Die Vorsorge ist das Sorgenkind des Gesundheitswesens – zumindest in Deutschland: Nach wie vor liegt der Fokus auf der Behandlung von Krankheiten statt darauf, sie gar nicht erst entstehen zu lassen.
Und das hat Folgen: Obwohl Deutschland mit jährlich über 5000 Euro pro Kopf deutlich höhere Gesundheitskosten hat als andere europäische Länder, liegt unsere Lebenserwartung im europäischen Vergleich nur im Mittelfeld.
Institut für Prävention wird BzgA ersetzen
Deshalb hatte Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) im Oktober 2023 den Aufbau eines Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) angekündigt, das sich um die Vermeidung nicht übertragbarer Krankheiten kümmern und bis 2025 die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ersetzen soll.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) beschreibt die zentrale Aufgabe des BIPAM als „weg von der Fokussierung auf ein kuratives Gesundheitssystem hin zu einer sinnvollen Kombination aus Gesundheitsförderung, Prävention und Versorgung.“ Dabei soll sowohl die Erhebung und Auswertung von Daten als auch die Vernetzung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes eine Rolle spielen.
Die Primärprävention, die so verbessert werden soll, hat das Ziel, Krankheiten gar nicht erst entstehen zu lassen und spielt besonders bei Volkskrankheiten wie Typ-2-Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine Rolle. Sie richtet sich an gesunde Menschen und soll diese zum Beispiel zu einer gesunden Lebensweise motivieren.
Darüber hinaus gibt es noch die Sekundärprävention, die auf die Früherkennung von Krankheiten abzielt – darunter fallen zum Beispiel Vorsorgeuntersuchungen oder Screenings bei Neugeborenen. Die dritte Kategorie der Präventionsmaßnahmen ist die Tertiärprävention, deren Ziel es ist, eine Verschlechterung von Krankheiten zu verhindern oder Rückfällen vorzubeugen, zum Beispiel durch Rehbilitationsmaßnahmen.
Verhaltens- und Verhältnisprävention
Die Kernstrategie von Präventionsstrategien ist der sogenannte Setting-Ansatz, der davon ausgeht, dass Gesundheitsförderung in den alltäglichen Lebensbereichen der Menschen beginnen muss. Er konzentriert sich darauf, allen Menschen die gleichen Chancen auf ein gesundes Leben zu ermöglichen, zum Beispiel durch die Bereitstellung von Ressourcen oder die Stärkung der Gesundheitskompetenz des einzelnen Menschen.
Darüber hinaus unterscheidet man zwischen der Verhältnisprävention, die sich auf die Änderung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen konzentriert, und der Verhaltensprävention, die das Verhalten des Individuums in den Mittelpunkt stellt.
Maßnahmen, die auf individuelle Verhaltensänderungen abzielen, sind allerdings oft wenig effektiv. So heißt es in einem Bericht der Wissenschaftlichen Dienste der Bundesregierung: „Im Bereich der Primärprävention gibt es in der Fachliteratur Zweifel daran, dass in Deutschland die Umsetzung von Maßnahmen effizient gelingt – insbesondere im Vergleich zu Australien, den USA und Großbritannien.
Informationskampagnen und Selbstverpflichtungen der Industrie
Zur Vermeidung von gesundheitsschädlichen Verhaltensweisen wie z. B. des Rauchens, eines übermäßigen Alkoholkonsums und von Fettleibigkeit setzt die deutsche Gesundheitspolitik u. a. auf Informationskampagnen und auf Selbstverpflichtungen der Industrie. Da diese Informationskampagnen mit finanziell starken Marketingbudgets der Industrie konkurrierten, sei ein Scheitern leicht nachzuvollziehen.“
Das ist die Kehrseite des mündigen Patienten: Die Verhaltensprävention setzt auf die Eigenverantwortung, die seit Einführung des fünften Sozialgesetzbuchs 1988 zu den Grundsäulen der Sozialversicherung zählt. Ist allerdings jeder Mensch selbst für seine persönliche Gesundheit verantwortlich, birgt das die Gefahr, dass Menschen sich für eine ungesundere Lebensweise entscheiden.
Appelle an den Einzelnen müssen also auf entsprechende Strukturen treffen, um ihre Wirkung entfalten zu können. Ein flächendeckendes Rauchverbot in der Öffentlichkeit hält beispielsweise deutlich mehr Menschen vom Rauchen ab als Aufklärungskampagnen über die Gefahren des Rauchens.
Studien belegen, dass sich die Wirksamkeit der Verhaltensprävention verbessern lässt, zum Beispiel durch engmaschige Kontrolle in Form regelmäßiger Arztgespräche. Die ärztliche Vergütung sieht jedoch in der Regel nur ein Beratungsgespräch im Monat vor. Für Diabetespatienten, die sich etwa mit einer Ernährungsumstellung schwertun, kann das zu wenig sein.
Prävention: Fehlanreize für Ärzte und Kassen
Grundsätzlich fehlen im Gesundheitswesen Anreize für die Arztpraxen, stärker auf Prävention zu setzen: Die Gerätemedizin wird deutlich besser honoriert als die sogenannte sprechende Medizin, also das Gespräch mit dem Patienten.
Für die Krankenkassen sieht es ähnlich aus: Mit dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) gibt es einen finanziellen Ausgleich für Krankenkassen, die überdurchschnittlich viele kranke Menschen versichern. Einen finanziellen Anreiz für erfolgreiche Präventionsmaßnahmen ist vom Gesetzgeber dagegen nicht vorgesehen.
Laut Anne-Kathrin Klemm, Vorständin des BKK Dachverbands, gibt die GKV aktuell nur 2,5 Prozent ihres Budgets für Präventionsmaßnahmen aus. Für das Jahr 2024 will das GKV-Bündnis für Gesundheit besonders die Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten ausbauen. Vorraussetzung hierfür sei jedoch, „dass Gesundheitsförderung und Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgaben betrachtet und verankert werden.“
Das BIPAM setzt den richtigen Impuls: Deutschland muss sich mehr auf die Vorsorge konzentrieren. Bessere Vernetzung und präzisere Datenauswertung sind ein wichtiger erster Schritt hin zu einer verbesserten Prävention. Aber darüber hinaus muss es Strukturreformen geben, die auch die Budgets im Gesundheitswesen in Richtung der Vorsorge schieben.
Sonst wird die Arbeit des BIPAM letztendlich nur die Grundlage für weitere Aufklärungskampagnen sein. Für eine Lebenswelt, die es Menschen leicht macht, sich für eine gesündere Lebensweise zu entscheiden, reicht das nicht aus.