Geschichtlicher Rückblick
Seit nunmehr über 15 Jahren besteht die Möglichkeit im Rahmen von Modellprojekten gemäß § 63 Absatz 3c SGB V heilkundliche Aufgaben auf speziell ausgebildete Pflegefachpersonen substituierend zu übertragen. Der im Jahre 2008 im Rahmen des eingeführte Paragraph ließ die Frage unbeantwortet, welche Tätigkeiten aus dem ärztlichen Umfeld auf Pflegefachpersonen übertragen werden sollen.
Die Klärung dieser Fragestellung übertrug der Gesetzgeber dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G‑BA), welcher im Februar 2012 die Heilkundeübertragungsrichtlinie verabschiedete. In dieser sind 5 Indikationen aufgeführt, die substituierend vom Arzt auf Pflegekräfte übertragen werden können. Es handelte sich um folgende Indikationen:
- Diabetes mellitus Typ 1
- Diabetes mellitus Typ 2
- Wundversorgung
- Bluthochdruck ohne Schwangerschaft
- Demenz
Problemstellung Kompetenzerwerb
Seit 2012 wusste man nunmehr bei welchen Indikationen Pflegefachpersonen substituierend tätig werden konnten, aber zur Durchführung eines Modellprojektes bedurfte es noch einer Zusatzqualifikation der handelnden Protagonisten. Diese Zusatzqualifikation sollte auf einem Curriculum fußen, welches vom Bundesgesundheitsministerium zu genehmigen war.
Es dauerte abermals 10 Jahre bis die von der Bundesregierung einberufene Fachkommission standardisierte Module zum Erwerb erweiterter Kompetenzen zur Ausübung heilkundlicher Aufgaben durch Pflegefachpersonen vorgelegt hat. Grundlage dieser Fachmodule war die im Jahre 2012 vom G‑BA erlassene Heilkundeübertragungsrichtlinie.
Die dort aufgeführten Indikationen und die ergänzenden Prozeduren wurden in acht Fachmodule und ein Grundmodul überführt. Die Fachmodule umfassen dabei folgende Themenkomplexe:
- Diabetes mellitus
- Chronische Wunden
- Demenz
- Hypertonie
- Schmerz
- Ausscheidung
- Tracheostoma
- Atmung
Verpflichtende Modellprojekte zur Heilkundeübertragung gemäß § 64d SGB V
Nach mehr als 14 Jahren lagen im Jahre 2022 alle Voraussetzung für die Durchführung der vorbezeichneten Modellprojekte vor. Leider sind bis zum heutigen Tage noch keine Modellprojekte im Sinne des § 63 Absatz 3c SGB V in der Praxis etabliert worden.
Auch die durch das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) im Jahre 2021 gestartete Initiative des Gesetzgebers, Modellprojekte verpflichtend anzuordnen, führte bisher nicht zum Erfolg. Die Gründe hierfür sind vielschichtiger Natur. Ein Grund besteht allerdings darin, dass es kaum Bildungseinrichtungen gibt, in welchen die notwendigen Kompetenzen erworben werden können.
Kompetenzerwerb für die selbstständige Ausübung von Heilkunde durch Pflegestudium
Aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, ist der Vorstoß der Bundesregierung die hochschulische Pflegeausbildung im Rahmen des Pflegestudiumstärkungsgesetz (PflStudStG) zu reformieren, ein sehr geschickter Schachzug. Denn nach diesem Gesetzesvorhaben sind in Umsetzung des gesetzlichen Auftrages die 3 Fachmodule
- diabetische Stoffwechsellage
- chronische Wunden
- Demenz
sowie das Grundlagenmodul in die pflegehochschulische Ausbildung gemäß § 37 PflBG einbezogen worden. Genau diese vier Module sollten auch gemäß § 64d SGB V in verpflichtenden Modulprojekten in den nächsten Jahren einer Evaluierung zugeführt werden.
Mangels Ausbildungsmöglichkeiten wäre der Gesetzesvorstoß in § 64d SGB V abermals zum Scheitern verurteilt gewesen. Mithin ist die Anpassung des Pflegeberufegesetzes der Weg in die richtige Richtung.
Heilkundeübertragung per Pflegestudium: Durchbruch oder Notlösung?
Als Durchbruch würde ich es dennoch nicht bezeichnen, denn die Reform kommt nur denjenigen zugute, die sich für ein Pflegestudium entscheiden. Die Studiengangsreform als eine Notlösung zu degradieren wäre allerdings zu hart, denn ich glaube, dass dies den Pflegeberuf für Schulabgänger attraktiver machen wird. Aber hier kommt mein Einwand:
- Was ist mit den 1.2 Millionen bereits ausgebildeten Pflegefachpersonen?
- Welche Möglichkeiten werden motivierten bereits ausgebildeten Pflegefachpersonen zum Erwerb erweiterter Kompetenzen zur Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten geboten?
Mit Sicherheit wollen diese keine dreijährige pflegeakademische Ausbildung durchlaufen. Hier müssen spezialisierte Bildungsangebote geschaffen werden, um den bereits ausgebildeten Pflegefachpersonen den notwendigen Kompetenzerwerb zu ermöglichen.
Eine Aufgabe der Pflegekammern
Meines Erachtens müssen die Pflegekammern bei dem Erwerb erweiterter Kompetenzen zur Übernahme heilkundlicher Tätigkeiten bei den bereits ausgebildeten Pflegefachpersonen eine führende Rolle einnehmen.
Dabei geht es insbesondere um die Frage von Anrechnungs- und Anerkennungsmöglichkeiten bereits durchgeführter Qualifizierungsmaßnahmen. Insbesondere im Bereich der Versorgung chronischer Wunden haben die Fachgesellschaften ICW und DGfW qualitativ hochwertige Ausbildungsprogramme entwickelt, welche bereits zigtausende von Pflegefachpersonen durchlaufen haben.
Es wäre kaum nachvollziehbar, wenn dieser fundamentale Wissenserwerb unberücksichtigt bliebe. Hier müssen uns die Pflegekammern eine Antwort geben. Vielleicht nimmt hierzu Frau Sandra Postel, Präsidentin der Pflegekammer NRW, in ihrem Eröffnungsvortrag auf dem Interdisziplinären WundCongress am 30. November 2023 in den Kölner Sartory-Sälen Stellung.
Ausblick
Wie bereits in der Gesetzesbegründung zum PfStudStG (Bundestagsdrucksache 20/8901) ausgeführt, zwingen uns die Rahmenbedingungen, und hier insbesondere die demografische Entwicklung, zum Handeln. Es ist höchste Zeit, den vor 15 Jahren eingeschlagenen Weg, der die Substitution heilkundlicher Aufgaben ermöglicht, nun endlich einem Praxistest zu unterziehen.
Es gibt viel zu tun – packen wir es an!
2 Kommentare
Ich habe 2006 meinen wundexperten ICW und DDG gemacht danach habe die ganze Sozialstation DRK ‚Ärzte , Patienten auf die bestmögliche versorgt mit mehr als Erfolg. Ich bin MFA und habe vorher schon 13 Jahre Wunden aller Art versorgt. Und jetzt heist es ich darf demnächst noch nicht einmal abzeichnen ..wie genau macht das Sinn ? Es fehlen Fachkräfte…Wir finden keine Wundexperten …und ich habe auf Grund dieser Geschichte die Rente eingereicht. Weil wir als MFA mit speziellen Ausbildung nichts wert sind.
Wie passen denn da die Tätigkeiten der Physician Assistant rein? Sie sollen z.T. ärztliche Aufgaben übernehmen, die in diesem Studium gelehrt werden. In der Praxis will der jeweilige Chefarzt die Gesamtverantwortung übernehmen. Tätigkeiten, die nicht in der Krankenpflege verortet sind: was ist da mit den pflegerischen Vorgesetzten (Stationsleitung und PDL)? Wären da haftungsrechtlich zwei „Vorgesetzte“ in der Verantwortung?