Prof. Dr. Volker Großkopf: Wieso wird in dem Gesetz zwischen Pflegehilfsmittel und Hilfsmittel unterschieden?
Dr. Andreas Westerfellhaus: Damit Pflegebedürftige zügiger für sie geeignete Pflegehilfsmittel oder Hilfsmittel erhalten, ist vorgesehen, dass Pflegefachkräfte zukünftig für Pflegebedürftige, die sie pflegerisch betreuen und daher die häusliche Pflegesituation gut kennen, Empfehlungen zur Hilfsmittel- und Pflegehilfsmittelversorgung abgeben können.
Eine Unterscheidung zwischen Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel ist auch weiterhin systembedingt erforderlich, da diesen grundsätzlich unterschiedliche Kostenträger (Kranken- bzw. Pflegekasse) zugeordnet sind.
Daneben gibt es Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel, die sowohl den in SGB V als auch den in SGB XI genannten Zwecken dienen können (sogenannte doppelfunktionale Hilfsmittel). Für Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel, die insbesondere der Erleichterung der Pflege und der Ermöglichung einer selbständigen Lebensführung dienen, soll nun richtigerweise eine Empfehlung durch Pflegefachkräfte möglich werden.
Großkopf: Nach § 40 SGB XI soll die Möglichkeit der Hilfsmittelempfehlung durch Pflegefachkräfte ab dem 1. Juli 2021 erfolgen. Wie sind die Kassen darauf vorbereitet und wie weist die Pflegefachkraft ihre Ausbildungskompetenz nach?
Westerfellhaus: Der Gesetzgeber gibt dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen auf, bis zum 31. Dezember 2021 in Richtlinien die Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel, die sich für das Verfahren eignen und die hierfür erforderliche Eignung der Pflegefachkraft sowie das Nähere zur Empfehlung bei Antragstellung festzulegen.
Für die Wirkung der Empfehlung wird in der Regel eine Qualifikation der Pflegefachkraft nach dem Pflegeberufegesetz (PflBG) als ausreichend angesehen. Gemäß PflBG ist unter anderem die Erhebung und Feststellung des individuellen Pflegebedarfs Ausbildungsziel. Für Personen mit Abschlüssen nach dem bisherigen Krankenpflegegesetz und dem bisherigen Altenpflegegesetz gilt die Qualifikation ebenfalls als ausreichend, da im PflBG auch festgelegt wurde, dass deren Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung weiterhin gilt.
Großkopf: Kann ab dem 1. Juli der gesamte Hilfsmittelkatalog empfohlen werden?
Westerfellhaus: Es können die Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel empfohlen werden, die den Zielen des § 40 SGB XI entsprechen, das heißt die zur Erleichterung der Pflege oder zur Linderung von Beschwerden des Pflegebedürftigen beitragen oder dem Pflegebedürftigen eine selbständigere Lebensführung ermöglichen.
Großkopf: Warum gibt es bezüglich der Substitution ärztlicher Aufgabe auf entsprechend ausgebildete Pflegefachkräfte wiederum nur ein Modellprojekt gemäß § 64d SGB V. Wieso wird nach mittlerweile 13 Jahre diese Idee nicht in den Wirkbetrieb überführt?
Westerfellhaus: Die gesetzlich längst mögliche und auch schon in der Konzertierten Aktion Pflege diskutierte Heilkundeübertragung war bislang aufgrund zu komplizierter Verfahren und mangels (Eigen-) Interesse bestimmter Beteiligter nicht genutzt worden. Mit der nun im GVWG vorgesehenen Regelung bringt die Bundesregierung neuen Schwung in dieses Verfahren und verpflichtet die Kassen zu Modellvorhaben in allen Bundesländern. Dies ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg in die Regelversorgung. Und Pflegefachpersonen können nun endlich zeigen was sie können und das anwenden und tun, was sie gelernt haben und wofür sie schon lange hoch qualifiziert sind.
Zur Person: Dr. Andreas Westerfellhaus ist Bevollmächtigter der Bundesregierung für Pflege. Der Familienvater ist gelernter Krankenpfleger und studierter Pädagoge. Er ist seit dem 15. April 2018 im Amt.