Verfassungsbeschwerden wegen freiheitsentziehender Maßnahmen.
Zwei Patien­ten haben wegen der Anwen­dung freiheits­ent­zie­hen­der Maßnah­men Verfas­sungs­be­schwerde einge­legt. Bild: Stealth12/Wikimedia Commons

Bei dem Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) gingen zwei Verfas­sungs­be­schwer­den zweier Patien­ten ein, die zwangs­weise in einer Psych­ia­trie in Bayern und Baden-Württem­berg unter­ge­bracht und dort fixiert wurden. Sie sahen sich dabei in ihren Grund­rech­ten auf Freiheit verletzt. Vergan­gene Woche hat das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt eine mündli­che Verhand­lung über die Beschwer­den geführt.

Bei dem ersten Beschwer­de­füh­rer hat man eine 7‑Punkt-Fixie­rung angewandt, bei der die Fesse­lung am Bett an Armen, Beinen, Bauch sowie an Brust und Stirn erfolgte. Sein gesam­ter Aufent­halt in der Psych­ia­trie hat 12 Stunden angedau­ert, wovon er acht Stunden lang fixiert wurde. Die Fixie­rung dieses Patien­ten ist auf Anord­nung eines Arztes erfolgt. Grund­lage seiner vorläu­fi­gen Unter­brin­gung war das Bayeri­sche Unter­brin­gungs­ge­setz (BayUn­ter­brG), wonach keine spezi­elle richter­li­che Geneh­mi­gung für die Anord­nung einer Fixie­rung erfor­der­lich ist.

Der zweite Patient wurde in einer psych­ia­tri­schen Einrich­tung einer 5‑Punkt-Fixie­rung unter­zo­gen, die jeweils über mehrere Tage angeord­net worden war. In beiden Fällen sehen sich die Beschwer­de­füh­rer in ihrem Grund­recht auf Freiheit (Art. 2 Abs.2 Sätze 2 und 3 in Verbin­dung mit Art. 104 Abs. 1 und 2 GG) verletzt. Sie machen geltend, dass für die freiheits­ent­zie­hen­den Maßnah­men ein richter­li­cher Beschluss erfor­der­lich sein müsse. Sie sehen in den jewei­li­gen gesetz­li­chen Grund­la­gen die verfas­sungs­recht­li­chen Maßstäbe nicht ausrei­chend berück­sich­tigt, um einen freiheits­ent­zie­hen­den Eingriff zu recht­fer­ti­gen.

Der LWL hat eigene Leitli­nien für freiheits­ent­zie­hende Maßnah­men entwi­ckelt

Ein Urteil aus Karls­ruhe steht noch aus und könnte unter anderem für den Landschafts­ver­band Westfa­len-Lippe (LWL) spannend werden. Erst kürzlich infor­mierte dieser über die Entwick­lung einer eigenen Leitli­nie für die Einrich­tun­gen der Erwach­se­nen­psych­ia­trie im LWL-Psych­ia­trie­Ver­bund. Diese soll ergän­zend zur Novel­lie­rung des NRW-Geset­zes über Hilfen und Schutz­maß­nah­men bei psychi­schen Krank­hei­ten (PsychKG) aus dem Jahr 2017 fungie­ren. Es gehe dabei darum, „die Balance zu finden zwischen Persön­lich­keits- und Freiheits­rech­ten einer­seits und dem notwen­di­gen Schutz­auf­trag für die Gesell­schaft anderer­seits“, heißt es in der Mittei­lung.

Ziel der Leitli­nie sei die Steige­rung der Alltags­kom­pe­tenz in Krisen­si­tua­tio­nen sowie die Defini­tion ethischer und fachli­cher Haltun­gen im Zusam­men­hang mit freiheits­ent­zie­hen­den Maßnah­men und Zwangs­be­hand­lun­gen, erklärt LWL-Kranken­haus­de­zer­nat, Prof. Dr. Meinolf Noeker. Inhalt des LWL-Standards ist beispiels­weise die Verpflich­tung, dass eine getrof­fene Maßnahme zur Fixie­rung im Anschluss mit dem Patien­ten durch­ge­spro­chen wird. Auf diese Weise soll gegen­sei­ti­ges Verständ­nis entwi­ckelt werden, warum und wie in dem jewei­li­gen Fall gehan­delt wurde. Eine Fixie­rung soll auch nur als letzte Möglich­keit angese­hen werden, wenn mildere Maßnah­men der entspre­chen­den Gefähr­dung nicht gerecht werden, heißt es weiter in der Mittei­lung. Außer­dem solle dem Patien­ten immer ein quali­fi­zier­ter Thera­peut stets ansprech­bar zur Seite stehen. Ob ein Patient den Eingriff als Willkür oder als schüt­zende Hilfs­maß­nahme auffasst, hänge schließ­lich entschei­dend von einer solchen Betreu­ung ab und ist mitun­ter ausschlag­ge­bend dafür, ob der Patient eine Trauma­ti­sie­rung davon trägt oder nicht.

Die Freheits­ent­zie­hung als die schwerste Form der Freiheits­be­schrän­kung

Das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt betonte die grund­sätz­li­che Schwere des Eingriffs: „Bei der Freiheits­ent­zie­hung handelt es sich um die schwerste Form der Freiheits­be­schrän­kung. Sie setzt eine beson­dere Inten­si­tät voraus und kommt nach der Recht­spre­chung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts nur in Betracht, wenn die – tatsäch­lich und recht­lich an sich gegebene – Bewegungs­frei­heit nach jeder Richtung hin aufge­ho­ben wird“, heißt in der Presse­mit­tei­lung. Proble­ma­tisch ist, dass im Spezi­el­len nach Landes­recht geregelt wird, ab wann bezie­hungs­weise ob eine richter­li­che Geneh­mi­gung für eine Fixie­rung notwen­dig ist. Inhalt der Verhand­lun­gen des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt waren daher unter anderem die Fragen, inwie­fern ein Richter­vor­be­halt notwen­dig ist, wie häufig in öffent­lich-rechli­chen Unter­brin­gun­gen tatsäch­lich Fixie­run­gen erfol­gen und wie notwen­dig sie sind. Dabei wurde auch auf andere Länder und ihre Erfahungs­werte geschaut, wie etwa Großbri­tan­nien, die Schweiz und die Nieder­lande.

Quelle: BVerfG