Impfpflicht
Immer stärker in der Kritik: die einrich­tungs­be­zo­gene Impfpflicht Bild: © Axel Bueckert | Dreamstime.com

Die im Dezem­ber 2021 beschlos­sene, seit Mitte März geltende einrich­tungs­be­zo­gene Impfpflicht für Beschäf­tigte in Gesund­heits­ein­rich­tun­gen und Pflege­hei­men wackelt immer stärker. Der Präsi­dent der Deutschen Kranken­haus­ge­sell­schaft (DKG), Dr. Gerald Gaß bekräf­tigt seine Forde­rung, die Teil-Impfpflicht für den Gesund­heits- und Pflege­sek­tor zu kippen. „Wir fordern die sofor­tige Ausset­zung“, wird Gaß im Gespräch mit der Augsbur­ger Allge­mei­nen zitiert. Den Beschäf­tig­ten in den Kranken­häu­sern sei nicht zu vermit­teln, warum sie bei fehlen­der Impfung Tätigungs­ver­bote erhal­ten, während ein Großteil ihrer Covid-Patien­ten ungeimpft sei, so Gaß weiter.

Pflege sieht sich benach­tei­ligt – Unter­schiede zwischen den Bundes­län­dern bei der Impfpflicht-Umset­zung

Bereits am 8. April, dem Tag nach dem Schei­tern zweier Anträge für eine allge­meine Impfpflicht im Bundes­tag – einmal für alle Über-60-Jähri­gen, einmal „auf Vorrat“ für ein eventu­el­les Wieder-Aufflam­men der Pande­mie mit steigen­den Klinik-Einwei­sungs­zah­len im Herbst –, hatte die DKG gefor­dert, die Impfpflicht wieder abzuschaf­fen. Man habe die branchen­be­zo­gene Impf-Verpflich­tung immer unter­stützt; dies aber vor dem Hinter­grund, dass später eine Impfpflicht für die Allge­mein­heit folge. Der Bundes­ver­band priva­ter Anbie­ter sozia­ler Dienste e.V. (bpa) hatte sich ähnlich geäußert.

FDP-Gesund­heits­experte Andrew Ullmann, der die Teil-Impfpflicht bei der Abstim­mung im Bundes­tag unter­stützt hatte, ging vorsich­tig auf Distanz zu der beschlos­se­nen Regelung. Diese sei im Dezem­ber 2021 noch unter dem Eindruck der Delta-Variante beschlos­sen worden, wo der Zusam­men­hang zwischen Inzidenz und Impfquote viel deutli­cher war.

„Der Schutz vor einer Übertra­gung des Corona­vi­rus war mit dieser Variante noch deutlich höher“, argumen­tierte der FDP-Politi­ker im Gespräch mit der Zeitung. Die Impfemp­feh­lung müsse natür­lich aufrecht­erhal­ten werden, betonte er. Auch Bayerns Gesund­heits­mi­nis­ter Klaus Holet­schek hat die Impfpflicht spezi­ell für Pflege­be­rufe infrage gestellt. Die Bundes­re­gie­rung müsse sich „endlich zu einem neuen Vorstoß für eine allge­meine Impfpflicht durch­rin­gen. Nur dann macht ein Festhal­ten an der einrich­tungs­be­zo­ge­nen Impfpflicht einen Sinn“, so der CSU-Politi­ker in einer Stellung­nahme von Sonntag, 24. April.

Hinzu kommt: Die Umset­zung der seit Mitte März gelten­den branchen­be­zo­ge­nen Impfpflicht gestal­tet sich von Bundes­land zu Bundes­land sehr unter­schied­lich. Während Baden-Württem­berg bekannt dafür ist, die Impfpflicht recht genau zu verfol­gen und bereits eine Woche nach Inkraft­tre­ten über ein landes­ei­ge­nes Melde­por­tal mehr als 17.000 Nicht-Geimpfte in Gesund­heits- und Pflege­ein­rich­tun­gen ermit­telte, hatte beispiels­weise Bayern schon früh signa­li­siert, die Umset­zung der Impfpflicht gemäch­lich anzuge­hen; vor dem Sommer sei nicht mit Betre­tungs­ver­bo­ten zu rechnen.

Zum Hinter­grund: Wenn eine Einrich­tung ungeimpfte (bzw. nicht genesene) Beschäf­tigte meldet, kann das örtli­che Gesund­heits­amt – nach einer förmli­chen Auffor­de­rung mit Frist­set­zung zum Vorle­gen eines Impfnach­wei­ses – ein Betre­tungs­ver­bot gegen den oder die Beschäf­tigte für dessen Einrich­tung verhän­gen.

Von Einrich­tung beurlaubt: Pflege­fach­kraft und Wohnbe­reichs­lei­ter schei­tern mit Klage auf Weiter­be­schäf­ti­gung

Zumin­dest recht­lich schei­nen Beschäf­tigte, die unter die Teil-Impfpflicht fallen und weder geimpft und genesen sind, im Falle eines Betre­tungs­ver­bo­tes schlechte Karten zu haben. In dem Sinne entschied das Arbeits­ge­richt Gießen gegen eine Pflege­fach­kraft und einen Wohnbe­reichs­lei­ter, die von ihrem Arbeit­ge­ber – einem bundes­wei­ten Betrei­ber von Senio­ren­re­si­den­zen – wegen ihres fehlen­den Impf- bzw. Genese­nen-Nachwei­ses freige­stellt worden waren. Ab dem 16. März, dem Stich­tag fürs Inkraft­tre­ten der Impfpflicht in der Pflege, wurden beide ohne Vergü­tung von ihrer Arbeit freige­stellt. Wohlge­merkt: Ein behörd­li­ches Betre­tungs­ver­bot hatte und hat für die beiden nicht vorge­le­gen.

Mit ihren Anträ­gen auf vertrags­ge­mäße Beschäf­ti­gung schei­ter­ten die Kläger vor dem Arbeits­ge­richt: Der Arbeit­ge­be­rin stehe unter Zugrun­de­le­gung der gesetz­li­chen Wertun­gen des § 20 a IfSG „im Rahmen billi­gen Ermes­sens frei, im Hinblick auf das beson­dere Schutz­be­dürf­nis der Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner eines Senio­ren­heims Beschäf­tigte, die weder geimpft noch genesen sind und der Pflicht zur Vorlage eines Impf- oder Genese­nen­nach­wei­ses nicht nachkom­men, von der Arbeits­leis­tung freizu­stel­len“, so das Gericht. Das Inter­esse der Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner an deren Gesund­heits­schutz überwiege das Inter­esse der beiden Beschäf­tig­ten, ihre Tätig­keit weiter ausüben zu können.

Wegen Impfpflicht freige­stellt: Vermut­lich besteht Anspruch auf Arbeits­lo­sen­geld I

Aufgrund der recht neuen Regelung hat es noch nicht viele Fälle von freige­stell­ten Beschäf­tig­ten gegeben. Offen­bar ist es jedoch so, dass sie für ihre unbezahlte Freistel­lungs­phase zumin­dest Anspruch auf Arbeits­lo­sen­geld I haben. Denn die freige­stell­ten Beschäf­tig­ten könnten zwar nicht mehr im Gesund­heits- und Pflege­sek­tor, wohl aber in anderen Berufs­fel­dern arbei­ten – weil es dort eben keine branchen­be­zo­gene Impfpflicht gibt. Zumal die branchen­be­zo­gene Impfpflicht – was in der öffent­li­chen Debatte bislang nahezu unbeach­tet geblie­ben ist – mit dem Ende des Jahres 2022 ausläuft. Das hieße: Ab diesem Zeitpunkt wären die beurlaub­ten Mitar­bei­te­rin­nen und Mitar­bei­ter auch wieder für ihre Einrich­tun­gen verfüg­bar.