Die 5. große Strafkammer des Landgerichts Oldenburg – Schwurgericht – hat mit Beschluss vom 8. März 2017 die Anklage der Staatsanwaltschaft Oldenburg vom 30. Oktober 2016 gegen sechs zum Teil ehemalige Mitarbeiter des Klinikums Delmenhorst nur teilweise zur Hauptverhandlung zugelassen.
Die Staatsanwaltschaft hat mit ihrer Anklageschrift zwei damaligen Oberärzten und vier Pflegekräften jeweils Totschlag durch Unterlassen gegenüber Klinikpatienten im Zeitraum zwischen Mai und Juni 2005 zur Last gelegt. In dieser Zeit war Niels H. noch Krankenpfleger auf der Intensivstation des Klinikums. Niels H. wurde bereits wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung an Patienten zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Wegen weiterer möglicher Taten wird gegen ihn ermittelt. Den angeschuldigten Klinikmitarbeitern wird vorgeworfen von Taten des Niels H. gewusst zu haben aber nicht eingeschritten zu sein, so dass dieser sein Handeln ungehindert habe fortsetzen können.
Eröffnung des Hauptverfahrens gegen zwei Mitarbeiter
Das Landgericht hat das Hauptverfahren nunmehr gegen die beiden damaligen Oberärzte (nunmehr 67 beziehungsweise 59 Jahre alt) sowie den Stationsleiter (59 Jahre alt) der Intensivstation eröffnet. Außerdem waren drei weitere Pflegekräfte des Klinikums angeklagt worden, zwei Frauen (heute 61 bzw. 56 Jahre alt), die zur Zeit der Tätigkeit des Krankenpflegers Niels H. als stellvertretende Stationsleiterinnen auf der Intensivstation arbeiteten sowie ein männlicher Krankenpfleger (47 Jahre alt).
Gegen diese drei Berufskollegen des Niels H. ist der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Eröffnung des Hauptverfahrens zurückgewiesen worden. Die Kammer hat in dem 13-seitigen Beschluss dargestellt, dass gegen diese drei Angeschuldigten ein hinreichender Tatverdacht wegen Tötung durch Unterlassen nicht besteht. Ein auch nur bedingter Tötungsvorsatz ergebe sich aus den Ermittlungsergebnissen nicht mit hinreichender Sicherheit. Der von der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift dargestellte Sachverhalt lasse nicht mit hinreichender Gewissheit erkennen, dass die zwei stellvertretenden Stationsleiterinnen sowie der 47-jährige Krankenpfleger den Tod von Patienten der Intensivstation des Klinikums Delmenhorst billigend in Kauf genommen hätten.
Für die Annahme eines Tötungsvorsatzes sei erforderlich, dass die drei angeklagten Krankenpfleger nicht nur vom Risiko weiterer Todesfälle gewusst, sondern dies auch gewollt hätten. Dieses sogenannte Willenselement des Tötungsvorsatzes hätten die Ermittlungen nicht mit hinreichender Gewissheit ergeben. Die Kammer hat in ihrem Beschluss hervorgehoben, dass insbesondere der 47-jährige Krankenpfleger vielmehr aktiv bemüht gewesen sei, seinem Berufskollegen Niels H. Tötungen nachzuweisen. Er habe nach möglichen Beweisen gegen ihn geforscht und schließlich sogar mögliche Belastungsmomente gegen ihn gefunden. Diese Erkenntnisse habe er ausweislich der Darstellung in der Anklageschrift sodann der ebenfalls angeklagten 56-jährigen stellvertretenden Stationsleiterin mitgeteilt, die ihrerseits den angeklagten 59-jährigen Stationsleiter informiert habe. Dieser habe sie allerdings nur zurechtgewiesen.
Die Kammer hat ausgeführt, dass der 47-jährige Krankenpfleger sowie die 56-jährige stellvertretende Stationsleiterin damit als eine der ganz wenigen zumindest bemüht gewesen seien, gegen ihren Berufskollegen Niels H. vorzugehen. Dieses Verhalten belege eindrucksvoll, dass sie gerade nicht bereit gewesen seien, weitere Gefährdungen oder gar Tötungen von Patienten tatenlos hinzunehmen. Das anschließende Untätigbleiben dieser beiden Angeschuldigten sei ersichtlich aus Frustration bzw. Hilflosigkeit erfolgt und begründe keine Billigung weiterer Tötungen. Es widerspreche schon dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden, wenn den beiden um Aufklärung bemühten Krankenpflegern dieses doch anerkennenswerte Vorgehen für die Folgezeit dann im Rahmen der Annahme eines Tötungsvorsatzes nachteilig ausgelegt werde. Anders als die beiden Oberärzte sowie der Stationsleiter befänden sich die zwei stellvertretenden Stationsleiterinnen sowie der einfache 47-jährige Krankenpfleger in der Hierarchie des Klinikums Delmenhorst auch nicht in einer derart herausgehobenen Position, dass es bei lebensnaher Betrachtung nahe liegend erscheine, sie hätten weitere Tötungen durch Niels H. aus Sorge um ihre Reputation oder das Ansehen der Klinik gebilligt.
Stellungnahme des Geschäftsführers des Josef-Hospital Delmenhorst
Aus einer Mitteilung des Delmenhorster Hospitals heißt es: Das Landgericht Oldenburg hat am heutigen Mittwoch die im Fall Niels Högel erhobene Anklage der Staatsanwaltschaft Oldenburg gegen zwei unserer Mitarbeiter zugelassen. „Da es sich bei der beschlossenen Eröffnung des Hauptverfahrens um eine für alle sehr belastende Entwicklung handelt, werden sich alle Verantwortlichen und Betroffenen in unserem Haus intensiv mit dem weiteren Umgang in diesem Fall auseinandersetzen. Die Ergebnisse dieser Gespräche geben wir zeitnah bekannt“, teilt Thomas Breidenbach, Geschäftsführer des Josef-Hospital Delmenhorst, mit.
Quelle: LG Oldenburg, Josef-Hospital Delmenhorst