Über ungerechte Behandlung klagen viele Pflegekräfte. Nicht selten fühlt man sich im Job von Kollegen, Chefs oder externen Personen falsch verstanden. Dann streitet man sich und das Arbeitsverhältnis geht den Bach herunter.
Solch einen Fall gab es im Jahr 2012, der aber erst 2019 gerichtlich entschieden wurde. Der große Unterschied war in diesem Fall, dass hierbei extra Spitzel angeheuert wurden, um dem angespannten Arbeitsverhältnis zwischen Pflegekraft und Geschäftsleitung ein Ende zu bereiten. Lesen Sie selbst:
Der Plan und die Ausgangslage
Die Klägerin war seit 1996 als Altenpflegerin in der beklagten Einrichtung und seit 2007 in deren Betriebsrat tätig. Als es zu Unstimmigkeiten zwischen dem Betriebsrat und der Geschäftsführung kam, setzte letztere drei betriebsfremde Personen als „Leiharbeitnehmer“ in besagtem Altenheim ein, die der Klägerin und weiteren Betriebsratsmitgliedern konkrete Gründe zu einer fristlosen Kündigung anhängen sollten.
Bei den „Leiharbeitnehmern“ handelte es sich um drei Personen aus einer Detektei. In einem Vorgespräch hatte die Geschäftsführung zusammen mit einem (ebenfalls beklagten) Rechtsanwalt und den drei Spionen eine Strategie ausgearbeitet, wie sich die Klägerin und die anderen „unbequemen Pflegenden“ zu einem Fehlverhalten hinreißen lassen könnten, welches anschließend in einer außerordentlichen Kündigung enden sollte.
Alkohol und Schläge: Was die Spitzel den Pflegekräften anhängten
Der Einsatz der drei Spitzel dauerte vom 23. bis zum 28. Januar 2012. In der Nacht vor dem letzten Tag regte einer der Leiharbeitnehmer an, zum Abschied ein Glas Sekt zu trinken, obwohl in der Einrichtung striktes Alkoholverbot herrscht. Ob die Altenpflegerin tatsächlich Alkohol zu sich genommen habe, ist nicht bewiesen.
Während die beteiligten Personen mit den Sektgläsern zugange waren, kam das Management in den Raum und „erwischte“ die Klägerin angeblich beim Alkoholkonsum. In der Folge beantragte die Geschäftsführerin beim Betriebsrat die fristlose, verhaltensbedingte Kündigung der Altenpflegerin.
Gut zwei Wochen später sollte einer der anderen Spitzel die damalige Betriebsratsvorsitzende in eine Konfrontation und zu einer Handgreiflichkeit verleiten. Diese blieb zwar aus, dennoch behauptete der Spion, von der Person geschlagen worden zu sein. Die Betriebsratsvorsitzende veranlasste die Klägerin dann dazu, sich fälschlicherweise als Zeugin auszugeben und die angeblichen Schläge zu verneinen.
Ende Februar wurde der Kündigung der Klägerin erneut zugestimmt, diesmal aufgrund der vorsätzlichen Falschaussage gegenüber der Polizei und Geschäftsführung. Auch die Betriebsratsvorsitzende wurde fristlos entlassen. Beide Vorfälle waren im Jahr 2012 Teil der Presseberichterstattung, wodurch es zu Rücktritten im Betriebsrat und zu dessen Neuwahl kam.
Spionage ist Eingriff in das Persönlichkeitsrecht
Die gekündigte Altenpflegerin klagte auf Schadensersatz. Zurecht, wie das ArbG Gießen im Jahr 2019 urteilte. Es kommt in dem Fall gar nicht darauf an, ob die Klägerin tatsächlich ein Fehlverhalten begangen hat. Vielmehr ergibt sich der Rechtsanspruch der Klägerin auf Schadensersatz aus der schweren Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Artikel 2 Absatz 1 GG in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG und Artikel 8 Absatz 1 EMRK.
Die Beklagten schleusten drei fremde Personen in den Betrieb ein, mit dem Ziel, Situationen zu erschaffen oder bei Bedarf zu erfinden, die dann zur Kündigung der zwei Mitarbeiterinnen führen. Sie sollten die Pflegekräfte zunächst beobachten und anschließend die vollzogenen, im Vorfeld ausgeheckten Schritte einleiten. Dies wurde auch von einem der Spitzel so bestätigt.
Tatsächlich habe der Spitzel eine solche Tätigkeit bereits anderswo ausgeübt. Es war auch dort stets das Ziel, das Verhältnis zwischen den Parteien zu zerrütten, um Kündigungstatbestände einzuleiten. Im Falle der Klägerin sollte sie in einer bestimmten, durch den Spitzel eingefädelten Situation, zum Trinken von Alkohol gebracht werden. Auch hierin äußert sich die Verletzung des Persönlichkeitsrechts.
Die Höhe der Entschädigungssumme beläuft sich mit einer Höhe von 20.000 Euro auf die Summe, die etwa pro Spitzel von der Geschäftsführerin aufgewandt wurde, um die Klägerin aus dem Heim werfen zu können und aus diesem Grund sachgerecht erscheint. Die Summe lastet auf den Schultern der Geschäftsführung, den drei Spitzeln und dem beteiligten Rechtsanwalt.
Leitsatz
Das Erarbeiten von Strategiekonzepten zur Entfernung unliebsamer Betriebsratsmitglieder mittels Fingieren von Kündigungsgründen und Bespitzelung nebst (teilweiser) Umsetzung begründet Entschädigungsansprüche.
Übrigens: Hintergründe zu dem Verfahren sind unter dem Ttel „Die Rausschmeißer – Feuern um jeden Preis“ Gegenstand einer Videodokumentation der politischen Magazins „Panorama“, die in der ARD am 3.7.2017 ausgestrahlt worden ist. Den Beitrag finden Sie gegenwärtig noch in der ARD-Mediathek.