche Rote Kreuz empfiehlt hier das „Aache­ner Modell zur Reduzie­rung von Bedro­hun­gen und Übergrif­fen“. Das Modell soll dabei helfen durch struk­tu­rier­tes Vorge­hen Übegrif­fen präven­tiv entge­gen­zu­wir­ken. Je nach Gefähr­dungs­lage gibt das Modell entspre­chende Handlungs­e­pfeh­lun­gen.

Stufe 0 normale bzw. kontro­verse Einsatz­si­tua­tion:
Für die normale Patien­te­ver­sor­gung ist es hilfreich die Einsatz­kräfte regel­mä­ßig zu unter­wei­sen und ein Gefah­ren­be­wusst­sein zu schaf­fen. Hierzu zählen Standards in der Gesprächs­füh­rung sowie Kommu­ni­ka­ti­ons- und inter­kul­tu­relle Kompe­tenz-Trainings.

Stufe 1 Verbale Aggres­sion:
In Situa­tio­nen in denen Einsatz­kräfte verbale Aggres­sion erfah­ren ist es zunächst wichtig, dass die Grenzen von nicht duldba­rem Verhal­ten aufge­zeigt werden. Für den Notfall ist es sinnvoll Flucht­mög­lich­kei­ten zu erkun­den. Die Einsatz­kräfte sollten mit der Zeit ein Bewusst­sein für Konflikt­ver­mei­dung entwi­ckeln, was durch Seminare und Deeska­la­ti­ons­trai­nings geför­dert werden kann.

Stufe 2 Körper­li­che Gewalt, eindeu­tige Bedrohung/ Nötigung der Einsatz­kräfte:
In solchen Fällen gilt Eigen­schutz vor Fremd­schutz. Außer­dem sollte ein verschlüs­sel­ter Notruf abgesetzt werden. In der Vorbrei­tung von Einsät­zen, bei denen solche Gefah­ren vermu­tet werden, ist eine Abspra­che mit der Polizei sinnvoll.

Stufe 3 Einsatz von Waffen/ Werkzeu­gen gegen Einsatz­kräfte:
Sollte es zum Einsatz von Waffen­ge­walt kommen, müssen sich die Einsatz­kräfte umgehend aus dem Gefah­ren­be­reich zurück­zie­hen. Anrückende Kräfte müssen gewarnt werden. Weitere Maßnah­men sind nur in Abspra­che mit der Polizei durch­zu­füh­ren. Im Vorfeld sollten die Verhal­tens­wei­sen für verschie­dene Szena­rien mit den Einsatz­kräf­ten geübt werden.

Generell sollte das Einsatz­um­feld immer aufmerk­sam beobach­tet werden. Durch ein korrek­tes sowie respekt­vol­les Auftre­ten können aggres­sive Patien­ten und Umste­hende im Zaum gehal­ten werden. Allen Mitmen­schen sollte mit einer wertschät­zen­den Haltung begenet werden.

Letzt­lich ist der beste Umgang mit Gefah­ren­si­tua­tio­nen ein Zusam­men­spiel aus indivi­du­el­len Verhal­tens­wei­sen der Einsatz­kräfte, aus Schulun­gen und Trainings und überge­ord­ne­ten Erarbei­tung von Standards für die jewei­lige Organi­sa­tion.