Seit 2011 werden neu in den Markt einge­führte Medika­mente oder bereits etablierte Arzneien mit erwei­ter­tem Indika­ti­ons­ein­satz einer sogenann­ten „frühen Nutzen­be­wer­tung“ durch den Gemein­sa­men Bundes­aus­schuss (G‑BA) unter­zo­gen. Gesetz­li­che Basis ist das Arznei­mit­tel­markt­neu­ord­nungs­ge­setz (AMNOG). Es hinter­fragt, ob ein neues Medika­ment gegen­über bereits verfüg­ba­ren Präpa­ra­ten einen Zusatz­nut­zen aufweist.

Wenn kein Zusatz­nut­zen, dann sinken die Kosten für das Medika­ment

Es geht dabei nicht um die Quali­tät, Wirksam­keit oder Sicher­heit einer neuen Thera­pie. Dies wurde bereits vor der Zulas­sung vom Bundes­in­sti­tut für Arznei­mit­tel und Medizin­pro­dukte (BfArM) geprüft. Die Ergeb­nisse dieser Bewer­tung dienen vielmehr den Preis­ver­hand­lun­gen zwischen den Herstel­lern und dem GKV-Spitzen­ver­band. „Kommt als Ergeb­nis ein ‚erheb­li­cher oder beträcht­li­cher Zusatz­nut­zen‘ heraus, sind höhere Preise für das Medika­ment möglich“, so Prof. Rolf Kreien­berg, Präsi­dent der AWMF.

Wird kein Zusatz­nut­zen belegt, wirkt sich das auf die Preis­ver­hand­lung aus: Das Medika­ment darf dann nicht teurer abgege­ben werden als die Vergleichs­the­ra­pie. Die AWMF unter­stützt grund­sätz­lich das Verfah­ren der Nutzen­be­wer­tung. „So wird sicher­ge­stellt, dass der Mehrwert neuer Entwick­lun­gen geprüft wird, um unnötige Kosten im Gesund­heits­sys­tem zu vermei­den“, fasst Kreien­berg zusam­men. Aller­dings zeigt eine aktuelle Analyse der AWMF-Ad-hoc-Kommis­sion Nutzen­be­wer­tung beunru­hi­gende Entwick­lun­gen.

Vielen Medika­men­ten konnte kein Zusatz­nut­zen beschei­nigt werden

Die Ad-hoc-Kommis­sion, in der mehr als 20 Vertre­ter medizin­si­cher Fachge­sell­schaf­ten mitar­bei­ten, analy­sierte die insge­samt 224 bis Ende 2016 abgeschlos­se­nen Verfah­ren. Bei mehr als 60 % war ein „Zusatz­nut­zen nicht belegt“, 16 % wurde ein „gerin­ger Zusatz­nut­zen“ und nur 12 % ein „beträcht­li­cher Zusatz­nut­zen“ beschie­den. „Am Auffäl­ligs­ten ist das Ungleich­ge­wicht zwischen den verschie­de­nen Fachge­bie­ten, das nicht allein durch Unter­schiede in Design und Quali­tät der zugrunde liegen­den Studien zu erklä­ren ist“, kriti­siert Prof. Bernhard Wörmann, Vorsit­zen­der der Kommis­sion.

In Onkolo­gie, Infek­tio­lo­gie oder Pneumo­lo­gie wurden 45 % der geprüf­ten Arznei­mit­tel kein Zusatz­nut­zen beschei­nigt; in der Diabe­to­lo­gie, Neuro­lo­gie oder Ophthal­mo­lo­gie lag die Quote bei fast 90 %. Nach Einschät­zung der Kommis­sion liege der Haupt­grund darin, dass die Endpunkte der Studien unter­schied­lich bewer­tet werden. Verbes­sert ein neues Arznei­mit­tel die Krank­heits­be­las­tung und die Lebens­qua­li­tät des Patien­ten, wird das nicht ausrei­chend erfasst.

Das Verfah­ren der Preis­bil­dung ist weder rechts­si­cher noch trans­pa­rent

Die Kommis­sion weist in ihrem Papier auf weitere metho­di­sche Mängel hin: Wird kein Zusatz­nut­zen beschei­nigt, erbrachte der G‑BA keinen Beleg für die Sicher­heit dieser Aussage. Ledig­lich ein Prozent der bishe­ri­gen AMNOG-Entschei­dun­gen wird mit der höchs­ten Aussa­ge­si­cher­heit eines Belegs getrof­fen. Die zugrun­de­lie­gen­den Krite­rien müssten auf alle Festle­gun­gen angewandt und damit nachvoll­zieh­bar werden.

Kritisch sehen die Exper­ten zudem das Verfah­ren der Preis­bil­dung, das heute weder rechts­si­cher noch trans­pa­rent sei. Jetzt heißt es, die Verant­wort­li­chen des AMNOG-Verfah­rens beim Wort zu nehmen, denn sie sprechen seit dessen Einfüh­rung von einem „lernen­den System“. „Die von der Ad-hoc-Kommis­sion analy­sier­ten Entwick­lun­gen stellen den langfris­ti­gen Wert des Verfah­rens in Frage, wenn nicht metho­disch nachge­bes­sert wird“, bilan­ziert AWMF-Präsi­dent Kreien­berg.

Quelle: idw