Amputation
Viele Amputa­tio­nen sind wahrschein­lich nicht nötig Bild: © Dragan Andrii | Dreamstime.com

Amputa­tion zu schnell

Bei chroni­schen Wunden wird zu schnell amputiert, statt eine spezia­li­sierte Wundver­sor­gung in einem Wundzen­trum zu begin­nen. So lautet das zentrale Argument.

Das bemän­gelt Dr. Siiri Ann Doka von der BAG Selbst­hilfe auf dem Dialog­fo­rum „Eine Stunde Wunde“ des Bundes­ver­ban­des Medizin­tech­no­lo­gie (BVMed). Doka spricht sich dafür aus, die Fachkennt­nisse zur Wundver­sor­gung im ambulan­ten Bereich zu verbes­sern und Wundzen­tren auf dem Land zu fördern.

Außer­dem sei es wichtig, Patien­tin­nen und Patien­ten stärker in Wundver­sor­gungs­pro­zesse einzu­bin­den. Zum Beispiel über die Idee einer Patien­ten-Quittung.

Patien­ten stets gut einbe­zie­hen

„In jedem Zustand ist es möglich, die Betrof­fe­nen gut einzu­be­zie­hen“, stellt Dr. Siiri Ann Doka die Position des Dachver­ban­des der Selbst­hil­fe­or­ga­ni­sa­tio­nen dar. Dies kennzeichne eine „gute Versor­gung“, die Betrof­fe­nen auf Augen­höhe begegne, so die Referats­lei­te­rin für Gesund­heits- und Pflege­po­li­tik.

Das sogenannte „Shared Decis­ion Making“ umfasse das Gespräch von Patien­tin­nen und Patien­ten mit den Exper­ten für die spezi­fi­sche Versor­gung, eine umfas­sende Aufklä­rung über den Verlauf einer Erkran­kung und deren Versor­gung sowie über mögli­che Risiken und nächste Schritte.

Den betrof­fe­nen Menschen müsse die „Zeit gegeben werden, ihre Fragen loszu­wer­den“, sagt Doka. Dies sei aber oft nicht der Fall.

„Wir bekom­men häufig die Rückmel­dung, dass die Patien­ten nicht wussten, wie der Verlauf mit einer Erkran­kung aussieht“, erklärt Doka.

Falsche Wundver­sor­gung hat drama­ti­sche Folgen

Spezi­ell für die Wundver­sor­gung weist Doka darauf hin, dass oft das Weiter­ver­wei­sen zu anderen Versor­gen­den nicht funktio­niere. So werde bei chroni­schen Wunden oft zu schnell amputiert, statt eine spezia­li­sierte Wundver­sor­gung in einem Wundzen­trum zu begin­nen.

Dies könne mögli­cher­weise daran liegen, dass Medizi­ner nicht in Wundzen­tren weiter­ver­wei­sen dürften und Patien­ten so standard­mä­ßig in der Chirur­gie lande­ten.

Bei den Kranken­häu­sern funktio­niere oft der Übergang von der statio­nä­ren in die ambulante Versor­gung nicht, so die Rückmel­dung aus den 120 Verbän­den, die in der Bundes­ar­beits­ge­mein­schaft (BAG) Selbst­hilfe von Menschen mit Behin­de­rung, chroni­scher Erkran­kung und ihren Angehö­ri­gen zusam­men­ge­schlos­sen sind.

Das oft unzurei­chende Entlass­ma­nage­ment der Klini­ken führe dazu, dass Patien­ten auch ambulant teilweise schlecht versorgt würden. „Wir bekom­men die Rückmel­dung, dass dort etwas schief­läuft“, so Doka, „diese Klagen häufen sich.“ Doka verweist darauf, dass etwa Medika­mente nicht mitge­ge­ben oder über den Umgang mit ihnen nicht ausrei­chend aufge­klärt werde.

„Wir hören von Pflege­diens­ten häufig, dass Patien­ten, die am Freitag aus dem Kranken­haus entlas­sen werden, nicht übernom­men werden, weil bei ihnen immer etwas fehlt“, erklärt Doka.

Quittung für Wundbe­trach­tung

Neben der Verbes­se­rung der Fachkennt­nisse der ambulan­ten Versor­ger und Ärzte zur Wundver­sor­gung, der Förde­rung von Wundzen­tren auf dem Land und insge­samt der „Überwin­dung der Sekto­ren­gren­zen“ regte Doka Quittun­gen für Patient:innen für bestimmte wichtige Leistun­gen etwa in Disease-Manage­ment-Program­men (DMP) an.

„Sie sollten eine Quittung ausge­stellt bekom­men, dass die Medizi­ner sich die Wunde angese­hen haben“, so Doka.

Vorteile spezia­li­sier­ter Versor­gung

Chris­tian Wester­mann vom ambulan­ten Pflege­dienst „Engel vonne Ruhr“ schil­dert die Vorteile einer spezia­li­sier­ten Versor­gung, die sein Unter­neh­men erbringe.

„Spezia­li­sierte Leistungs­er­brin­ger sind der Schlüs­sel bei chroni­schen Wunden. Wir haben Abhei­lungs­quo­ten, die sind der Wahnsinn“, sagt Wester­mann. Aller­dings werde diese Leistung nicht annähernd adäquat vergü­tet, aus unter­neh­me­ri­scher Sicht sei das Angebot daher defizi­tär. Die sicht­ba­ren Erfolge sporn­ten jedoch an und zeigen, das Spezia­li­sie­rung zielfüh­rend ist. Deshalb habe er auch keine Fachkraft­pro­bleme.

Wester­mann erklärt auch, dass Wundzen­tren aus seiner Sicht ein wichti­ger Baustein im System aber nicht für alle Patien­ten geeig­net seien, da nicht alle dort hinkom­men könnten.

Es könne vorteil­haft sein, wenn die Betrof­fe­nen in der Häuslich­keit bleiben könnten. Insge­samt sorge die spezia­li­sierte Versor­gung dafür, dass Drehtür Effekte vermie­den werden und Patien­ten selte­ner ins Kranken­haus müssten. Dies spare ebenso Ressour­cen, darun­ter die Entlas­tung des Entlas­sungs­ma­nage­ments im Kranken­haus oder aber in ärztli­chen Praxen, etwa durch ausführ­li­che Wunddo­ku­men­ta­tio­nen.

Dauer­thema Nutzen­nach­weise

Für die Erstat­tung der „sonsti­gen Produkte zur Wundbe­hand­lung“ endet Anfang Dezem­ber 2024 eine Übergangs­frist. Um danach noch in der Gesetz­li­chen Kranken­ver­si­che­rung (GKV) erstat­tungs­fä­hig zu sein, müssen sie geson­derte Nutzen­nach­weise (Evidenz) erbrin­gen. Betrof­fen sind davon unter anderem antimi­kro­bielle Wundauf­la­gen für chroni­sche Wunden.

„Evidenz ist sehr wichtig“, betont Juliane Pohl, Leite­rin des Referats Ambulante Gesund­heits­ver­sor­gung beim BVMed.

Daher begrüßt der Bundes­ver­band Medizin­tech­no­lo­gie (BVMed) den Auftrag des Gemein­sa­men Bundes­aus­schus­ses (G‑BA) an das Insti­tut für Quali­tät und Wirtschaft­lich­keit im Gesund­heits­we­sen (IQWiG), „eine wissen­schaft­li­che Ausar­bei­tung zu klini­schen Studien im Thera­pie­ge­biet ‚Wundbe­hand­lung‘ mit einer Fokus­sie­rung auf eine Bewer­tung der Endpunkte“ zu erstel­len.

Evidenz­kri­te­rien nicht geeig­net

„Der Auftrag zeigt, dass die bishe­ri­gen Evidenz­kri­te­rien für spezi­elle Produkte zur Wundbe­hand­lung nicht geeig­net sind. Die Verband­mit­tel-Herstel­ler brauchen Klarheit, wie die Nutzen­be­wer­tung erfol­gen kann“, so BVMed-Geschäfts­füh­rer und Vorstands­mit­glied Dr. Marc-Pierre Möll.

Da das IQWiG für die Ergeb­nisse zehn Monate Zeit hat, sei dies „ein weite­res Argument dafür, dass der Gesetz­ge­ber die im Dezem­ber 2024 auslau­fende Frist erneut verlän­gern muss“, so der BVMed.

Eine vertie­fende wissen­schaft­li­che Analyse zu den relevan­ten Endpunkt­kri­te­rien ist aus Sicht des BVMed entschei­dend für die Bewert­bar­keit der Wundpro­dukte und somit zur Umsetz­bar­keit der Nutzen­be­wer­tungs­ver­fah­ren.

Der G‑BA-Vorsit­zende Prof. Josef Hecken hatte vor diesem Hinter­grund in einem aktuel­len Inter­view mit der Ärzte­Zei­tung geäußert, dass im Bereich der Verband­mit­tel-Erstat­tung politi­scher Handlungs­be­darf bestehe, da ansons­ten Versor­gungs­lü­cken drohen.

Fazit

Deutsch­land weist eine erschre­ckend hohe Zahl von Amputa­tio­nen auf: Von den 60.000 Amputa­tio­nen jährlich sind ungefähr 40.000 die Folge von Diabe­tes. So lautet die aktuelle Angabe der Deutschen Diabe­tes Gesell­schaft (DDG).

Damit liegt Deutsch­land bei der Amputa­ti­ons­rate inter­na­tio­nal im oberen Bereich.

Exper­ten gehen davon aus, dass rund 80 Prozent davon vermeid­bar wären. Voraus­set­zung dafür wäre eine optimale Blutzu­cker­ein­stel­lung, die frühzei­tige Behand­lung des diabe­ti­schen Fußsyn­droms und eine bessere Vernet­zung der verschie­de­nen ärztli­chen und nicht­ärzt­li­chen Spezia­lis­ten im ambulan­ten und statio­nä­ren Sektor.

Entschei­dend sind:

  • eine fach- und sektoren­über­grei­fende Struk­tur
  • die ärztli­che Spezia­lis­ten wie Diabe­to­lo­gen
  • Gefäß­chir­ur­gen
  • Radio­lo­gen oder Ortho­pä­den sowie Diabe­tes­be­ra­ter
  • Wundas­sis­ten­ten
  • Ernäh­rungs­be­ra­ter
  • Podolo­gen oder Ortho­pä­die-Schuh­ma­cher mitein­an­der vernetzt – und zwar in einem vor- und nachsta­tio­nä­ren Verbund.

Quellen: BVMed, G‑BA, DDG