Spitzel
Gleich drei Spitzel wurden auf das Opfer angesetzt (Bild nachge­stellt) Bild: Alexan­der Meyer-Köring

Über ungerechte Behand­lung klagen viele Pflege­kräfte. Nicht selten fühlt man sich im Job von Kolle­gen, Chefs oder exter­nen Perso­nen falsch verstan­den. Dann strei­tet man sich und das Arbeits­ver­hält­nis geht den Bach herun­ter.

Solch einen Fall gab es im Jahr 2012, der aber erst 2019 gericht­lich entschie­den wurde. Der große Unter­schied war in diesem Fall, dass hierbei extra Spitzel angeheu­ert wurden, um dem angespann­ten Arbeits­ver­hält­nis zwischen Pflege­kraft und Geschäfts­lei­tung ein Ende zu berei­ten. Lesen Sie selbst:

Der Plan und die Ausgangs­lage

Die Kläge­rin war seit 1996 als Alten­pfle­ge­rin in der beklag­ten Einrich­tung und seit 2007 in deren Betriebs­rat tätig. Als es zu Unstim­mig­kei­ten zwischen dem Betriebs­rat und der Geschäfts­füh­rung kam, setzte letztere drei betriebs­fremde Perso­nen als „Leihar­beit­neh­mer“ in besag­tem Alten­heim ein, die der Kläge­rin und weite­ren Betriebs­rats­mit­glie­dern konkrete Gründe zu einer frist­lo­sen Kündi­gung anhän­gen sollten.

Bei den „Leihar­beit­neh­mern“ handelte es sich um drei Perso­nen aus einer Detek­tei. In einem Vorge­spräch hatte die Geschäfts­füh­rung zusam­men mit einem (ebenfalls beklag­ten) Rechts­an­walt und den drei Spionen eine Strate­gie ausge­ar­bei­tet, wie sich die Kläge­rin und die anderen „unbeque­men Pflegen­den“ zu einem Fehlver­hal­ten hinrei­ßen lassen könnten, welches anschlie­ßend in einer außer­or­dent­li­chen Kündi­gung enden sollte.

Alkohol und Schläge: Was die Spitzel den Pflege­kräf­ten anhäng­ten

Der Einsatz der drei Spitzel dauerte vom 23. bis zum 28. Januar 2012. In der Nacht vor dem letzten Tag regte einer der Leihar­beit­neh­mer an, zum Abschied ein Glas Sekt zu trinken, obwohl in der Einrich­tung strik­tes Alkohol­ver­bot herrscht. Ob die Alten­pfle­ge­rin tatsäch­lich Alkohol zu sich genom­men habe, ist nicht bewie­sen.

Während die betei­lig­ten Perso­nen mit den Sektglä­sern zugange waren, kam das Manage­ment in den Raum und „erwischte“ die Kläge­rin angeb­lich beim Alkohol­kon­sum. In der Folge beantragte die Geschäfts­füh­re­rin beim Betriebs­rat die frist­lose, verhal­tens­be­dingte Kündi­gung der Alten­pfle­ge­rin.

Gut zwei Wochen später sollte einer der anderen Spitzel die damalige Betriebs­rats­vor­sit­zende in eine Konfron­ta­tion und zu einer Handgreif­lich­keit verlei­ten. Diese blieb zwar aus, dennoch behaup­tete der Spion, von der Person geschla­gen worden zu sein. Die Betriebs­rats­vor­sit­zende veran­lasste die Kläge­rin dann dazu, sich fälsch­li­cher­weise als Zeugin auszu­ge­ben und die angeb­li­chen Schläge zu vernei­nen.

Ende Februar wurde der Kündi­gung der Kläge­rin erneut zugestimmt, diesmal aufgrund der vorsätz­li­chen Falsch­aus­sage gegen­über der Polizei und Geschäfts­füh­rung. Auch die Betriebs­rats­vor­sit­zende wurde frist­los entlas­sen. Beide Vorfälle waren im Jahr 2012 Teil der Presse­be­richt­erstat­tung, wodurch es zu Rücktrit­ten im Betriebs­rat und zu dessen Neuwahl kam.

Spionage ist Eingriff in das Persön­lich­keits­recht

Die gekün­digte Alten­pfle­ge­rin klagte auf Schadens­er­satz. Zurecht, wie das ArbG Gießen im Jahr 2019 urteilte. Es kommt in dem Fall gar nicht darauf an, ob die Kläge­rin tatsäch­lich ein Fehlver­hal­ten began­gen hat. Vielmehr ergibt sich der Rechts­an­spruch der Kläge­rin auf Schadens­er­satz aus der schwe­ren Verlet­zung ihres allge­mei­nen Persön­lich­keits­rechts nach Artikel 2 Absatz 1 GG in Verbin­dung mit Artikel 1 Absatz 1 GG und Artikel 8 Absatz 1 EMRK.

Die Beklag­ten schleus­ten drei fremde Perso­nen in den Betrieb ein, mit dem Ziel, Situa­tio­nen zu erschaf­fen oder bei Bedarf zu erfin­den, die dann zur Kündi­gung der zwei Mitar­bei­te­rin­nen führen. Sie sollten die Pflege­kräfte zunächst beobach­ten und anschlie­ßend die vollzo­ge­nen, im Vorfeld ausge­heck­ten Schritte einlei­ten. Dies wurde auch von einem der Spitzel so bestä­tigt.

Tatsäch­lich habe der Spitzel eine solche Tätig­keit bereits anderswo ausge­übt. Es war auch dort stets das Ziel, das Verhält­nis zwischen den Parteien zu zerrüt­ten, um Kündi­gungs­tat­be­stände einzu­lei­ten. Im Falle der Kläge­rin sollte sie in einer bestimm­ten, durch den Spitzel einge­fä­del­ten Situa­tion, zum Trinken von Alkohol gebracht werden. Auch hierin äußert sich die Verlet­zung des Persön­lich­keits­rechts.

Die Höhe der Entschä­di­gungs­summe beläuft sich mit einer Höhe von 20.000 Euro auf die Summe, die etwa pro Spitzel von der Geschäfts­füh­re­rin aufge­wandt wurde, um die Kläge­rin aus dem Heim werfen zu können und aus diesem Grund sachge­recht erscheint. Die Summe lastet auf den Schul­tern der Geschäfts­füh­rung, den drei Spitzeln und dem betei­lig­ten Rechts­an­walt.

Leitsatz

Das Erarbei­ten von Strate­gie­kon­zep­ten zur Entfer­nung unlieb­sa­mer Betriebs­rats­mit­glie­der mittels Fingie­ren von Kündi­gungs­grün­den und Bespit­ze­lung nebst (teilwei­ser) Umset­zung begrün­det Entschä­di­gungs­an­sprü­che.

Übrigens: Hinter­gründe zu dem Verfah­ren sind unter dem Ttel „Die Rausschmei­ßer – Feuern um jeden Preis“ Gegen­stand einer Video­do­ku­men­ta­tion der politi­schen Magazins „Panorama“, die in der ARD am 3.7.2017 ausge­strahlt worden ist. Den Beitrag finden Sie gegen­wär­tig noch in der ARD-Media­thek.