Der Hausnotrufdienst vor Gericht.
Der Bundes­ge­richts­hof (Karls­ruhe). Bild: ComQuat/Wikimedia Commons

Sachver­halt

Bei dem Kläger handelte es sich um einen 1934 gebore­nen Patien­ten, der allein in einer Wohnung in einem Senio­ren­heim mit Pflege­stufe 2 lebte und daher im Jahr 2010 einen „Dienst­leis­tungs­ver­trag zur Teilnahme am Hausnot­ruf“ schloss. Er litt unter Arthrose, Atemnot, chroni­scher Bronchi­tis, Herzrhyth­mus­stö­run­gen, Diabe­tes melli­tus sowie an arteri­el­lem Hyper­to­nus und Makro­an­gio­pa­thie. Auch ein erhöh­tes Risiko für einen Schlag­an­fall hat bestan­den. Aufgrund eines Erhebungs­bo­gens waren diese Erkran­kun­gen bei dem Hausnot­ruf­dienst bekannt.

Als er am 9. April 2012 den Notruf betätigte, gelangte er an einen Mitar­bei­ter in der Zentrale. Es konnte jedoch nur ein Stöhnen vernom­men werden und auch telefo­nisch konnte man den Patien­ten nicht errei­chen. Darauf­hin wurde ein Mitar­bei­ter eines Sicher­heits­diens­tes (Streit­hel­fe­rin) zu ihm geschickt, diese fand ihn auf dem Boden liegend vor. Ein weite­rer Mitar­bei­ter kam hinzu, gemein­sam konnte man den Patien­ten auf eine Couch verle­gen. Ohne weitere ärztli­che Versor­gung wurde er dann in seiner Wohnung zurück­ge­las­sen. Erst am 11. April haben Angehö­rige seines Pflege­diens­tes ihn in eine Klinik gebracht, nachdem sie ihn in seiner Wohnung auffan­den, mit einer Halbsei­ten­läh­mung und einer Aphasie (Sprach­stö­rung).

In der Klinik wurde ein Schlag­an­fall diagnos­ti­ziert, der wohlmög­lich zwei bis drei Tage zurück­lag. Laut Kläger habe er diesen Schlag­an­fall am Mittag des 9. Aprils erlit­ten. Er ist der Meinung, dass die Folge­schä­den hätten vermie­den werden können, wenn ein Rettungs­wa­gen mit quali­fi­zier­tem Perso­nal geschickt worden wäre.

Die Klage auf Zahlung von Schaden­er­satz und eines Schmer­zens­gel­des von mindes­tens 40.000 Euro wurde vom Landge­richt Berlin abgewie­sen (Az.: 63 O 41/13). Die dagegen gerich­tete Berufung war erfolg­los. Während des Berufungs­ver­fah­rens verstarb der Kläger, seine Töchter führten als Kläge­rin­nen das vom Senat zugelas­sene Revisi­ons­ver­fah­ren fort.

Die Entschei­dung des BGH

In dem Urteil des III. Zivil­se­nats des Bundes­ge­richts­ho­fes (Az.: III ZR 92/16) wurde darüber entschie­den, „ob bei grober Verken­nung eines akuten medizi­ni­schen Notfalls im Rahmen eines Hausnot­ruf­ver­trags eine Umkehr der Beweis­last zuguns­ten des geschä­dig­ten Vertrags­part­ners eingreift.“

Norma­ler­weise obliegt die Beweis­last dem Geschä­dig­ten. Das Arzthaf­tungs­recht sieht aller­dings vor, dass bei einem groben Behand­lungs­feh­ler die Beweis­last umgekehrt wird. Da sich bei dem Hausnot­ruf ebenfalls eine Berufs- oder Organi­sa­ti­ons­pflicht ergibt, die dem Schutz von Leben dient, ergibt sich hier eine Vergleich­bar­keit mit dem Arzthaf­tungs­recht.

Daher hat der Bundes­ge­richts­hof entschie­den, dass die Beweis­last­um­kehr zuguns­ten des Geschä­dig­ten eingreift, da die Schutz- und Organi­sa­ti­ons­pflich­ten grob vernach­läs­sigt wurden. Berück­sich­tigt werden muss die Frage, ob die Folge­schä­den auch einge­tre­ten wären, wenn ein Rettungs­dienst hinzu­ge­zo­gen wäre.

Laut dem Hausnot­ruf­ver­trag, bei dem es sich um einen Dienst­ver­trag im Sinne des § 611 BGB handelt, schul­det der Beklagte keinen Erfolg der Rettungs­maß­nah­men, jedoch ist er zur angemes­se­nen Hilfe­leis­tung verpflich­tet. Im Fall des Klägers hat es sich um einen akuten medizi­ni­schen Notfall gehan­delt. Als er bei der Zentrale anrief, war er nur zu einem Stöhnen in der Lage und aufgrund des Erhebungs­bo­gens war die Krank­heits­lage des Betrof­fe­nen klar. Dass ledig­lich Streit­hel­fer geschickt wurden, die ledig­lich in Erster Hilfe ausge­bil­det sind, stellt damit keine „angemes­sene Hilfe­leis­tung“, wie es der Hausnot­ruf­ver­trag vorsieht, dar.

Quelle: BGH