Krankschreiben lassen per Whatsapp – Anbieter verurteilt
Das beklagte Unternehmen wirbt damit, dass sich erkältete Personen durch einen kooperierenden Arzt im Rahmen einer Ferndiagnose per Whatsapp krankschreiben lassen können. Bei einer Arbeitsunfähigkeit wegen einer Erkältung können die Patienten für 9,00 Euro eine gültige Krankschreibung vom Tele-Arzt erhalten. Diese wird ihnen dann aufs Handy und per Post zugesandt. Alles, was sie dafür tun müssen ist, die Symptome mittels Fragenkatalog an den Arzt zu übermitteln.
Der Service für AU-Scheine per Handy habe den Vorteil, dass dieser schneller und einfacher vonstattengeht als ein Besuch beim Arzt. Zudem verhindere man die potenzielle Ansteckungsgefahr im Wartezimmer und außerdem würde die Behandlung direkt per Handy dokumentiert, so die Beklagte. Im Werbetext heißt es außerdem: „Wir haben uns auf die Diagnose von Erkältungen konzentriert, da sie ungefährlich, gut erforscht und besonders gut per Anamnese zu diagnostizieren sind.“ Die Fehldiagnoserate sei gering, da Risikopatienten bereits durch die getätigten Angaben im Fragebogen ausgeschlossen werden könnten.
Das Landgericht (LG) Hamburg hat die Beklagte dazu verurteilt, das gewerbliche Angebot und das Ausstellen der AU-Bescheinigungen per Ferndiagnose durch einen Tele-Arzt zu unterlassen (LG Hamburg vom 3.9.2019 – 406 HK O 56/19). Zudem hat die Beklagte an den Kläger 178,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (seit dem 25.4.2019) zu zahlen.
Die Klage ging von einem nach § 8 Abatz 3 Nummer 2 UWG klagebefugten Verein aus, dem unter anderem die Ärztekammern Hamburg und Schleswig-Holstein angehören. Der Kläger macht vor dem Gericht geltend, die Vorgehensweise der Beklagten verstoße insbesondere gegen § 9 des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) und bewirke und fördere Verstöße der mit der Beklagten zusammenarbeitenden Ärzte gegen § 7 Absatz 4 und § 25 der Berufungsordnung für Ärzte.
Die Beklagte hingegen gab an, die von ihr beworbene Erteilung von AU-Scheinen sei nicht zu beanstanden. § 7 Absatz 4 der Berufungsordnung sei bereits im April 2019 dahingehend abgeändert worden, dass das beworbene Verfahren damit vereinbar wäre. Ebenso werde § 9 HWG kurzfristig entsprechend geändert. Außerdem könne der kooperierende Arzt bei im Einzelfall auftretenden Zweifeln mit den Patienten per Telefon oder Videochat Rücksprache halten und etwaige Fragen klären.
Ferndiagnose per Whatsapp widerspricht der ärztlichen Sorgfaltspflicht
Die zulässige Klage ist begründet. Sie wurde nicht wie von der Beklagten gefordert abgewiesen.
Die Werbung des Unternehmens ist gemäß § 3, 3a UWG unlauter und verpflichtet die Beklagte daher nach §§ 8, 12 Absatz 1 Satz 2 UWG zur Unterlassung und Erstattung von Abmahnkosten.
Die angebotene Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen per Ferndiagnose in der beschriebenen Art und Weise verstößt gegen die ärztliche Sorgfalt. Nach § 25 der Musterberufsordnung für Ärzte sowie § 25 der Hamburger Berufsordnung für Ärzte haben diese bei der Ausstellung ärztlicher Gutachten und Zeugnisse mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren und ihre Einschätzung nach bestem Wissen auszusprechen. Dies erfordert jedoch den persönlichen Kontakt zwischen dem Arzt und dem Patienten, zum Beispiel in einer Sprechstunde oder durch einen Hausbesuch. Nur so ist es dem Arzt möglich, sich einen unmittelbaren Eindruck von der Gesundheit des Patienten zu machen und diesen gegebenenfalls näher zu untersuchen.
Ohne den persönlichen Kontakt kann außerdem nicht mit der gebotenen Sorgfalt festgestellt werden, ob der Patient tatsächlich an der behaupteten Erkrankung leidet. Auch bei „leichteren“ Erkrankungen (wie hier: Erkältungen) darf für die Ausstellung einer AU-Bescheinigung nicht auf einen Besuch beim Arzt verzichtet werden, da die Krankschreibung ebenso die Grundlage für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall darstellt.
Ein den Vorgaben der ärztlichen Sorgfaltspflicht entsprechendes Attest setzt also den persönlichen Kontakt zwischen dem Arzt und der erkrankten Person voraus. Es ist demnach unzulässig, dass Krankschreibungen regelmäßig ohne diesen Kontakt herausgegeben werden. Der Arzt könne auch per Telefon oder Videochat nicht die Angaben des Patienten zu seiner Person, seinem Gesundheitszustand und der Schwere der Erkältung zuverlässig verifizieren. Auch eine potenziell erforderliche Untersuchung kann durch die räumliche Trennung nicht vorgenommen werden.
Zwar würde eine mehr oder minder große Zahl der herkömmlichen, unter persönlicher Rücksprache mit dem Arzt ausgestellten Krankschreibungen ebenfalls nicht der ärztlichen Sorgfalt entsprechen. Dies rechtfertigt jedoch nicht die Zulässigkeit des Geschäftsmodells der Beklagten. Auch derartige Fälle würden gegen § 25 der ärztlichen Berufsordnung verstoßen.
Der Beklagten liegt mit ihren Handlungen also eine fortgesetzte Verletzung der ärztlichen Sorgfalt vor. Dies ist nach § 3a UWG in Verbindung mit § 25 der Berufsordnung und nach § 3 Absatz 2 UWG unlauter. Nach letzterem sind geschäftliche Handlungen dann unlauter, wenn sie nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen und das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich beeinflussen. Dagegen verstößt die Beklagte, indem sie die Ausgabe von Krankschreibungen in einer der ärztlichen Sorgfalt widersprechenden Art und Weise organisiert und bewirbt. Der Verbraucher wird dahingehend gesteuert, dass er deutlich einfacher ein Attest bei der Beklagten erlangt, als wenn er einen niedergelassenen Arzt aufsuchen würde.
Hinweis: Ebenso wenig ist eine Kündigung per Whatsapp-Nachricht gültig. Die Rechtsdepesche hat diesbezüglich berichtet.