Es erinnert an die berühmte „Beerdigung erster Klasse“: Ob in Bayern eine Impfpflicht für das Gesundheits- und Pflegepersonal jemals kommen wird, erscheint nach der Ankündigung von Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) fraglicher denn je. Eigentlich ist auf Bundesebene beschlossen, dass die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht für Beschäftigte von Krankenhäusern sowie Pflegeheimen zum 15. März kommen soll.
Die Umsetzung der Impfpflicht ist allerdings Sache der Bundesländer. An dem Punkt setzt nun Söders Kehrtwende ein: Er sei dafür, hier „großzügigst“ vorzugehen, „was de facto auf ein Aussetzen des Vollzugs hinausläuft“, hatte CSU-Chef und Ministerpräsident Markus Söder am Montag im Anschluss an eine Sitzung des CSU-Vorstands in München verkündet.
Als Hauptgrund führte Söder an, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht die Pflegesituation deutlich verschlimmern könne – wenn diejenigen Beschäftigten in der Pflege, die sich partout nicht impfen lassen wollen, also in Massen den Beruf verließen. Denn laut der Ursprungspläne dürften sie ab dem Stichtag 16. März nicht mehr ungeimpft zur Arbeit erscheinen. Abseits der Nicht-Umsetzung der Impfpflicht kündigte er weitere Corona-Lockerungen im Freistaat an, darunter in Gastronomie, Kultur, Sport und bei körpernahen Dienstleistern wie Friseuren.
Die maximale Gästezahl oder ‑kapazität in den Kinos, Theatern, Sporthallen und Stadien soll steigen, die Sperrstunden fürs Gastgewerbe fallen; im Falle der Friseure solle es auch Ungeimpften wieder möglich sein, mit aktuellem negativen Test in den Salon zu kommen (3G).
Unionsfraktion schließt sich Söder an – Zustimmung auch von Patientenschutz-Stiftungschef und Hendrik Streeck
Einen Tag nach der überraschenden Kehrtwende des einstigen „Corona-Hardliners“ scheint jedoch nun auch die Union insgesamt auf Söders Linie einzuschwenken. Die Bundesregierung müsse einsehen, „dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht im Moment kaum umsetzbar ist“, so der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Tino Sorge, zur Bild-Zeitung. Auch der frischgewählte CDU-Parteichef Friedrich Merz geht auf Distanz zur Impfpflicht.
Er forderte die Bundesregierung auf, das Vorhaben auszusetzen. Dies sei die „ganz einhellige“ Meinung, so Merz. Die Bundesregierung habe die Voraussetzungen für eine Einführung der Impfpflicht nicht geschaffen; die betroffenen Einrichtungen würden mit den Folgen alleine gelassen. Durch Abgänge von Beschäftigten drohe ein Chaos in den Einrichtungen. Im Dezember hatte die Unionsfraktion der branchenbezogenen Impfpflicht dagegen noch im Bundestag zugestimmt.
Stiftung Patienschutz ist gegen Impfpflicht
Gegen die Impfpflicht hat sich nun auch der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, ausgesprochen. „Wenn eine Norm vorhersehbar scheitert, dann gibt es nur eine Lösung: Bund und Länder müssen ihren Fehler revidieren“, sagte Brysch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der mögliche Kündigung oder unbezahlte Freistellung von Zehntausenden Pflegekräften sei nicht zu bewältigen.
Der Vorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, sieht keine großen Veränderungen durch den bayerischen Vorstoß. Jener befreie die Kliniken nicht davon, sich an das Gesetz zu halten. Man werde bis 15. März die nicht geimpften Beschäftigten den Gesundheitsämtern melden, zitierte die Tagesschau den DKG-Vorsitzenden. Zugleich aber verweist die DKG auf die Ergebnisse einer Blitzumfrage des Deutschen Krankenhausinstituts in ihrem Auftrag unter 246 Kliniken in Deutschland: Demnach seien rund 90 Prozent der Beschäftigten der teilnehmenden Häuser, die in patientennahen Bereichen arbeiten, bereits mindestens doppelt geimpft. In der Pflege betrage diese Quote sogar 95 Prozent.
Allerdings befürchteten laut der Erhebung selbst 42 Prozent jener Häuser, die eine Impfquote von mehr als 95 Prozent vorweisen können, betriebliche Einschränkungen bei Inkrafttreten einer Impfpflicht. Zustimmung kam unterdessen auch vom Bonner Virologen Hendrik Streeck: „Die einrichtungsbezogene Impfpflicht würde die personelle Lage in den Kliniken weiter verschärfen und somit das Gesundheitswesen weiter belasten. Es ist gut, wenn die Politik aus dieser Erkenntnis Schlüsse zieht“, so Streeck, Mitglied des Corona-Expertengremiums der Bundesregierung, zur Bild-Zeitung.
Lauterbach: Söder gefährdet Glaubwürdigkeit von Politik – Neue Pflegebeauftragte Moll kritisiert Schritt ebenfalls
Erwartungsgemäß verurteilte dagegen Bundes-Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Entwicklungen in Bayern. Es gehe bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht um den bestmöglichen Schutz von geschwächten oder alten Menschen. „Laxe Vollzugsregeln der einrichtungsbezogenen Impfpflicht können nicht nur das Leben der älteren Menschen mit schwachem Immunsystem gefährden“, zitierte die Frankfurter Rundschau Lauterbach kurz nach Söders Auftritt.
„Dazu gefährden sie auch die Glaubwürdigkeit von Politik.“ Auch die designierte Grünen-Co-Vorsitzende Ricarda Lang erklärte, bei der Impfpflicht für Beschäftigte in Kliniken und Pflegeeinrichtungen gehe es gezielt um den Schutz verwundbarer Menschen, nicht um eine Gesamt-Entlastung der Krankenhaus- und Intensivkapazitäten durch Corona-Patienten.
Die neue Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Claudia Moll (SPD), kritisierte Bayerns Schritt ebenfalls. „Wir kommen durch die Omikron-Welle doch bisher nur so gut, weil viele Pflegebedürftige und auch Pflegekräfte geimpft, geboostert und die Einrichtungen gut geschützt sind“, zitiert Zeit Online die Westerfellhaus-Nachfolgerin. Noch lieber als eine einrichtungsbezogene, sei ihr aber eine allgemeine Pflicht zur Impfung ab 18 Jahren. Dies würde zugleich die leidige Debatte um die Pflege, und deren Sonderrolle, beenden.