Öffentliche Dienstleistungsaufträge, also schriftliche, entgeltliche Verträge zwischen einem Dienstleistungserbringer und einem öffentlichen Auftraggeber, sollten seit jeher den gemeinschaftlichen Regeln entsprechen und über die Staatsgrenzen EU-weit vergeben werden können.
Die Beurteilung, wer zum Kreis der öffentlichen Auftraggeber zählt, orientiert sich am Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). § 99 GWB legt dies in einem umfangreichen Katalog fest und definiert, wer unter Einhaltung weiterer Voraussetzungen ein Vergabeverfahren durchführen muss.
Aus der Sicht des Textilservices müssen neben Polizei, Bundeswehr, der öffentlichen (Justiz-)Verwaltung insbesondere die Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens wie Krankenhäuser, Pflegeheime, Kindertagesstätten, wenn sie nicht in privater, frei-gemeinnütziger oder konfessioneller Trägerschaft organisiert sind, die vergaberechtlichen Besonderheiten beachten.
Für die textilen Dienstleistungen kann man nach über 30 Jahren des Modernisierens im Europäischen Vergaberecht zunächst einmal feststellen, dass die Verfahren vor allem eines nicht sind: Europaweit. Das gilt auch für die deutschen Grenzregionen – von wenigen Ausnahmen abgesehen. Weder Auftraggeber noch Bieter haben ein gesteigertes Interesse. Und: Textilservice ist ein regionales Geschäft. Echte Kreislaufwirtschaften können nur regional wirtschaftlich und nachhaltig funktionieren.
Essenzielles bleibt im Un(ge)wissen
Für die meisten Textilservice-Aufträge im Krankenhaus- und Pflegeheimsektor gilt aufgrund des Schwellenwertes das Europäische Vergaberecht. Das heißt: textile Vergabeverfahren außerhalb des Sektorenbereichs, die ab 2022 eingeleitet worden sind, müssen zwingend unter Berücksichtigung des anzuwendenden Verfahrensregularien und Bekanntmachungsmuster europaweit ausgeschrieben werden, wenn sie über die gesamte Vertragslaufzeit den (Netto-)Wert von 215.000 Euro ohne Umsatzsteuer übersteigen.
Für Aufträge mit einem geringeren Volumen gilt gemäß § 106 GWB seit dem Jahr 2017 die sogenannte Unterschwellenvergabeverordnung (UVgO), die sichan dem EU-Vergaberegelwerk orientiert. Aktuell haben lediglich die Bundesländer Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt die UVgO noch nicht eingeführt.
Das Regularium zur Ordnung des Wettbewerbs ähnelt in Struktur und Inhalt der für die innerdeutsche Vergabe von öffentlichen Aufträgen bedeutsamen Vergabeverordnung (VgV), d.h. die Vergabeverfahren müssen einem gewissen Ablauf folgen, je nachdem welche Verfahrensart der Auftraggeber gewählt hat. In jeder Phase der Vergabeverfahren muss für die erforderliche Transparenz Sorge getragen werden.
Zu diesem Zweck werden die wichtigsten Bestandteile der Vergabeverfahren und Informationen über Bewerber und Bieter komplett elektronisch veröffentlicht – von der Bekanntmachung, über die Kommunikation bis zur Zuschlagserteilung.
Die Angebotseröffnung findet nun nicht mehr in irgendeinem Kämmerlein statt, sondern digital protokolliert nach dem Vier-Augen-Prinzip. Bevor der Auftraggeber mit einer Bekanntmachung an den Markt geht, muss das Projekt Ausschreibungsreife besitzen.
Der Auftraggeber muss angemessene und für alle Bieter einheitliche Fristen festlegen, in denen das Verfahren durchgeführt wird. „Bei der Festlegung der Fristen sind insbesondere die Komplexität der Leistung, die beizubringenden Erklärungen und Nachweise (Unterlagen), die Zeit für die Ausarbeitung der Teilnahmeanträge und Angebote, die Zeit für die Auswertung […], die gewählten Kommunikationsmittel […] angemessen zu berücksichtigen.“
Dabei arbeitet ein feines Regelwerk mit Berücksichtigung der Feiertage des Bundeslandes, der ggf. zusätzlich geltenden Landesbestimmungen und der einzuhaltenden Stufen sowie fristverkürzenden Bedingungen (vgl. § 13 Absatz 1 UVgO)
Dabei ist ein feines Regelwerk mit Berücksichtigung der Feiertage des Bundeslandes, der ggf. zusätzlich geltenden Landesbestimmungen und der einzuhaltenden Stufen sowie fristverkürzenden Bedingungen zu berücksichtigen.
- Fristen und Terminketten können mit dem Fristenrechner (unverbindlich) nach Maßgabe der deutschen vergaberechtlichen Vorgaben ermittelt werden: www.fristenrechner.de
Eine Zeitspanne ist allerdings nicht näher geregelt
Nicht gereglt ist hingegen die Frist zwischen der Zuschlagserteilung und dem Leistungsbeginn! Diese Zeitspanne ist aber – insbesondere hinsichtlich der Lieferketten – für die erfolgreiche Einführung der Textilservice-Leistung (Miet‑, Leasing- oder Vollversorgungsleistung) essenziell, denn nur mit ausreichend Vorbereitungs-/Rüstzeit gelingt eine reibungslose Systemeinführung.
Besonders in der aktuellen Weltwirtschaftssituation stellt sich diese Phase insbesondere hinsichtlich der Preisbindung mehr als herausfordernd dar. Dies gilt vor allem dann, wenn sie (zu) lang bemessen ist.
Kurz und gut: Wie lang ist denn richtig?
Die Frage nach der auskömmlichen Frist zwischen dem Zuschlag und dem Auftragsstart lässt sich leider nicht einfach und pauschal beantworten.Die richtige Antwort hhängt von der Komplexität des Auftrages ab. Grundsätzlich gilt aber wie bei vielen anderen Projekten für den Textilservice: eine gute Vorbereitung ist die halbe Miete!
Soll die Textile Vollversorgung zum Beispiel in einem Krankenhaus für mehrere Jahre funktionieren, kann die Vorbereitungsphase nach der Zuschlagserteilung (≈ Vertragsschluss) nicht nur acht Wochen betragen. Denn jetzt – nach der Ausschreibung – lernen sich die Vertragsparteien eigentlich erst richtig kennen.
Je nach Leistungsumfang variiert die erforderliche bzw. ideale Zeitspanne für die Vorbereitung:
Stationsmietwäsche: Für dieses Versorgungsmodul sind die Entscheidungen in der Regel ziemlich zügig getroffen. Hierbei geht es weitestgehend um Standardartikel der Bett‑, Frottier- sowie Patientenwäsche in Standardgrößen, die von den Pflegenden und Beschäftigten der Hauswirtschaft benötigt werden.
Liegen die Mengen fest, die von jedem Artikel wöchentlich benötigt werden, kann unter Bezugnahme auf den Lieferrhythmus die Umlaufmenge ausgerechnet und bestellt werden. Wie schnell die Artikel dann verfügbar sind, hängt von den Beschaffungsverträgen zwischen Wäscherei und Konfektionär sowie der allgemeinen Beschaffungssituation auf den Weltmärkten ab.
Miet-Berufskleidung: Für dieses Versorgungsmodul hängen die Entscheidungen von einer ganzen Reihe von Faktoren ab und der Kreis der Stakeholder ist größer und damit vielstimmiger.
Neben den Berufsgruppen, die diese Kleidung tragen sollen, sitzen Arbeitnehmervertretung, Arbeitsmedizin und Datenschutz häufig mit am Tisch. Der emotionale Faktor ist hoch, schließlich geht es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an ihre Wäsche.
Steht die Kleiderordnung (Sortiment und Wechselrhythmus je Dienstgruppe) fest, muss zunächst der Größenspiegel erhoben werden. Über einen Zeitraum werden Anproben mit einer Musterkollektion durchgeführt und die Größenverteilung in der entsprechenden Einrichtung erfasst.
Oftmals muss die Musterkollektion in ausreichender Menge erst produziert werden, können die Anprobetermine erst dann geplant und die Datengrundlage bereitgestellt werden. Dabei geht es darum, die Häufigkeit der Randgrößen (XXS, XS bzw. 3XL, 4XL) und Schrittlängen zu erfassen, damit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die passende Kleidung erhalten.
Die Standardgrößen (S, M, L) in Normlängen ließen sich fast ohne diese Maßnahmen ordern, aber die Berufskleidungsversorgung wird erst komplettiert, wenn die (meisten ≈ 60 Prozent) Figuren erfasst sind. Erst jetzt kann die finale Bestellung erfolgen und die Konfektion starten.
Sind die bestellten Textilien im Textilservice-Betrieb eingetroffen, müssen sie für ihren ersten Einsatz erst vorbereitet werden. Neben dem Einwaschen der Textilien, werden diese zum Beispiel mittels Barcode oder RFID-Transponder gekennzeichnet, um sie über ihren Lebenszyklus verwalten zu können.
Sofern die Distribution der Textilien (vor allem Berufskleidung) über intelligente Ausgabe- oder Entnahmesysteme erfolgen soll, muss hinreichend Zeit für die ggf. erforderliche, bauseitige Ertüchtigung eines Raumes oder die Abstimmung des Datenaustausches eingeplant werden. Der Kreis der Stakeholder wird in diesem Fall nochmals größer, denn auf die Abteilung Bau und Technik sowie die IT-Abteilung kann nicht verzichtet werden.
Nun könnte man angesichts der komplexen Aufgabenstellung zu der Schlussfolgerung kommen, sehr viel mehr Vorbereitungszeit bedeute zugleich sehr viel mehr Sicherheit. Aber ganz so einfach ist es leider nicht. Einerseits ist es für den Dienstleister unwirtschaftlich die Mietwäsche und ‑gegenstände zu früh zu beschaffen, denn der Mietpreis (insbesondere für auftragsspezifische Berufskleidung) lässt sich ja erst bei Leistungsstart berechnen. Für den Auftraggeber ist es schließlich unwirtschaftlich für einen Mietgegenstand zu bezahlen, den er (noch) nicht nutzen kann.
Andererseits bedeutet ein Vergabeverfahren zu einem sehr frühen Zeitpunkt – also zum Beispiel 2 Jahre vor dem Leistungsstart, dass die Angebotskalkulation der Bieter die Preisentwicklung bis zum Leistungsstart und darüber hinaus einbeziehen muss. Energie- und Personalkostensprünge sowie angespannte Lieferketten sind schlechte Grundlagen für eine lange Preisbindung und sie führen ggf. zu einer unerwünschten Risikokalkulation.
Der DTV Textilservice-Kostenindex verdeutlich eindrucksvoll, wie sich die für die Branche relevanten Kosten in den vergangenen Monaten im Vergleich zu den vorhergehenden 10 Jahren entwickelt haben.
Die fragen, die es (besser) wissen!
Die Auftraggeber haben das Leistungsbestimmungsrecht! In Ausschreibungsverfahren werden mitunter eine Vielzahl von Nachweisen, Zertifikaten und Erklärungen verlangt, die nur einen geringen Aussagewert auf die eigentliche Dienstleistung haben. Es herrscht die Auffassung vor, dass das Vergaberecht den Auftraggeber einschränkt und der Formalismus EU-immanent ist.
Aber wenn gar nicht konkret bekannt ist, welche Rahmenbedingungen die Leistung beeinflussen und wie viel Vorbereitungszeit ausreichend ist? Was liegt näher als die zu fragen, die es wissen? Im Rahmen eines Vergabeverfahrens kann zum Beispiel durch das Abfordern eines Versorgungsumstellungs- bzw. Versorgungseinführungskonzeptes jeder Bieter nach den Meilensteinen, den Mitwirkungspflichten und den Fristen gefragt werden.
Erhalten Auftraggeber unterschiedliche oder gar unplausible Angaben zurück, können sie vergaberechtskonform Aufklärungsfragen an den oder die Bieter stellen. Dabei kann es nach § 15 Absatz 2 Satz 1 VgV etwa um Informationen über die geplante Art der Durchführung des Auftrags, die Beschaffungsquellen oder über die Angemessenheit des Preises beim Bieter gehen , wenn besonderes Informationsbedürfnis besteht. Werden solche Konzepte als Bewertungskriterien eingesetzt, können gute, plausible Konzepte auch entsprechend bewertet werden.
Im Ergebnis liefert das Vergabeverfahren auf diese Weise Antworten, die nicht aus einer Verordnung resultieren, sondern sich durch die richtige Frage-/Aufgabestellung konkret auf die Dienstleistungseinführung bei diesem Auftraggeber im ausgeschriebenen Umfang beziehen.
Von Andreas Fastenau