Sachverhalt
In einem Rechtsstreit vor dem AG Frankfurt stand die Verlängerung einer Genehmigung zum Anbringen von Bettseitenteilen im Streit. Eine derartige Genehmigung wurde von dem Sohn einer Heimbewohnerin – der zugleich ihr Betreuer war – bereits im Vorjahr für die Dauer von 12 Monaten erwirkt (AG Frankfurt vom 29.11.2012 – Az.: 49 XVII 3023/11). Die Betroffene war in der Lage sich eigenständig aus einem Sessel zu erheben oder an den Rand ihres Bettes zu gelangen. Dies hat sich durch den persönlichen Eindruck, den sich das Betreuungsgericht während der Anhörung verschafft hat, bestätigt.
Entscheidung
Der Antrag auf Genehmigung der Anbringung von Bettseitenteilen ist zurückgewiesen worden. Zur Begründung wurde angeführt, dass die Bettseitenteile einen Aufenthaltswechsel verhindern und den Bewegungsradius der Betroffenen einschränken. Sie ist aufgrund der Begrenzungen weder in der Lage, sich einen Gehwagen oder einen Rollstuhl heranzuziehen noch nach etwaigen Gegenständen, welche sich außerhalb des eng umgrenzten Bereichs um das Bett befinden, zu greifen.
Eine rechtswirksame Einwilligung in die hiermit verbundene Freiheitsentziehung konnte die Betroffene aufgrund ihres Gesundheitszustands persönlich nicht erteilen, sodass es in jedem Fall der (genehmigungspflichtigen) Einwilligung des Betreuers bedurfte.
Es wurde in der Entscheidung klar hervorgehoben, dass rein präventive Maßnahmen ohne Vorliegen einer konkreten Gefahr einen Eingriff in das Freiheitsgrundrecht in keinem Fall rechtfertigen können. Außerdem erteilte das Gericht der betreuungsgerichtlichen Tendenz, das Anbringen von Bettgittern aus Kostengründen oder Personalnot weniger streng zu beurteilen, eine klare Absage. Wirtschaftliche Erwägungen dürfen bei der Suche nach milderen Mitteln grundsätzlich keine Rolle spielen – lautete das klare Votum des AG Frankfurt.
Auch der BGH hat zu Haftungsfragen in vergleichbaren Sachverhaltskontexten ausgeführt, dass Maßnahmen zur Sturzprophylaxe in einem Pflegeheim „üblich“ sein müssen. In diesem Sinne zählt es zum üblichen Standard, dass Alternativen zu freiheitsentziehenden Maßnahmen zur Verfügung gestellt werden. Hierzu wird beispielsweise die Bereitstellung eines absenkbaren Pflegebetts oder die Gewährung von Sitzwachen während der Nacht gerechnet.
Im Ergebnis ist es also die Aufgabe des Betreuers im Rahmen seines Aufgabenkreises dafür zu sorgen, dass die Pflegeeinrichtung der betreuten Person die entsprechenden alternativen Hilfsmittel zur Verfügung stellt. Ist die Pflegeeinrichtung hierzu nicht bereit, so ist ein anderes Pflegeheim für die betroffene Person zu suchen. Im Einzelfall sind für zusätzliche Hilfsmittel zur Vermeidung von schweren Folgen eines Sturzes zum Wohl der betreuten Person auch deren eigene finanzielle Mittel zu verwenden, bevor in das Grundrecht der Freiheit des Pflegebedürftigen eingegriffen wird. Im vorliegenden Fall ist daher die Genehmigung zum Anbringen der Bettseitenteile versagt worden.
11 Kommentare
Warum dürfen in den Krankenhäusern Bettgitter angebracht und die Patienten sediert werden? Ist es da keine Freiheitsentziehende Maßnahme? ? ? ?
@ Petra Müller
Selbstverständlich fallen sowohl physische Freiheitsentziehungsmaßnahmen ‚wie Bettgitter etc und chemische F. wie Sedativa, im Krankenhaus unter das gleiche Gesetz. Auch hier muss nach 24h ein Richter das Beibehalten der Maßnahmen berechtigen.
Ihr müsst bedenken dass hier eine Verletzung der Grundrechte bei jeglicher Art von FEM vorliegt und zwar Artikel 1 und 2 GG. In dringend notwendig en Faellen liegt bei Eigengefaehrdung der rechtfertigen de Notstand vor wo 48 h die Möglichkeit der Fixierung ohne richterliche Genehmigung vorliegt.
FEM bleibt FEM! Daher sind z.B Nidrigflurbetten oftmals eine gute Alternative.zumal die potentielle Sturzhöhe gesenkt wird und folglich die Gefahr von Frakturen minimiert wird.Ressourcen des Bewohners/Patienten sollten nicht auf Grund einer möglichen Sturzgefahr unterbunden werden.
Es ist fatal, dass aufgrund von nicht vorhandener Personal- und Zeitkapazität betreuende Personen sich dazu genötigt sehen einen Menschen, entgegen ihrer Grundeinstellung (Freiheit, Selbstbestimmung, Respekt vor dem alten Menschen), an ein Bett zu fesseln. Die Rahmenbedingungen müssen geändert werden.
Niedrigflurbetten in Verbindung mit einem sturzabsorbierenden Boden und Bewegungsmeldern in den Zimmern sind bei uns auf Station der Standard. Bettgitter und Matten vorm Bett sind obsolet. Trotzdem hatten wir vor kurzem den Fall, daß die Ehefrau eines Patienten, die auch gesetzliche Betreuerin war, mit dem Chefarzt die Absprache getroffen hat, das wir (die Pflege) die Bettgitter in der Nacht bitte anbringen sollen, weil Ihr Mann das aus dem Heim so kennt. Der Patient selbst schwerst dement , nicht mehr mobil aber im Bett zeigte er gerade in der Nacht eine starke Bewegungsunruhe.In einem Nachtdienst hat sich der Patient beinahe das Bein gebrochen, weil er in dem Bettgitter festhing und sich nicht mehr befreien konnte.Wir kamen gerade noch rechtzeitig, um ihn aus dieser Lage zu befreien.
Jede(r) Pflegende, der Bettgitter oder andere FEM bei seinen Bewohnern/Patienten verwendet, sollte sich selbst mal in seinem Aktionsradius dermassen beschränken lassen. Ich denke, dass schon nach kürzester Zeit eine andere Einstellung dazu herrscht. Einfach mal den Selbstversuch starten und sich auf einen Stuhl mitten in den Raum setzen, ohne auch nur eine Chance zu haben durch einigermaßen normale Bewegungen seinen Radius erweitern zu können. Dann möchte ich sehen, wie viele noch ihren Bewohnern oder Patienten das Gleiche „antun“.
Man nimmt diesen alten und vielleicht dementen Patienten jegliche Form der Würde und des Respektes.
Natürlich spreche ich nicht von den Menschen, die sich in einer akuten Gefährdungssituation befinden und es für einen kurzen Zeitraum keine wirkliche Altenativen zu den FEM gibt.… Diese Fälle müssen aber zwingend äußerst sorgfältig begründet und dokumentiert werden.
Für alle anderen Fälle sollte jede(r) Pflegende in Zusammenarbeit mit den Einrichtungen und den Angehörigen eine andere Möglichkeit finden, um den Bewohnern und Patienten ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen!
Ich stimme dem richterlichen Urteil zu! Die Betroffene war in der Lage, sich selbstständig zu bewegen und wäre (nicht nur dadurch) ihres grundsätzlichen Freiheitsrechts nach Art. 104 GG „beraubt“.
Die Erforderlichkeit für eine FEM war in diesem Fall auch nicht gegeben durch eine evtl. hohe Gesundheitsgefährdung ihrerseits durch schlimme Stürze oder für Dritte.
Aufgrund ihres Gesundheitszustandes konnte sie keine rechtswirksame Einwilligung für eine FEM geben, die indirekt auch beinhaltet, dass ihrerseits von einem „natürlichen Willen zur Fortbewegung ausgegangen werden muss“. Ein rechtfertigender Notstand nach §34 StGB ist ebenfalls nicht gegeben. Allein präventive Maßnahmen rechtfertigen keine FEM. Insofern sind keine Gründe nach § 1906 BGB zu freiheitsentziehenden Maßnahmen gerechtfertigt.
Wirtschaftliche Gründe wie z.B. fehlendes Personal etc. sollten niemals eine FEM rechtfertigen!
Niedrigflurbetten wären eine adäquate Lösung um die Sturzhöhe zu senken. Es sollten keine menschenunwürdigen Zustände geschaffen werden. Ressourcen der Bewohner/Patienten sollte nicht eingeschränkt oder gänzlich genommen werden. Die Würde des Menschen sollte höchste Priorität besitzen,signifikante Möglichkeiten zu finden,um die Patienten/Bewohner ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.Außerdem stellt es eine Verletzung die im GG unter Art.1 Abs.1 sowie Art.2 Abs.2 dar. Schließlich müssen neue Rahmenbedingungen geschaffen werden: wie das Umdenken über die desolaten Zustände von Personalschlüssel und Entlohnung.
Also keine Frage , Niedrigflurbetten, Bewegungsmelder und Sitzwachen sind die humane Lösung, aber ohne einen deutlich erhöhten Personalschlüssel geht es trotzdem nicht. Mal sehen was aus dem KHSTG wird.In einer mir bekannten Einrichtung gibt es jetzt eine neue Servicekraft ‚aber Pflegepersonal ? Fehlanzeige
Warum ist das anbringen der Bettgitter eigentlich erforderlich?
In der Schilderung dieses Falls wird lediglich gesagt, dass die Patientin aufgrund ihres „Gesundheitszustands“, nicht in der Lage war eine Einwilligung zu erteilen. Was bedeutet dies für diesen Fall? Ist die Patientin durch eine Demenz, einen Schlaganfall, einer Epilepsie oder einer Amputation beeinflusst? Könnte Sie die Tragweite ihrer Entscheidung im Falle einer Eigengefährdung abschätzen? Liegt überhaupt eine Sturzgefahr vor? Gibt es Sturzereignisse in der Historie dieser Patientin? Sind diese Fragen für diesen Fall überhaupt von Bedeutung?
Anscheinend nicht! Das Urteil beruht auf der reinen Sachlage und ist daher gut verständlich und nachvollziehbar.
Die Empfehlungen des Gerichts und die Ausführungen des BGH hingegen sind leider alles andere als sachlich. Jedenfalls wenn man davon ausgeht, dass die Kluft zwischen Realität und Praxis ein unvorstellbares Ausmaß genommen hat, wovor die Gerichte, der Staat und die Gesellschaft die Augen verschlossen halten. „Alleinverantwortlich für 52 Bewohner“ ist die wirkliche Realität. Solange die Pflege unter solchen Missständen arbeiten muss, frage ich mich ernsthaft wie Prävention aussehen mag? Ein absenkbares Bett verhindert vielleicht die Gefahr eines ernsthaften Sturzes aus dem Bett, bedeutet jedoch nicht, dass der „sturzgefährdete“ Mensch einen erweiterten Bewegungsradius wahrnehmen kann. Ist es sicherer, wenn der Patient/Bewohner allein versucht sich vom Boden aus, an einem Rollator, Gehwagen oder Rollstuhl hochzuziehen, um seinen Bewegungsradius zu erweitern? Ohne Personal in solchen ‑einrichtungen wird eine Sturzprävention immer eine Fiktion bleiben. Auch die Vorgabe den Bewohner in eine andere Einrichtung zu verbringen, in dem eine Prävention gewährleistet werden kann, heißt nichts anderes als den Bewohner in die häusliche Umgebung seiner Angehörigen zu schaffen oder besser noch ins Ausland. Man bräuchte sehr viel Zeit und Geduld, eine Einrichtung in Deutschland zu finden, die einen Personalschlüssel insbesondere in der Nacht aufweist, um eine gute Sturzprävention gewährleisten zu können. Eine Absicherung durch die Rechtsprechung zur generellen Prävention ist ohne gesetzliche Vorgaben zur Personalsicherung nicht erfüllbar. Eine gesetzliche Regelung wie viel Personal mindestens in Abhängigkeit zur Anzahl der Bewohner und dem Aufwand der jeweiligen Erkrankungen für jeden einzelnen Bereich wäre ein Ansatz, um die Versorgung und Prävention gewährleisten zu können.
Alternativ könnte auch eine Änderung im DRG-System vorgenommen werden, in dem man ein Zusatzendgeld für geleistete Sitzwachen (pro Tag und Nacht für einen Pflegenden) einführt. Wahrscheinlich wäre unser Gesundheitssystem nach Einführung innerhalb eines Jahres pleite aber es würde vielleicht helfen, die Legalisierung der Patientengefährdung abzuschaffen. Denn genau darum geht es! Sich nicht erwischen zu lassen und die Gefährdung eines Menschen in Kauf zu nehmen. Ohne das erforderliche Personal in einer Einrichtung, können gesetzliche Vorgaben nur sehr schwer eingehalten werden. Die Argumentation der steigenden Kosten für Personal ist fraglich.
Bei mehr Personal könnten zusätzliche Erkrankungen besser behandelt werden und Präventionen tatsächlich umfangreich durchgeführt werden. Würde dies zu einer Senkung der derzeitigen Kosten im Gesundheitssystem führen? Vielleicht würde es auch nur zu einer Umverteilung der Kosten führen, was jedoch zur Verbesserung beitragen könnte.
Solange eine gesetzliche Regelung der Personalberechnung nicht existiert, wird Prävention lediglich als Aushängeschild genutzt, jedoch in der Realität kaum gelebt. Damit bleibt Deutschland lediglich ein Rechts-Märchen, die Fiktion von Traum und Wunschgedanken.