Amputation zu schnell
Bei chronischen Wunden wird zu schnell amputiert, statt eine spezialisierte Wundversorgung in einem Wundzentrum zu beginnen. So lautet das zentrale Argument.
Das bemängelt Dr. Siiri Ann Doka von der BAG Selbsthilfe auf dem Dialogforum „Eine Stunde Wunde“ des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed). Doka spricht sich dafür aus, die Fachkenntnisse zur Wundversorgung im ambulanten Bereich zu verbessern und Wundzentren auf dem Land zu fördern.
Außerdem sei es wichtig, Patientinnen und Patienten stärker in Wundversorgungsprozesse einzubinden. Zum Beispiel über die Idee einer Patienten-Quittung.
Patienten stets gut einbeziehen
„In jedem Zustand ist es möglich, die Betroffenen gut einzubeziehen“, stellt Dr. Siiri Ann Doka die Position des Dachverbandes der Selbsthilfeorganisationen dar. Dies kennzeichne eine „gute Versorgung“, die Betroffenen auf Augenhöhe begegne, so die Referatsleiterin für Gesundheits- und Pflegepolitik.
Das sogenannte „Shared Decision Making“ umfasse das Gespräch von Patientinnen und Patienten mit den Experten für die spezifische Versorgung, eine umfassende Aufklärung über den Verlauf einer Erkrankung und deren Versorgung sowie über mögliche Risiken und nächste Schritte.
Den betroffenen Menschen müsse die „Zeit gegeben werden, ihre Fragen loszuwerden“, sagt Doka. Dies sei aber oft nicht der Fall.
„Wir bekommen häufig die Rückmeldung, dass die Patienten nicht wussten, wie der Verlauf mit einer Erkrankung aussieht“, erklärt Doka.
Falsche Wundversorgung hat dramatische Folgen
Speziell für die Wundversorgung weist Doka darauf hin, dass oft das Weiterverweisen zu anderen Versorgenden nicht funktioniere. So werde bei chronischen Wunden oft zu schnell amputiert, statt eine spezialisierte Wundversorgung in einem Wundzentrum zu beginnen.
Dies könne möglicherweise daran liegen, dass Mediziner nicht in Wundzentren weiterverweisen dürften und Patienten so standardmäßig in der Chirurgie landeten.
Bei den Krankenhäusern funktioniere oft der Übergang von der stationären in die ambulante Versorgung nicht, so die Rückmeldung aus den 120 Verbänden, die in der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen zusammengeschlossen sind.
Das oft unzureichende Entlassmanagement der Kliniken führe dazu, dass Patienten auch ambulant teilweise schlecht versorgt würden. „Wir bekommen die Rückmeldung, dass dort etwas schiefläuft“, so Doka, „diese Klagen häufen sich.“ Doka verweist darauf, dass etwa Medikamente nicht mitgegeben oder über den Umgang mit ihnen nicht ausreichend aufgeklärt werde.
„Wir hören von Pflegediensten häufig, dass Patienten, die am Freitag aus dem Krankenhaus entlassen werden, nicht übernommen werden, weil bei ihnen immer etwas fehlt“, erklärt Doka.
Quittung für Wundbetrachtung
Neben der Verbesserung der Fachkenntnisse der ambulanten Versorger und Ärzte zur Wundversorgung, der Förderung von Wundzentren auf dem Land und insgesamt der „Überwindung der Sektorengrenzen“ regte Doka Quittungen für Patient:innen für bestimmte wichtige Leistungen etwa in Disease-Management-Programmen (DMP) an.
„Sie sollten eine Quittung ausgestellt bekommen, dass die Mediziner sich die Wunde angesehen haben“, so Doka.
Vorteile spezialisierter Versorgung
Christian Westermann vom ambulanten Pflegedienst „Engel vonne Ruhr“ schildert die Vorteile einer spezialisierten Versorgung, die sein Unternehmen erbringe.
„Spezialisierte Leistungserbringer sind der Schlüssel bei chronischen Wunden. Wir haben Abheilungsquoten, die sind der Wahnsinn“, sagt Westermann. Allerdings werde diese Leistung nicht annähernd adäquat vergütet, aus unternehmerischer Sicht sei das Angebot daher defizitär. Die sichtbaren Erfolge spornten jedoch an und zeigen, das Spezialisierung zielführend ist. Deshalb habe er auch keine Fachkraftprobleme.
Westermann erklärt auch, dass Wundzentren aus seiner Sicht ein wichtiger Baustein im System aber nicht für alle Patienten geeignet seien, da nicht alle dort hinkommen könnten.
Es könne vorteilhaft sein, wenn die Betroffenen in der Häuslichkeit bleiben könnten. Insgesamt sorge die spezialisierte Versorgung dafür, dass Drehtür Effekte vermieden werden und Patienten seltener ins Krankenhaus müssten. Dies spare ebenso Ressourcen, darunter die Entlastung des Entlassungsmanagements im Krankenhaus oder aber in ärztlichen Praxen, etwa durch ausführliche Wunddokumentationen.
Dauerthema Nutzennachweise
Für die Erstattung der „sonstigen Produkte zur Wundbehandlung“ endet Anfang Dezember 2024 eine Übergangsfrist. Um danach noch in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erstattungsfähig zu sein, müssen sie gesonderte Nutzennachweise (Evidenz) erbringen. Betroffen sind davon unter anderem antimikrobielle Wundauflagen für chronische Wunden.
„Evidenz ist sehr wichtig“, betont Juliane Pohl, Leiterin des Referats Ambulante Gesundheitsversorgung beim BVMed.
Daher begrüßt der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) den Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G‑BA) an das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), „eine wissenschaftliche Ausarbeitung zu klinischen Studien im Therapiegebiet ‚Wundbehandlung‘ mit einer Fokussierung auf eine Bewertung der Endpunkte“ zu erstellen.
Evidenzkriterien nicht geeignet
„Der Auftrag zeigt, dass die bisherigen Evidenzkriterien für spezielle Produkte zur Wundbehandlung nicht geeignet sind. Die Verbandmittel-Hersteller brauchen Klarheit, wie die Nutzenbewertung erfolgen kann“, so BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Dr. Marc-Pierre Möll.
Da das IQWiG für die Ergebnisse zehn Monate Zeit hat, sei dies „ein weiteres Argument dafür, dass der Gesetzgeber die im Dezember 2024 auslaufende Frist erneut verlängern muss“, so der BVMed.
Eine vertiefende wissenschaftliche Analyse zu den relevanten Endpunktkriterien ist aus Sicht des BVMed entscheidend für die Bewertbarkeit der Wundprodukte und somit zur Umsetzbarkeit der Nutzenbewertungsverfahren.
Der G‑BA-Vorsitzende Prof. Josef Hecken hatte vor diesem Hintergrund in einem aktuellen Interview mit der ÄrzteZeitung geäußert, dass im Bereich der Verbandmittel-Erstattung politischer Handlungsbedarf bestehe, da ansonsten Versorgungslücken drohen.
Fazit
Deutschland weist eine erschreckend hohe Zahl von Amputationen auf: Von den 60.000 Amputationen jährlich sind ungefähr 40.000 die Folge von Diabetes. So lautet die aktuelle Angabe der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG).
Damit liegt Deutschland bei der Amputationsrate international im oberen Bereich.
Experten gehen davon aus, dass rund 80 Prozent davon vermeidbar wären. Voraussetzung dafür wäre eine optimale Blutzuckereinstellung, die frühzeitige Behandlung des diabetischen Fußsyndroms und eine bessere Vernetzung der verschiedenen ärztlichen und nichtärztlichen Spezialisten im ambulanten und stationären Sektor.
Entscheidend sind:
- eine fach- und sektorenübergreifende Struktur
- die ärztliche Spezialisten wie Diabetologen
- Gefäßchirurgen
- Radiologen oder Orthopäden sowie Diabetesberater
- Wundassistenten
- Ernährungsberater
- Podologen oder Orthopädie-Schuhmacher miteinander vernetzt – und zwar in einem vor- und nachstationären Verbund.
Quellen: BVMed, G‑BA, DDG