Ein Arzt bot im Internet AU-Scheine per Whatsapp an. Das LG Hamburg sieht darin eine Rechtswidrigkeit, da die ärztliche Sorgfaltspflicht missachtet wird.
Ein Arzt bot im Inter­net AU-Scheine per Whats­app an. Das LG Hamburg sieht darin eine Rechts­wid­rig­keit, da die ärztli­che Sorgfalts­pflicht missach­tet wird. (Symbol­bild) Bild: © Marite Sganga | Dreamstime.com

Krank­schrei­ben lassen per Whats­app – Anbie­ter verur­teilt

Das beklagte Unter­neh­men wirbt damit, dass sich erkäl­tete Perso­nen durch einen koope­rie­ren­den Arzt im Rahmen einer Ferndia­gnose per Whats­app krank­schrei­ben lassen können. Bei einer Arbeits­un­fä­hig­keit wegen einer Erkäl­tung können die Patien­ten für 9,00 Euro eine gültige Krank­schrei­bung vom Tele-Arzt erhal­ten. Diese wird ihnen dann aufs Handy und per Post zugesandt. Alles, was sie dafür tun müssen ist, die Symptome mittels Fragen­ka­ta­log an den Arzt zu übermit­teln.

Der Service für AU-Scheine per Handy habe den Vorteil, dass dieser schnel­ler und einfa­cher vonstat­ten­geht als ein Besuch beim Arzt. Zudem verhin­dere man die poten­zi­elle Anste­ckungs­ge­fahr im Warte­zim­mer und außer­dem würde die Behand­lung direkt per Handy dokumen­tiert, so die Beklagte. Im Werbe­text heißt es außer­dem: „Wir haben uns auf die Diagnose von Erkäl­tun­gen konzen­triert, da sie ungefähr­lich, gut erforscht und beson­ders gut per Anamnese zu diagnos­ti­zie­ren sind.“ Die Fehldia­gno­se­rate sei gering, da Risiko­pa­ti­en­ten bereits durch die getätig­ten Angaben im Frage­bo­gen ausge­schlos­sen werden könnten.

Das Landge­richt (LG) Hamburg hat die Beklagte dazu verur­teilt, das gewerb­li­che Angebot und das Ausstel­len der AU-Beschei­ni­gun­gen per Ferndia­gnose durch einen Tele-Arzt zu unter­las­sen (LG Hamburg vom 3.9.2019 – 406 HK O 56/19). Zudem hat die Beklagte an den Kläger 178,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent­punk­ten über dem Basis­zins­satz (seit dem 25.4.2019) zu zahlen.

Die Klage ging von einem nach § 8 Abatz 3 Nummer 2 UWG klage­be­fug­ten Verein aus, dem unter anderem die Ärzte­kam­mern Hamburg und Schles­wig-Holstein angehö­ren. Der Kläger macht vor dem Gericht geltend, die Vorge­hens­weise der Beklag­ten verstoße insbe­son­dere gegen § 9 des Heilmit­tel­wer­be­ge­set­zes (HWG) und bewirke und fördere Verstöße der mit der Beklag­ten zusam­men­ar­bei­ten­den Ärzte gegen § 7 Absatz 4 und § 25 der Berufungs­ord­nung für Ärzte.

Die Beklagte hinge­gen gab an, die von ihr bewor­bene Ertei­lung von AU-Schei­nen sei nicht zu beanstan­den. § 7 Absatz 4 der Berufungs­ord­nung sei bereits im April 2019 dahin­ge­hend abgeän­dert worden, dass das bewor­bene Verfah­ren damit verein­bar wäre. Ebenso werde § 9 HWG kurzfris­tig entspre­chend geändert. Außer­dem könne der koope­rie­rende Arzt bei im Einzel­fall auftre­ten­den Zweifeln mit den Patien­ten per Telefon oder Video­chat Rückspra­che halten und etwaige Fragen klären.

Ferndia­gnose per Whats­app wider­spricht der ärztli­chen Sorgfalts­pflicht

Die zuläs­sige Klage ist begrün­det. Sie wurde nicht wie von der Beklag­ten gefor­dert abgewie­sen.

Die Werbung des Unter­neh­mens ist gemäß § 3, 3a UWG unlau­ter und verpflich­tet die Beklagte daher nach §§ 8, 12 Absatz 1 Satz 2 UWG zur Unter­las­sung und Erstat­tung von Abmahn­kos­ten.

Die angebo­tene Ausstel­lung von Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gun­gen per Ferndia­gnose in der beschrie­be­nen Art und Weise verstößt gegen die ärztli­che Sorgfalt. Nach § 25 der Muster­be­rufs­ord­nung für Ärzte sowie § 25 der Hambur­ger Berufs­ord­nung für Ärzte haben diese bei der Ausstel­lung ärztli­cher Gutach­ten und Zeugnisse mit der notwen­di­gen Sorgfalt zu verfah­ren und ihre Einschät­zung nach bestem Wissen auszu­spre­chen. Dies erfor­dert jedoch den persön­li­chen Kontakt zwischen dem Arzt und dem Patien­ten, zum Beispiel in einer Sprech­stunde oder durch einen Hausbe­such. Nur so ist es dem Arzt möglich, sich einen unmit­tel­ba­ren Eindruck von der Gesund­heit des Patien­ten zu machen und diesen gegebe­nen­falls näher zu unter­su­chen.

Ohne den persön­li­chen Kontakt kann außer­dem nicht mit der gebote­nen Sorgfalt festge­stellt werden, ob der Patient tatsäch­lich an der behaup­te­ten Erkran­kung leidet. Auch bei „leich­te­ren“ Erkran­kun­gen (wie hier: Erkäl­tun­gen) darf für die Ausstel­lung einer AU-Beschei­ni­gung nicht auf einen Besuch beim Arzt verzich­tet werden, da die Krank­schrei­bung ebenso die Grund­lage für den Anspruch auf Entgelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall darstellt.

Ein den Vorga­ben der ärztli­chen Sorgfalts­pflicht entspre­chen­des Attest setzt also den persön­li­chen Kontakt zwischen dem Arzt und der erkrank­ten Person voraus. Es ist demnach unzuläs­sig, dass Krank­schrei­bun­gen regel­mä­ßig ohne diesen Kontakt heraus­ge­ge­ben werden. Der Arzt könne auch per Telefon oder Video­chat nicht die Angaben des Patien­ten zu seiner Person, seinem Gesund­heits­zu­stand und der Schwere der Erkäl­tung zuver­läs­sig verifi­zie­ren. Auch eine poten­zi­ell erfor­der­li­che Unter­su­chung kann durch die räumli­che Trennung nicht vorge­nom­men werden.

Zwar würde eine mehr oder minder große Zahl der herkömm­li­chen, unter persön­li­cher Rückspra­che mit dem Arzt ausge­stell­ten Krank­schrei­bun­gen ebenfalls nicht der ärztli­chen Sorgfalt entspre­chen. Dies recht­fer­tigt jedoch nicht die Zuläs­sig­keit des Geschäfts­mo­dells der Beklag­ten. Auch derar­tige Fälle würden gegen § 25 der ärztli­chen Berufs­ord­nung versto­ßen.

Der Beklag­ten liegt mit ihren Handlun­gen also eine fortge­setzte Verlet­zung der ärztli­chen Sorgfalt vor. Dies ist nach § 3a UWG in Verbin­dung mit § 25 der Berufs­ord­nung und nach § 3 Absatz 2 UWG unlau­ter. Nach letzte­rem sind geschäft­li­che Handlun­gen dann unlau­ter, wenn sie nicht der unter­neh­me­ri­schen Sorgfalt entspre­chen und das wirtschaft­li­che Verhal­ten des Verbrau­chers wesent­lich beein­flus­sen. Dagegen verstößt die Beklagte, indem sie die Ausgabe von Krank­schrei­bun­gen in einer der ärztli­chen Sorgfalt wider­spre­chen­den Art und Weise organi­siert und bewirbt. Der Verbrau­cher wird dahin­ge­hend gesteu­ert, dass er deutlich einfa­cher ein Attest bei der Beklag­ten erlangt, als wenn er einen nieder­ge­las­se­nen Arzt aufsu­chen würde.

Hinweis: Ebenso wenig ist eine Kündi­gung per Whats­app-Nachricht gültig. Die Rechts­de­pe­sche hat diesbe­züg­lich berich­tet.