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Der BGH die Haftung für Fehler von Durch­gangs­ärz­ten der gesetz­li­chen Unfall­ver­si­che­rung neu geregelt und seine bishe­rige anders­lau­tende Recht­spre­chung der „doppel­ten Zielrich­tung“ aufge­ge­ben. Bild: Stokkete/Dreamstime.com

Bei seiner Entschei­dung über das „Ob“ und „Wie“ der Heilbe­hand­lung erfüllt der D‑Arzt als Belie­he­ner eine Pflicht des Unfall­ver­si­che­rungs­trä­gers nach § 34 Siebtes Buch Sozial­ge­setz­buch – Gesetz­li­che Unfall­ver­si­che­rung (SGB VII) und damit ein öffent­li­ches Amt. Unter­läuft ihm dabei ein Fehler, haftet nicht er persön­lich, sondern der Träger der gesetz­li­chen Unfall­ver­si­che­rung – Amtshaf­tungs­an­sprü­che nach Artikel 34 Grund­ge­setz (GG) in Verbin­dung mit § 839 des Bürger­li­chen Gesetz­bu­ches (BGB).

Ob der D‑Arzt auch bei der Erstver­sor­gung des Verletz­ten ein öffent­li­ches Amt im Sinne von Artikel 34 GG ausübt, war lange Zeit strei­tig. Die Recht­spre­chung ging von einer sog. „doppel­ten Zielrich­tung“ des Arztes aus, die bei Sorgfalts­ver­let­zun­gen eine Abgren­zung der ärztli­chen Berufs­aus­übung gegen­über seinen Amtshand­lun­gen als D‑Arzt forderte.

Diese Recht­spre­chung hat der Bundes­ge­richts­hof (BGH) mit Urteil vom 29.11.2016 (VI ZR 208/15) aufge­ge­ben: Das Gericht stellt klar, dass Erstun­ter­su­chung und ‑versor­gung auch Teil der öffent­lich-recht­li­chen Aufgabe des D‑Arztes sind, sodass die Unfall­ver­si­che­rungs­trä­ger für Fehler in diesem Bereich haften.

Sachver­halt

In dem zu entschei­den­den Fall wurde der Kläger nach einem Arbeits­un­fall in ein Kranken­haus einge­lie­fert und dort von einer Ärztin, durch die sich der Chefarzt in seiner Funktion als D‑Arzt vertre­ten ließ, unter­sucht und erstbe­han­delt.

Nachdem Röntgen­auf­nah­men angefer­tigt wurden, wurde im D‑Arztbericht die Erstdia­gnose „Prellung der Brust­wir­bel­säule“ notiert, die Erstver­sor­gung erfolgte „sympto­ma­tisch“. Als Art der Heilbe­hand­lung wurde „allge­meine Heilbe­hand­lung durch anderen Arzt“ angeord­net. Der Kläger wurde dann als „arbeits­fä­hig“ entlas­sen. Erst ein anderer D‑Arzt erkannte 9 Tage später eine Fraktur des ersten Lenden­wir­bels. Der Kläger wurde operiert und erhielt wegen der verblie­be­nen Unfall­fol­gen eine vorläu­fige Erwerbs­min­de­rungs­rente.

Der Kläger machte einen Behand­lungs­feh­ler der behan­deln­den Ärztin geltend, weil sie die Fraktur nicht erkannt habe. Die Fraktur hätte bei korrek­ter Diagnose durch Ruhig­stel­lung ohne Opera­tion aushei­len können. Folgen seien eine dauer­hafte Minde­rung der Erwerbs­fä­hig­keit und eine Minder­be­weg­lich­keit der Wirbel­säule. Er verlangte Schaden­er­satz vom Chefarzt, da er als D‑Arzt und Chefarzt für die Fehlbe­hand­lung bei der Eingangs­dia­gnose und Erstver­sor­gung verant­wort­lich sei.

Die Klage war in allen drei Instan­zen erfolg­los, weil der Kläger seine Schaden­er­satz­an­sprü­che gegen­über dem falschen Beklag­ten geltend gemacht hatte. In letzter Instanz entschied der VI. Zivil­se­nat des BGH, dass nicht der beklagte D‑Arzt für die behaup­tete Pflicht­ver­let­zung persön­lich haftet. Vielmehr ist die Berufs­ge­nos­sen­schaft als Unfall­ver­si­che­rungs­trä­ger in Anspruch zu nehmen.

Das Gericht stellte klar, dass zwischen der Diagno­se­stel­lung und den sie vorbe­rei­ten­den Maßnah­men sowie der Entschei­dung über die richtige Heilbe­hand­lung regel­mä­ßig ein innerer Zusam­men­hang besteht. Alle diese Maßnah­men sind deshalb der öffent­lich-recht­li­chen Aufgabe des Durch­gangs­arz­tes zuzuord­nen. Demzu­folge haften die Unfall­ver­si­che­rungs­trä­ger für Fehler in diesem Bereich.
Der nach einem Arbeits­un­fall aufzu­su­chende D‑Arzt entschei­det für die Berufs­ge­nos­sen­schaft – damit in Ausübung eines öffent­li­chen Amtes – darüber, ob eine allge­meine oder eine beson­dere (fachärzt­li­che Behand­lung einer Unfall­ver­let­zung, die wegen Art oder Schwere einer beson­de­ren unfall­me­di­zi­ni­schen Quali­fi­ka­tion bedarf) Heilbe­hand­lung durch­ge­führt werden muss.

Die dieser Entschei­dung voraus­ge­hende Befund­er­he­bung und die Erstver­sor­gung des Verletz­ten gehören ebenfalls zu der öffent­lich-recht­li­chen Aufgabe des D‑Arztes. Kommt es bei den vorbe­rei­ten­den Maßnah­men oder der Erstver­sor­gung zu Behand­lungs­feh­lern, haftet somit die Berufs­ge­nos­sen­schaft.

Wenn der D‑Arzt dann – nachdem er eine Entschei­dung über das „Ob“ und „Wie“ der Heilbe­hand­lung getrof­fen hat – im Rahmen der allge­mei­nen oder beson­de­ren Heilbe­hand­lung die Weiter­be­hand­lung des Patien­ten übernimmt, und ihm dabei ein Behand­lungs­feh­ler unter­läuft, haftet er nach allge­mei­nen Grund­sät­zen zivil­recht­lich selbst.

Fazit

Mit der vorlie­gen­den Entschei­dung hat der BGH die Haftung für Fehler von Durch­gangs­ärz­ten der gesetz­li­chen Unfall­ver­si­che­rung neu geregelt und seine bishe­rige anders­lau­tende Recht­spre­chung der „doppel­ten Zielrich­tung“ aufge­ge­ben. Bisher wurde daraus eine Doppel­na­tur der Handlun­gen des D‑Arztes abgelei­tet, nämlich einer­seits öffent­lich-recht­lich, anderer­seits privat­recht­lich, wobei sich beide Berei­che überschnit­ten.

Hier hat der BGH für Rechts­klar­heit gesorgt: Für Schaden­er­satz­an­sprü­che aus der D‑ärztlichen Erstun­ter­su­chung und ‑versor­gung haftet ausschließ­lich der Träger der gesetz­li­chen Unfall­ver­si­che­rung als Dienst­herr. Dieser kann – im Falle seiner Inanspruch­nahme – entspre­chend den beamten­recht­li­chen Haftungs­re­geln bei vorsätz­li­chem oder grob fahrläs­si­gem Handeln den D‑Arzt ggf. in Regress nehmen.

Quelle: Rechts­an­walt Mark Hesse, HDI Versi­che­rung AG, Hanno­ver