Insulin
Insulin­gabe Bild: Ewa Urban / Pixabay

Einlei­tung

Wird der Blutzu­cker­haus­halt durch eine Überdo­sis aus dem Gleich­ge­wicht gebracht, trübt sich das Bewusst­sein der Betrof­fe­nen über ein Delir bis hin zum hypoglyk­ämi­sches Koma mit mögli­chem tödli­chem Ausgang, wenn die Stoff­wech­sel­ent­glei­sung nicht durch die oraln oder intra­ve­nöse Gabe von Glucose recht­zei­tig aufge­fan­gen wird. Nicht zuletzt deshalb, weil die Insulin-Überdo­sis in dem ‑irrigen- Ruf der Nicht­nach­weis­bar­keit steht, sind in der Geschichte der Straf­jus­tiz eine Vielzahl von spekta­ku­lä­ren Verfah­ren zu beobach­ten.

Am 7.9.2022 entschied der BGH über die straf­recht­li­che Relevanz der Gabe einer Übermenge an Insulin an 2 hochbe­tagte, schwer demenz­er­krankte Bewoh­ne­rin­nen einer Demenz­sta­tion durch eine Alten­pfle­ge­hel­fe­rin. Eine der beiden litt an Diabe­tes Typ II und erhielt zuletzt täglich einmal morgens Langzeit­in­su­lin, das den Blutzu­cker­spie­gel für 24 Stunden reguliert. Die Angeklagte wusste, das die Gabe von Medika­men­ten und das Verab­rei­chen von Insulin exami­nier­ten Pflege­kräf­ten vorbe­hal­ten und für sie verbo­ten ist. Ebenfalls wusste sie, dass bei akuten bzw. bedroh­li­chen gesund­heit­li­chen Zustän­den der Bewoh­ner ein Notarzt alarmiert wird.

Motiv Arbeits­ent­las­tung

Nachdem die Angeklagte als Mithö­re­rin eines Gesprächs unter Pflege­kräf­ten erfuhr, dass „mindes­tens 20 Einhei­ten“ für die Herbei­füh­rung des Todes eines Menschen erfor­der­lich seien, fasste sie spontan den Entschluss, beide Tatop­fer durch die medizi­nisch nicht indizierte Verab­rei­chung einer größe­ren Menge Insulin körper­lich so zu schädi­gen, dass sie in ein Kranken­haus einge­lie­fert und dort zumin­dest vorüber­ge­hend statio­när versorgt werden müssten.

Hiervon versprach sie sich eine Arbeits­ent­las­tung. Der 85-jähri­gen Geschä­dig­ten verab­reichte sie während Toilet­ten­gän­gen mit dem Insulin-Pen mindes­tens 50 Einhei­ten Human­in­su­lin und der 80-jähri­gen Geschä­dig­ten mindes­tens 40 Einhei­ten Human­in­su­lin. Nach den Taten führte sie beide auf den Gang und setzte sie auf ein Sofa. Die Angeklagte handelte in dem Wissen, dass das Insulin geeig­net war, bei den Frauen eine lebens­ge­fähr­li­che Unter­zu­cke­rung zu bewir­ken, deren Leben zu gefähr­den und sogar den Tod herbei­zu­füh­ren. Sie vertraute darauf, dass von dem ständig anwesen­den Pflege­per­so­nal ein Notarzt gerufen worden war und, dass beide nicht sterben würden.

Kein Tötungs­vor­satz

Als sie am Ende Ihrer Schicht die Station verließ, hatte das Insulin noch keine erkenn­bare Wirkung gezeigt. Am Nachmit­tag verfie­len beide Frauen in einen Zustand massi­ver Unter­zu­cke­rung mit der Folge von Bewusst­lo­sig­keit bzw. Nicht­an­sprech­bar­keit. Aufgrund ihres lebens­be­droh­li­chen Zustands wurden sie in ein Kranken­haus gebracht, wo ihnen hochpro­zen­tige Gluko­se­lö­sun­gen gegeben wurden. Nach inten­siv­me­di­zi­ni­scher Behand­lung stabi­li­sier­ten sich die Blutzu­cker­spie­gel und beide konnten aus der statio­nä­ren Behand­lung entlas­sen werden. Bleibende Schäden sind nicht entstan­den. Ihr Leben war jedoch konkret gefähr­det. Ohne die notärzt­li­che und anschlie­ßende statio­näre ärztli­che Versor­gung wären sie mit hoher Wahrschein­lich­keit infolge einer Hypoglyk­ämie verstor­ben. Mangels Feststel­lung des Tötungs­vor­sat­zes hat das LG Würzburg die Angeklagte in erster Instanz wegen gefähr­li­cher Körper­ver­let­zung zu einer Gesamt­frei­heits­strafe von zwei Jahren und zehn Monaten verur­teilt.

Die Revision

Dieser Richter­spruch hielt in der Revision der Würdi­gung des BGH stand. Trotz der extrem hohen Gefähr­lich­keit des Handelns, war die Vernei­nung des Tötungs­vor­satz rechts­feh­ler­frei. Das Landge­richt hat in die gebotene Beweis­wür­di­gung sämtli­che für die Frage, ob die Angeklagte mit Tötungs­vor­satz gehan­delt hat, wesent­li­chen Gesichts­punkte einge­stellt. Der Fall verdeut­licht die Beschrän­kung der Überprü­fungs­maß­stäbe des Revisi­ons­ge­richts auf die Feststel­lun­gen der Tatsa­chen­in­stan­zen. Sind dort in der Beweis­fest­stel­lung keine Fehler unter­lau­fen, sind die Revisi­ons­rich­ter in ihrer Entschei­dung gebun­den – auch wenn eine andere Gewich­tung wahrschein­lich erscheint. Nachzu­le­sen in § 261 StPO (freie richter­li­che Beweis­wür­di­gung).

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