Andrea Genau fragt: Die Bewoh­ner unserer Einrich­tung werden alljähr­lich gegen Grippe geimpft. Darf die Impfung eines unter Betreu­ung stehen­den Bewoh­ners ohne dessen Einver­ständ­nis oder das seines Betreu­ers vorge­nom­men werden?

Antwort der Redak­tion: Selbst eine „harmlose“ Grippe­schutz­imp­fung darf nie ohne das Einver­ständ­nis des Betrof­fe­nen oder seines Vertre­ters (Betreuer/Bevollmächtigter) verab­reicht werden.

Unabhän­gig von der Situa­tion des Betreu­ungs­rechts muss vorab heraus­ge­ho­ben werden, dass ausnahms­los jede Injek­tion straf­recht­lich als Körper­ver­let­zung im Sinne von § 223 StGB zu werten ist.

Bei einer Injek­tion werden regel­mä­ßig beide Tatbe­stands­al­ter­na­ti­ven des § 223 StGB verletzt. Hiernach wird bestraft, wer eine andere Person körper­lich misshan­delt oder eine andere Person gesund­heit­lich schädigt. Unter körper­li­cher Misshand­lung versteht man dabei jedes Hinzu­fü­gen von Schmer­zen und unter Gesund­heits­be­schä­di­gung jede Verlet­zung der körper­li­chen Unver­sehrt­heit. Somit wird zunächst jede Injek­tion zur vorsätz­li­chen Körper­ver­let­zung.

Straf­frei­heit wird in der Regel erst durch das Vorlie­gen eines Recht­fer­ti­gungs­grun­des erzeugt. In selte­nen (Eil-)Fällen kommt im medizi­ni­schen Bereich der recht­fer­ti­gende Notstand (§ 34 StGB) als Recht­fer­ti­gungs­grund in Betracht. Regel­mä­ßig ist eine Recht­fer­ti­gung nur durch die Einwil­li­gung des Verletz­ten, des Patien­ten oder Bewoh­ners über § 228 StGB gegeben.

Eine solche Einwil­li­gung kann grund­sätz­lich auch durch eine Person erfol­gen, für die im Bereich Gesund­heit ein Betreuer bestellt ist. Betreu­ung bedeu­tet im Allge­mei­nen keine Entrech­tung! Und im Gesund­heits­be­reich verbleibt sogar bei Vorlie­gen eines Einwil­li­gungs­vor­be­halts gemäß § 1903 BGB – wegen des Grund­rechts­schut­zes aus Artikel 2 Absatz 2 GG – ein weitrei­chen­der Schutz vor Zwangs­maß­nah­men. Selbst bei Einwil­li­gung des Betreu­ers dürfte eine Impfung deshalb gegen den Willen des Bewoh­ners kaum durch­setz­bar sein. Ohne eine Verwei­ge­rung genügt natür­lich die Einwil­li­gung des Betreu­ers.

Ob die Einwil­li­gung des Betreu­ten selbst – ohne Mitwir­kung des Betreu­ers – ausreicht, hängt allein von der Einsichts­fä­hig­keit (Einwil­li­gungs­fä­hig­keit) des Bewoh­ners ab. Unabhän­gig vom Lebens­al­ter (auch unter dem 18. Lebens­jahr) oder der Betreu­ten­stel­lung ist die Einsichts­fä­hig­keit nach den Grund­sät­zen des Bundes­ge­richts­hofs danach zu beurtei­len, ob der Betrof­fene noch fähig ist, die Sachlage („Behand­lungs­grund“) sowie die Art, das Wesen, die Tragweite des Eingriffs und seiner Gestat­tung zu ermes­sen.

Je schwer­wie­gen­der die beabsich­tigte Behand­lungs­maß­nahme ist, desto höher müssen die Anfor­de­run­gen an die subjek­tive Beurtei­lungs­fä­hig­keit durch den Patien­ten sein. Der Arzt muss sich vor der Durch­füh­rung oder Anord­nung einer Maßnahme (beim Aufklä­rungs­ge­spräch) von der Einsichts­fä­hig­keit des Patien­ten überzeu­gen.