Delegation
Prof. Dr. Volker Großkopf

Dies dürfte der klassi­sche Albtraum von Medizin und Pflege sein: Eine Patien­tin stellt sich in der Notauf­nahme eines Klini­kums vor; die dienst­ha­bende, frisch appro­bierte Ärztin lässt von einem Pfleger eine Spritze aufzie­hen. Dieses Medika­ment ist jedoch bei jener Patien­tin kontra­in­di­ziert, was für erfah­re­nere Ärzte klar erkenn­bar gewesen wäre. Nach Verab­rei­chen der Injek­tion verstirbt die Frau. Wer ist nun straf­recht­lich belang­bar – die Ärztin oder der Pfleger, oder sogar beide?

Über diese auf einer wirkli­chen Begeben­heit basie­ren­den Fallkon­stel­la­tion disku­tierte die Runde beim zweiten Seminar­tag der Winter­aka­de­mie 2023 – beim Workshop „Von Substi­tu­tion bis Delega­tion – Neue recht­li­che Ausrich­tung für Pflege und Medizin“ von Prof. Dr. Volker Großkopf, dem Initia­tor der Weiter­bil­dung.

Die Lösung des Falles: Während sich die Ärztin tatsäch­lich wegen fahrläs­si­ger Tötung verant­wor­ten musste, kam der Pfleger – der ihre Anwei­sung befolgte – davon. „Der Angewie­sene darf grund­sätz­lich darauf vertrauen, dass die Anwei­sung sach- und fachge­recht ist“, erläu­terte Großkopf. „Aller­dings gibt es kein blindes Vertrauen: Sobald beim Pfleger Anhalts­punkte dafür auftre­ten, dass die Anwei­sung falsch ist, darf der Angewie­sene sie nicht befol­gen.“

Demogra­fi­scher Wandel macht neue Lösun­gen in Pflege nötig

Den medizi­nisch-pflege­ri­schen Behand­lungs­all­tag effizi­en­ter zu gestal­ten, ist eine schiere Notwen­dig­keit angesichts des demogra­fi­schen Wandels – der um 2030 herum bewir­ken wird, dass die gebur­ten­starke „Babyboomer“-Generation der 1960er-Jahre nach und nach in den Ruhestand gehen wird, und gleich­zei­tig immer weniger Arbeits­kräfte „nachwach­sen“ und sich aufgrund des höheren Alters der Bevöl­ke­rung die Nachfrage nach Pflege­leis­tun­gen erhöht.

„Dies stellt keine Katastro­phe dar, die unerwar­tet herein­bricht, sondern es ist eine schlichte demogra­fi­sche Entwick­lung“, griff Großkopf sein Argument von der Akade­mie-Eröff­nung am Samstag auf. „Schon bei der ersten Winter­aka­de­mie 2008 hatten wir über den demogra­fi­schen Wandel gespro­chen. Schon damals hatten wir zu wenig Perso­nal. Das Unver­ständ­li­che ist, dass wir ja schon damals wussten, wie die Entwick­lung ausse­hen wird, und dennoch zu wenig passierte.“

Ein höheres Renten­al­ter, Anwer­bung von auslän­di­schen Arbeits­kräf­ten und Digita­li­sie­rung können ebenfalls ihren – begrenz­ten – Beitrag leisten, dem Fachkräf­te­man­gel zu begeg­nen. Dafür jedoch müssten die Bedin­gun­gen stimmen, also – Stich­wort Renten­al­ter – die Arbeit körper­lich leist­bar bleiben. Und für inter­na­tio­nale Pflege­kräfte müssten die Bedin­gun­gen stimmen. „Spanien hat seine Pflege akade­mi­siert, wir noch nicht. Wenn spani­sche Kräfte nach Deutsch­land kommen, merken diese: Die Sprache ist Mist, die Arbeit ist Mist, das Wetter ist Mist, die Leute sind Mist. Dann gehen die alle wieder zurück.“

Wenn ein gelern­ter Kfz-Mecha­ni­ker die Infusio­nen setzt…

Grund­sätz­lich gelte bei Delega­tion und Substi­tu­tion: Die Beauf­trag­ten müssen formell und materi­ell quali­fi­ziert für ihre übertra­gen bekom­mene Aufgabe sein, damit alle Betei­lig­ten – die Überträ­ger, die beauf­tragte Pflege­kraft und die Einrich­tung insge­samt – auf der siche­ren Seite sind.

Das heißt: sowohl über die notwen­dige Ausbil­dung hierfür verfü­gen, als auch die Tätig­keit tatsäch­lich in der Praxis beherr­schen. Andern­falls drohen straf­recht­li­che Konse­quen­zen wegen Körper­ver­let­zung – und bei einem Patien­ten­scha­den führen nicht hinrei­chend quali­fi­zier­tes Perso­nal zur gefürch­te­ten Beweis­last­um­kehr: Nicht der Patient muss seinen Schaden und den ursäch­li­chen Zusam­men­hang mit der Behand­lung bewei­sen, sondern die Einrich­tung den Gegen­be­weis führen, dass dem nicht so ist.

So war es im Fall eines Senio­ren­heims gesche­hen, das einen gelern­ten Kfz-Mecha­ni­ker als Hilfs­pfle­ge­kraft einge­setzt hatte, die auch Sprit­zen setzte. „Nichts war dabei passiert, der Pfleger war bei den Leuten sogar sehr beliebt“, schil­derte Großkopf. „Dennoch ermit­telte die Staats­an­walt­schaft gegen die Pflege­dienst­lei­tung – wegen Anstif­tung zur Körper­ver­let­zung in 127 Fällen.“ Denn eine Einwil­li­gung der Patien­ten greife bei Behand­lungs­feh­lern nicht, wobei es sich beim Einsatz der nicht quali­fi­zier­ten Hilfs­kraft handelte. Der Fall, der vor dem Landge­richt im badischen Walds­hut-Tiengen landete, sei deshalb sensa­tio­nell, „weil er den Anwei­sen­den verfolgte, nicht den Handeln­den.“

Eine Begrün­dung der Delegier­bar­keit, ein struk­tu­rier­ter Ausbil­dungs­plan für Delega­ti­ons-Empfän­ger, ein Befähi­gungs­nach­weis, eine entspre­chende Dienst­an­wei­sung oder Rundver­fü­gung sowie eine Haftpflicht­ab­si­che­rung – mit diesen Schrit­ten dürften Einrich­tun­gen, die den Weg der Delega­tion oder Substi­tu­tion gehen wollen, auf der siche­ren Seite sein. Neben der in jedem Fall notwen­di­gen Einwil­li­gung und Aufklä­rung der Patien­ten, die Voraus­set­zung jedes ärztli­chen Handelns sei. „Man macht eben ohne Einwil­li­gung keine Löcher in fremde Menschen“, fasste Großkopf es unter Lachen im Publi­kum zusam­men.