
Die Fälle von Gewalt an Krankenhäusern nehmen zu. Darunter gerade auch Konflikte und brenzlige Situationen durch große Besuchergruppen, die ihre Verwandten im Klinikum besuchen oder diese dorthin begleiten. In den vergangenen Jahren gab es in Deutschland mehrere schlagzeilenträchtige Fälle, wo in Vielzahl zum Krankenhaus anreisende, aggressiv auftretende und/oder gewaltbereite Gäste zum Problem wurden.
Mehrere Gewaltvorfälle mit aufgebrachten Angehörigen
So berichtete der Berliner Tagesspiegel im April 2021 von einem Gewaltvorfall an der Berliner Charité. Dort hatten rund zehn Angehörige des libanesischen Abou-Chaker-Clans versucht, ins Klinikum vorzudringen, um sich von einem verstorbenen Verwandten zu verabschieden. Dabei sollen die Männer den Wachschutz bedroht und womöglich zugeschlagen haben; unbestätigten Informationen zufolge griffen sie auch einen Oberarzt an.
Zu dieser Zeit, in einer Hochphase der Corona-Pandemie, galten obendrein noch die strengen Schutzmaßnahmen und Besuchs-Einschränkungen in Kliniken, über die sich die Gruppe hinweggesetzt hatte. Die Charité deeskalierte die Situation schließlich, indem sie den Männern einzeln und nacheinander Zutritt gewährte, behielt sich jedoch wegen der vorangegangenen Gewalt einen Strafantrag vor.
Ein ähnlich gelagertes Ereignis erlebte im Juni 2018 die Kölner Uniklinik. Wie die „Welt“ berichtete, war eine Sechsjährige mit chronischem Herzleiden infolge von Komplikationen nach einer Herz-Operation verstorben; daraufhin versammelten sich rund 200 Familienangehörige in dem Krankenhaus. Der 54-jährige Vater des Mädchens habe dabei dem Chefarzt des Klinikums mit dem Tode gedroht.
Noch schlimmere Erfahrungen musste, aus aktuellerer Zeit, Ende September 2024 das Elisabeth-Krankenhaus in Essen-Huttrop machen: Die Besuchergruppe hatte laut WDR-Bericht in der Einrichtung randaliert und dabei sechs Klinik-Beschäftigte verletzt – eine 23-jährige Mitarbeiterin so schwer, dass sie über das Wochenende in stationärer Behandlung verbleiben musste. Der Auslöser: Ein älterer Mann aus der Familie war in die Notaufnahme eingeliefert worden; sein Zustand hatte sich während der Notfallbehandlung jedoch so stark verschlechtert, dass er verstorben war. Als Konsequenz aus dem Gewaltakt hat das Klinikum seitdem einen Sicherheitsdienst engagiert, der rund um die Uhr Kontrollen am Haupteingang durchführt.
Aus der Silvesternacht 2024/25 resultiert ein weiterer Fall aus Berlin: Drei Brüder hatten in der Notaufnahme einer Klinik im Stadtteil Lichtenberg einen Arzt und eine Pflegekraft attackiert. Auslöser war der Frust über zu lange Wartezeiten in der Notaufnahme: Einer der drei hatte sich während des Feierns eine Schnittverletzung an einem zerbrochenen Glas zugezogen; nach der unmittelbaren Erstversorgung der Wunde mussten er und die ihn begleitenden Brüder auf die weiteren Behandlungsschritte warten.
Infolgedessen schlugen die Angreifer dem Arzt mehrmals auf den Kopf, sodass dieser eine Platzwunde erlitt. Dem danebenstehenden Pfleger wurde so stark ins Gesicht geschlagen, dass dieser zu Boden ging. Wegen der Übergriffe wurden zwei der drei Brüder, ein 26- und 22-Jähriger, am 13. März 2025 vom Amtsgericht Tiergarten zu Freiheitsstrafen verurteilt. Der dritte, 17-jährige Bruder, der ebenfalls angeklagt war, ist nicht auffindbar; vermutlich hat er sich nach Serbien abgesetzt.
Erhebung des Deutschen Krankenhaus-Instituts bestätigt gestiegene Gewalt an Kliniken
Die vermehrte Gewalt an Kliniken bestätigte im April 2024 eine Blitzumfrage [PDF] des Deutschen Krankenhaus-Instituts (DKI) im Auftrag der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft (DKG): Von den bundesweit befragten 250 Allgemein-Krankenhäusern ab einer Größe von 100 Betten gaben 53 Prozent an, dass die Anzahl der Gewaltvorfälle in den vergangenen fünf Jahren „mäßig gestiegen“ sei, weitere 20 Prozent berichteten sogar von einem deutlichen Anstieg. Hierbei wurden alle Übergriffe gesammelt betrachtet, die von Angehörigen, Begleitern, Besuchergruppen und Patienten selbst verübt wurden.
Unter Pflegenden und Ärzten seien, laut Aussage von 80 Prozent der Kliniken, die Pflegekräfte in stärkerem Ausmaß betroffen. Als Schwerpunkt der Gewaltereignisse benannten 50 Prozent der Einrichtungen die Notaufnahme, 30 Prozent die übrigen Stationen (restliche 20 Prozent: in etwa gleich verteilt).
Letzteren Befund legt auch die meistgenannte Ursache von Übergriffen auf Mitarbeiter nahe – die typischerweise in einer Notaufnahme vorherrscht: der beeinträchtigte Zustand des Patienten, etwa durch Schmerzen oder Alkoholeinfluss (77 Prozent). Auf den weiteren Plätzen folgen der „allgemeine Respektverlust“ gegenüber Krankenhauspersonal (73 Prozent) sowie das spezielle Patientengut, etwa ein Leiden an Schizophrenie oder Demenz (69 Prozent). Die mit 40 Prozent an vierter Stelle genannten zu langen Wartezeiten als Ursache ist wiederum typisch für die Notaufnahme, ebenso der Widerstand gegen die Durchsetzung der Stationsordnung oder ein verwehrter Patientenwunsch als Auslöser (36 Prozent).
Als häufige, oder zumindest gelegentliche, Folgen von Gewaltereignissen wurden von den befragten Kliniken psychische Belastungen der Beschäftigten, leichte Verletzungen sowie Sachschäden genannt. Auf Seiten der Mitarbeiter waren die Folgen eine notwendige Aufnahme von ärztlicher oder therapeutischer Behandlung, Versetzungswünsche bis hin sogar zur Kündigung durch die Betroffenen.
Ruf nach stärkerem gesetzlichen Schutz für Beschäftigte im Gesundheitssektor
„Gewalt gegen Krankenhausbeschäftigte ist inakzeptabel“, erklärte in Reaktion auf die Umfrageergebnisse die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der DKG, Prof. Dr. Henriette Neumeyer. „Überlange Wartezeiten in den Notaufnahmen, verursacht durch Überlastung wegen Behandlungen, die auch ambulant durchgeführt werden können, führen zwar zu Unmut und Frust. Sie entschuldigen aber nicht, dass gegenüber den Mitarbeitenden im Krankenhaus viel zu oft die Schwelle zur Gewalt überschritten wird.“ Sie regte Strafverschärfungen für Übergriffe gegenüber Krankenhausbeschäftigten an, analog zu den bundespolitisch beabsichtigten Verschärfungen bei Angriffen gegen Rettungs- und Einsatzkräfte.
Ende Januar war ein erster Anlauf hierzu im Bundesrat gescheitert: Die Ländervertreter hatten sich nicht auf eine gemeinsame Linie beim Schutzumfang des beabsichtigten Gesetzes einigen können. Neben dem im Gesetzentwurf geplanten besonderen Schutz von Polizisten, Rettungskräften und ehrenamtlich Tätigen hatten die Unions-Vertreter auch die Angehörigen der Gesundheitsberufe als besonders geschützte Gruppen aufnehmen wollen. Hierauf hatten sie sich jedoch mit SPD, Grünen und FDP nicht verständigen können; dabei sollte es auch bis zur jüngsten vorzeitigen Bundestagswahl bleiben. Ein Neuanlauf für ein Schutzgesetz wäre jedoch in der bald beginnenden nächsten Legislaturperiode möglich.
Was Kliniken tun können (und sollten)
Das Wichtigste, was sich Einrichtungen zu allererst bewusst machen sollten: Sie alleine sind die Inhaber des Hausrechts. So offen, niederschwellig und besucherfreundlich sich ein Klinikum auch verstehen mag: Einschüchterungen durch die schiere Masse von Besuchergruppen braucht sich keine Einrichtung gefallen zu lassen. Angehörige abzuweisen, ist in diesem Fall nicht hartherzig, sondern völlig legitim. Neben der Fürsorgepflicht für Patienten besteht eine solche auch für die eigenen Beschäftigten.
Gerade für den Bereich der Notaufnahme empfiehlt sich eine bauliche Zutrittskontrolle – etwa mit Klingel, gegebenenfalls Video- und Gegensprechanlage, gute Beleuchtung und Einsehbarkeit. Eine weitere Sicherung ist ein Empfangstresen, an dem sich Gäste vor dem Besuch in der Notaufnahme anmelden müssen. Sollte es regelmäßig konfliktträchtige Situationen geben, könnte – zumindest in „kritischen“ Zeiten, etwa den Nachtstunden am Wochenende – über das Engagement eines Sicherheitsdienstes nachgedacht werden. Gerade im Hinblick auf große Besuchergruppen kann eine Klinik, in Verbindung mit den baulich-technischen Vorkehrungen, die Zahl der gleichzeitigen Besucher pro Patient von vornherein begrenzen. So gebe es eine allgemeine Begrenzung von Besuchergruppen, die sich nicht primär und diskriminatorisch gegen die konkrete Gästegruppe.
Damit die Beschäftigten auf heikle Situationen vorbereitet sind – und sie sich in ihrem Dienst sicherer fühlen –, sind Deeskalationstrainings sowie Seminare zum Umgang mit Gewalt und Aggression ein wirkungsvolles Präventionsmittel. In der Einrichtungen sollte es Handlungsempfehlungen und Leitlinien für den Umgang mit aggressiven Patienten oder Angehörigen geben.
Wenn schwerwiegende Gewaltereignisse passiert sind, bietet sich eine professionelle, durch den Betrieb vermittelte psychologische Betreuung und Unterstützung der betroffenen Mitarbeiter, sowie Angebote zur Nachsorge, an. Außerdem sollten derartige Fälle im multiprofessionellen Team aufgearbeitet werden.
Tipps von BGW und Krankenhausgesellschaft NRW
Von zwei Beispielen aus der Praxis berichtet die WDR-Lokalzeit: Nach diversen Gewaltvorfällen hat die Uniklinik Bonn einen Sicherheitsdienst für die Notaufnahme engagiert. Das Krankenhaus in Mechernich (Kreis Euskirchen) setzt derweil auf eine Videoüberwachung vor der Intensivstation, sowie dort ausschließlich elektronisch zu öffnende Türen. Deeskalations- und Selbstverteidigungs-Training für die Belegschaft ergänzen die Prävention und machen den Umgang mit großen Besuchergruppen leichter.
Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) hat sich speziell dem Thema Gewaltprävention in der Notaufnahme gewidmet, und in ihrem Fachbeitrag 10 Punkte gegen Gewalt formuliert. Als weiteres nützliches Werkzeug hat die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW), der Zusammenschluss der Krankenhausträger und Spitzenverbände des Bundeslandes, eine umfangreiche Broschüre [PDF] mit Handlungsempfehlungen und Praxistipps – auch für Besuchergruppen – aufgelegt.