Impfpflicht
Neu entbrannt: die Debatte über die Impfpflicht im Gesund­heits­we­senBild: Geralt/Pixabay.com

Es erinnert an die berühmte „Beerdi­gung erster Klasse“: Ob in Bayern eine Impfpflicht für das Gesund­heits- und Pflege­per­so­nal jemals kommen wird, erscheint nach der Ankün­di­gung von Bayerns Minis­ter­prä­si­den­ten Markus Söder (CSU) fragli­cher denn je. Eigent­lich ist auf Bundes­ebene beschlos­sen, dass die sogenannte einrich­tungs­be­zo­gene Impfpflicht für Beschäf­tigte von Kranken­häu­sern sowie Pflege­hei­men zum 15. März kommen soll.

Die Umset­zung der Impfpflicht ist aller­dings Sache der Bundes­län­der. An dem Punkt setzt nun Söders Kehrt­wende ein: Er sei dafür, hier „großzü­gigst“ vorzu­ge­hen, „was de facto auf ein Ausset­zen des Vollzugs hinaus­läuft“, hatte CSU-Chef und Minis­ter­prä­si­dent Markus Söder am Montag im Anschluss an eine Sitzung des CSU-Vorstands in München verkün­det.

Als Haupt­grund führte Söder an, dass die einrich­tungs­be­zo­gene Impfpflicht die Pflege­si­tua­tion deutlich verschlim­mern könne – wenn dieje­ni­gen Beschäf­tig­ten in der Pflege, die sich partout nicht impfen lassen wollen, also in Massen den Beruf verlie­ßen. Denn laut der Ursprungs­pläne dürften sie ab dem Stich­tag 16. März nicht mehr ungeimpft zur Arbeit erschei­nen. Abseits der Nicht-Umset­zung der Impfpflicht kündigte er weitere Corona-Locke­run­gen im Freistaat an, darun­ter in Gastro­no­mie, Kultur, Sport und bei körper­na­hen Dienst­leis­tern wie Friseu­ren.

Die maximale Gäste­zahl oder ‑kapazi­tät in den Kinos, Theatern, Sport­hal­len und Stadien soll steigen, die Sperr­stun­den fürs Gastge­werbe fallen; im Falle der Friseure solle es auch Ungeimpf­ten wieder möglich sein, mit aktuel­lem negati­ven Test in den Salon zu kommen (3G).

Unions­frak­tion schließt sich Söder an – Zustim­mung auch von Patien­ten­schutz-Stiftungs­chef und Hendrik Streeck

Einen Tag nach der überra­schen­den Kehrt­wende des einsti­gen „Corona-Hardli­ners“ scheint jedoch nun auch die Union insge­samt auf Söders Linie einzu­schwen­ken. Die Bundes­re­gie­rung müsse einse­hen, „dass die einrich­tungs­be­zo­gene Impfpflicht im Moment kaum umsetz­bar ist“, so der gesund­heits­po­li­ti­sche Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Tino Sorge, zur Bild-Zeitung. Auch der frisch­ge­wählte CDU-Partei­chef Fried­rich Merz geht auf Distanz zur Impfpflicht.

Er forderte die Bundes­re­gie­rung auf, das Vorha­ben auszu­set­zen. Dies sei die „ganz einhel­lige“ Meinung, so Merz. Die Bundes­re­gie­rung habe die Voraus­set­zun­gen für eine Einfüh­rung der Impfpflicht nicht geschaf­fen; die betrof­fe­nen Einrich­tun­gen würden mit den Folgen alleine gelas­sen. Durch Abgänge von Beschäf­tig­ten drohe ein Chaos in den Einrich­tun­gen. Im Dezem­ber hatte die Unions­frak­tion der branchen­be­zo­ge­nen Impfpflicht dagegen noch im Bundes­tag zugestimmt.

Stiftung Patien­schutz ist gegen Impfpflicht

Gegen die Impfpflicht hat sich nun auch der Vorsit­zende der Deutschen Stiftung Patien­ten­schutz, Eugen Brysch, ausge­spro­chen. „Wenn eine Norm vorher­seh­bar schei­tert, dann gibt es nur eine Lösung: Bund und Länder müssen ihren Fehler revidie­ren“, sagte Brysch dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land. Der mögli­che Kündi­gung oder unbezahlte Freistel­lung von Zehntau­sen­den Pflege­kräf­ten sei nicht zu bewäl­ti­gen.

Der Vorsit­zen­der der Deutschen Kranken­haus­ge­sell­schaft, Gerald Gaß, sieht keine großen Verän­de­run­gen durch den bayeri­schen Vorstoß. Jener befreie die Klini­ken nicht davon, sich an das Gesetz zu halten. Man werde bis 15. März die nicht geimpf­ten Beschäf­tig­ten den Gesund­heits­äm­tern melden, zitierte die Tages­schau den DKG-Vorsit­zen­den. Zugleich aber verweist die DKG auf die Ergeb­nisse einer Blitz­um­frage des Deutschen Kranken­haus­in­sti­tuts in ihrem Auftrag unter 246 Klini­ken in Deutsch­land: Demnach seien rund 90 Prozent der Beschäf­tig­ten der teilneh­men­den Häuser, die in patien­ten­na­hen Berei­chen arbei­ten, bereits mindes­tens doppelt geimpft. In der Pflege betrage diese Quote sogar 95 Prozent.

Aller­dings befürch­te­ten laut der Erhebung selbst 42 Prozent jener Häuser, die eine Impfquote von mehr als 95 Prozent vorwei­sen können, betrieb­li­che Einschrän­kun­gen bei Inkraft­tre­ten einer Impfpflicht. Zustim­mung kam unter­des­sen auch vom Bonner Virolo­gen Hendrik Streeck: „Die einrich­tungs­be­zo­gene Impfpflicht würde die perso­nelle Lage in den Klini­ken weiter verschär­fen und somit das Gesund­heits­we­sen weiter belas­ten. Es ist gut, wenn die Politik aus dieser Erkennt­nis Schlüsse zieht“, so Streeck, Mitglied des Corona-Exper­ten­gre­mi­ums der Bundes­re­gie­rung, zur Bild-Zeitung.

Lauter­bach: Söder gefähr­det Glaub­wür­dig­keit von Politik – Neue Pflege­be­auf­tragte Moll kriti­siert Schritt ebenfalls

Erwar­tungs­ge­mäß verur­teilte dagegen Bundes-Gesund­heits­mi­nis­ter Karl Lauter­bach (SPD) die Entwick­lun­gen in Bayern. Es gehe bei der einrich­tungs­be­zo­ge­nen Impfpflicht um den bestmög­li­chen Schutz von geschwäch­ten oder alten Menschen. „Laxe Vollzugs­re­geln der einrich­tungs­be­zo­ge­nen Impfpflicht können nicht nur das Leben der älteren Menschen mit schwa­chem Immun­sys­tem gefähr­den“, zitierte die Frank­fur­ter Rundschau Lauter­bach kurz nach Söders Auftritt.

„Dazu gefähr­den sie auch die Glaub­wür­dig­keit von Politik.“ Auch die designierte Grünen-Co-Vorsit­zende Ricarda Lang erklärte, bei der Impfpflicht für Beschäf­tigte in Klini­ken und Pflege­ein­rich­tun­gen gehe es gezielt um den Schutz verwund­ba­rer Menschen, nicht um eine Gesamt-Entlas­tung der Kranken­haus- und Inten­siv­ka­pa­zi­tä­ten durch Corona-Patien­ten.

Die neue Pflege­be­auf­tragte der Bundes­re­gie­rung, Claudia Moll (SPD), kriti­sierte Bayerns Schritt ebenfalls. „Wir kommen durch die Omikron-Welle doch bisher nur so gut, weil viele Pflege­be­dürf­tige und auch Pflege­kräfte geimpft, geboos­tert und die Einrich­tun­gen gut geschützt sind“, zitiert Zeit Online die Wester­fell­haus-Nachfol­ge­rin. Noch lieber als eine einrich­tungs­be­zo­gene, sei ihr aber eine allge­meine Pflicht zur Impfung ab 18 Jahren. Dies würde zugleich die leidige Debatte um die Pflege, und deren Sonder­rolle, beenden.