
Rosi ist nicht mehr die Jüngste, das sieht man der KI-gesteuerten Pflegerobbe schon etwas an.
Nach über sechs Jahren im Einsatz ist das graue Fell nicht mehr so plüschig, wie es auf Fotos ihrer Modellkollegen PARO im Internet erscheint. Desinfektionsmittel und die vielen Hände, die sie im Laufe der Zeit gestreichelt haben, haben Spuren hinterlassen.
Auch ihre Kulleraugen hält Rosi seit ein paar Wochen geschlossen und sie bewegt sich nicht, denn momentan ist – salopp, aber im wahrsten Sinn gesprochen – ihr Akku platt. Trotz vorübergehendem Stillstand ist die Robbe sehr gefragt in der Senioreneinrichtung.
Rechtsdepesche: Wie sieht ein typischer Arbeitstag für Rosi aus? Bei welchen Bewohnern wird sie wie eingesetzt?
Katharina Schenk: Anfänglich haben wir sie auch in Gruppen eingesetzt, da war sie dann eine Art Ritual. Seit Corona arbeiten wir nicht mehr mit ihr in Gruppen, sondern nur noch in der Einzelbetreuung. Meistens kommt morgens um 9 Uhr eine Bewohnerin und holt sie ab. Dann sitzt sie hier vor meinem Büro damit.
Das ist total interessant, weil die Bewohnerin dann häufig angesprochen wird. Entweder sie selbst wird angesprochen oder die Leute haben Fragen über die Robbe. Die Fragen kommen dann sowohl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als auch von anderen Bewohnerinnen und Bewohnern – dadurch entstehen zusätzliche Kontakte. Vor dem Mittagessen gibt mir die Bewohnerin die Robbe wieder ab und dann wird sie hier im Körbchen aufbewahrt.
Rechtsdepesche: Das heißt, die Robbe wird von einer speziellen Bewohnerin genutzt?
Schenk: Es gibt eine spezielle Bewohnerin, die sie sich die Robbe jeden Tag holt. Zusätzlich wird sie auch bei Bewohnerinnen und Bewohnern mit herausforderndem Verhalten ganz gezielt genutzt. Da wird dann probiert, ob sie beruhigend wirken und eine Unterstützung in der Betreuung sein kann.
Wir hatten sie schon im Einsatz, wenn jemand schlecht schlafen konnte. Die Robbe hat eine gewisse Schwere und ihre leichten Vibrationen wirken beruhigend. Sir wurde aber auch bei Bewohnerinnen und Bewohnern eingesetzt, mit denen wir gar nicht ins Gespräch kommen konnten, weil sie sehr zurückgezogen sind. Da versuchen wir die Robbe eben als Türöffner zu nutzen und über sie dann eine Kommunikation aufzubauen.
KI-Robbe als Kommunikationsbringer
Rechtsdepesche: Also bewirkt die Robbe Kommunikation und Beruhigung?
Schenk: Beruhigung auf jeden Fall. Also gerade für die Bewohnerin, die sie täglich holt, ist es absolut eine tagesstrukturierende Maßnahme. Die Robbe wird dabei immer begleitet von einem Mitarbeiter, wird nie alleine gelassen, das ist wichtig. Und so kommen wir über die Robbe eben ins Gespräch mit den Bewohnern.
Oftmals ist es aber so, dass man als Mitarbeiter nur dabei ist und das Gespräch zwischen Robbe und Bewohner läuft. Also man antwortet dann für die Robbe, aber selber wird man gar nicht wahrgenommen. Außerdem unterstützt sie den Kontakt unter den Bewohnern.
Alleine schon, wenn jemand mit der Robbe durchs Haus läuft, ist direkt eine Frage, Kommunikation und ein Kontakt da. Wenn eine Bewohnerin mit der Robbe im Foyer sitzt, wird sie von jedem angesprochen, der vorbeigeht: ‚Ach, da ist sie ja wieder‘ und ‚Sind Sie wieder da‘.
Gerade wenn jemand die Robbe noch nicht kennt, kommen viele Fragen: ‚Wer ist das denn? Wen haben Sie denn da?‘ In diesen Fällen wird sie vielleicht nicht direkt als Robbe oder als Nichtlebewesen erkannt. Da ist einfach ganz viel Potenzial vorhanden.
Rechtsdepesche: Kann man sagen, dass die KI-Robbe als „Kollegin“ auch die Belegschaft unterstützt?
Schenk: Genau, also zumindest für diejenigen, die auch an sie denken. Man muss sie schon auf dem Schirm haben und wissen, wo man sie ausprobieren könnte.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Tagesgestaltung machen das eigentlich sehr gut. Ich selbst versuche die Robbe in der Pflege immer wieder in die Gedanken der Mitarbeitenden zu bringen, indem ich über sie spreche und sie vorstelle. Beim Einführungstag neuer Mitarbeitenden bringe ich sie schon mal mit. Da erkläre ich dann, dass die Robbe einfach eine Unterstützung in verschiedenen Lebenssituationen von Menschen sein kann.
Am Anfang gab es Vorbehalte
Rechtsdepesche: Und gibt es auch Vorbehalte? Von Bewohnern oder auch von Kollegen?
Schenk: Ganz am Anfang, als ich Schulungen gegeben habe, kamen auch Menschen, die nicht unserer Einrichtung angehören. Da habe ich schon Vorbehalte gesehen, die im Laufe der Schulung aber eigentlich gut abgebaut werden konnten. Vor allem dann, wenn die Menschen die Robbe selber in der Hand oder im Arm hatten – dieser Augenaufschlag, diese Vibration und dieses Sanfte… das überträgt sich auch.
Sie hat dieses Kindchenschema durch den Augenaufschlag. Auch die Größe und das Gewicht sind wie von einem Neugeborenen. Das Gefühl ist ähnlich, wenn man ein Neugeborenes im Arm hat, so können Sie sich das vorstellen.
Vielen war es ein Dorn im Auge, dass sie vielleicht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ersetzen könnte. Dass das ja gar nicht der Fall ist, gehört auch ganz klar zum Konzept dazu.
Ein Grund warum die Robbe immer von uns begleitet wird, ist auch, dass wir natürlich nie wissen, was hinter einer verschlossenen Tür passiert. Entsteht beispielsweise eine Überforderung für den Menschen, weil er denkt: ‚oh Gott, ich muss mich jetzt darum kümmern?‘ Deshalb war uns wichtig: Es wird immer begleitet und die Robbe ersetzt niemanden, sie unterstützt.
Ein anderer Vorbehalt war, dass manche dachten, in der Robbe sind Kameras, Aufnahmegeräte und dergleichen verbaut.
„Stimmen erkennt sie“
Rechtsdepesche: Genau, die Robbe bekommt ja sicher einiges mit, was datenschutzmäßig relevant ist.
Schenk: Es ist kein Aufnahmegerät drin, von daher werden auch keine Daten gespeichert. Das Einzige, was sie kann, ist für sich selbst lernen. Stimmen zum Beispiel erkennt sie. Gerade auf die Bewohnerin, die jeden Tag zu ihr kommt, reagiert sie enorm.
Würde die Robbe Sie jetzt heute das erste Mal hören, dann würde sie wahrscheinlich schon fragend den Kopf zur Seite zu Ihnen drehen. Also sie hört, woher die Stimme kommt, sie reagiert auf Licht und kann auch diesen Tag-Nacht-Rhythmus erlernen. Daten speichert sie aber nicht.
Rechtsdepesche: Wenn es dunkel wird, macht sie die Augen zu?
Schenk: Genau, da wird sie ruhiger.
„Rosi“ lernt ständig dazu
Rechtsdepesche: Hat sie im Laufe der Jahre noch mal Neues dazugelernt oder sind das immer die gleichen Sachen, die sie beobachten?
Schenk: Also wir können die gleichen Sachen schon häufiger beobachten, in kleineren Abständen. Die Bewegungen werden aber größer, wenn man das vielleicht so sagen kann. Vor allem, wenn sie täglich die gleichen Stimmen hört und die gleichen Berührungen erfährt. Da reagiert sie dann schon extremer drauf.
Da meine ich sagen zu können, dass sie das gelernt hat – dass die Bewegungen eher reduziert waren und seltener, und dass das mehr geworden ist. In dem Sinne kann sie aber nichts dazulernen, also die Bewegungen sind von vornherein gespeichert. Aber sie sind, je nachdem wer die Robbe anspricht und wessen Stimme sie gut kennt, doch spürbar deutlicher zu erkennen und zu sehen.
Rechtsdepesche: In ihrer Einrichtung ist nur eine Robbe im Einsatz – warum gibt es nicht mehr?
Schenk: Weil es ausreichend ist. Die Robbe muss ja begleitet werden und da fehlen zeitliche Kapazitäten. Also das reicht aktuell mit einer.
Rechtsdepesche: Wie sieht es mit den Kosten aus?
Schenk: Anschaffungswert?
Rechtsdepesche: Ja, genau.
Schenk: Um die 5.000 Euro.
Rechtsdepesche: Der Akku ist ja aktuell kaputt. Wie sieht es damit aus?
Schenk: Es gibt eine jährliche Überarbeitung der Robbe. Wir müssen jährlich das Fell reinigen und das Innere überarbeiten lassen. Das lag auch noch mal bei rund 1.000 Euro.
Rechtsdepesche: Würden Sie die KI-Robbe auch für andere Einrichtungen weiterempfehlen ?
Schenk: Ja, sofort. Es ist bestimmt nicht für jeden geeignet, aber in bestimmten Situationen kann sie Menschen, die vielleicht gerade auf der Suche nach etwas sind oder Beruhigung brauchen, super unterstützen. Ich habe immer wieder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht ins Gespräch kommen mit den Bewohnern und nicht weiterwissen. Da kann die Robbe dann unterstützend und hilfreich sein.
Hier will ich noch mal einen Vorteil der Plüschrobbe hervorheben: Echte lebendige Tiere sind nicht für jeden geeignet. Manche haben gerade mit Hunden oder Katzen Erfahrungen gemacht, die vielleicht nicht immer gut waren. Mit einer Robbe haben aber die wenigsten Erfahrung. Von daher gibt es da auch weniger Vorbehalte. Und das ist natürlich wieder was, was für die Robbe und für die KI spricht in dem Fall.
Außerdem kann sie nicht beißen, braucht kein Futter, muss nicht zum Tierarzt. Ich meine klar, sie muss gewartet werden, das ist auch ein Faktor. Allergien kann sie zudem auch nicht auslösen.
Mehr KI wäre wünschenswert
Rechtsdepesche: Würden Sie persönlich sich denn noch mehr KI, in welcher Form auch immer, im Pflegealltag wünschen?
Schenk: Ach, wünschen weiß ich nicht, aber ich beschäftige mich schon damit.
Wir überlegen gerade eine Anwendung zu nutzen – da macht gerade ein Mitarbeiter die Recherche für mich – in die wir zum Beispiel eine Diagnose eingeben und die KI sagt uns dann, welche bestmöglichen Beschäftigungen es für den Betroffenen gibt.
Ich könnte mir vorstellen, dass wir dadurch zusätzliche Maßnahmen erhalten, die über das, was wir sowieso schon machen, hinausgehen. Vielleicht entdecken wir dadurch auch neue Ansätze.
Auch im Bereich der Wundversorgung kann ich mir Erleichterung in der Pflege vorstellen. Da gibt es aktuell glaube ich ein Gerät, in das die Pflegekräfte eingeben können, wie die Wunde aussieht, wie die Wunde aktuell versorgt wird und wann das gemacht wurde. Die KI könnte das alles vielleicht auch selbst erkennen und dokumentieren.
Als Pflegekraft muss ich mich somit nicht extra an den PC setzen und das, was ich gesehen habe, in den PC hämmern. Sondern ich bin vor Ort, kann direkt beschreiben, was ich sehe und die KI übernimmt den Rest. Das wäre auch noch mal eine Erleichterung.
Eine Erleichterung wären auch KI-Roboter, die bei Toilettengängen eine Unterstützung sein können. Ich persönlich weiß aber nicht, wie ich mich als Pflegender fühlen würde, wenn das auf einmal ein Roboter übernimmt.
Ist vielleicht für manche eine Hemmschwelle, da ein Toilettengang ja sehr intim ist. Andererseits ist es für manche vielleicht einfacher, wenn sie da auf keinen Menschen angewiesen sind, sondern das ein Roboter übernehmen kann. Das ist für einige vielleicht wirklich auch angenehmer.
Mit Blick auf den Personalmangel, kann ich mir vorstellen, dass das gute Entlastungen wären.
Rechtsdepesche: Im Prinzip gibt es die Befürworter und die Neinsager.
Schenk: Ja genau. Es hat bestimmt alles seine Vor- und seine Nachteile und ist nicht für jeden geeignet. Also ich sehe jetzt keine Nachteile bei Robbe Rosi, aber es ist vielleicht nicht für jeden das Richtige.
Rechtsdepesche: Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person: Katharina Schenk ist Leiterin des Bereichs soziale Betreuung des Zentrum für Senior*innen Arnold-Overzier-Haus. Insgesamt leben dort 176 Menschen und erfahren rund um die Uhr Unterstützung. Mitarbeitende aus der sozialen Betreuung organisieren und begleiten verschiedene Aktivitäten. Das Angebot reicht von Thai-Chi zu Handarbeiten und Kunst.