Leiter der Altenhilfe ist langjährig beschäftigt
Ein Krankenpfleger begann am 1. September 2001 bei seinem Arbeitgeber eine Vollzeitbeschäftigung als „Leitender Mitarbeiter mit Verantwortung für den Fachbereich Altenhilfe“.
Der Betrieb beschäftigt etwa 800 Mitarbeiter und unterhält rund 30 soziale Dienste und Einrichtungen. Für das Dienstverhältnis gelten die Arbeitsvertragsrichtlinien für Einrichtungen der Evangelischen Kirche, die der Diakonie Deutschland angeschlossen sind (AVR-DD).
Die beiden Parteien schlossen am 6. April 2004 einen Änderungsvertrag, nach dem der Krankenpfleger rückwirkend zum 1. April 2004 „mit 50 Prozent der durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Mitarbeiters als Bereichsleiter stationäre Altenhilfe und mit 50 Prozent der durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Mitarbeiters als Qualitätsbeauftragter“ beschäftigt wurde.
Zum 1. Oktober 2009 gruppierte der Arbeitgeber dem Pfleger auf dessen Antrag hin in die Entgeltgruppe (EG) 12 AVR um. Die Höhergruppierung diente dem finanziellen Ausgleich, nachdem die Bewerbung des Klägers auf die Vorstandsposition nicht berücksichtigt worden war. Dies erschien dem Pflegeleiter als belastende und inadäquate Reaktion. Er war seinerzeit zuständig für vier Einrichtungen der Altenpflege mit insgesamt 260 bis 280 Mitarbeitern verantwortlich.
Gravierende Veränderungen mit Folgen
Nachdem der Betrieb lange Zeit mit der Arbeit des Pflegeleiters zufrieden war, stellte er Anfang des Jahres 2013 Veränderungen in der Aufgabenwahrnehmung fest. Unter Einbindung des Verwaltungsrats entschied der Betrieb sich dafür, die Stelle des Bereichsleiters stationäre Altenhilfe zum 1. Januar 2014 ersatzlos zu streichen und die Leitung der einzelnen Einrichtungen direkt dem Vorstand zu unterstellen.
In der Folge sprach der Betrieb mehrere Änderungskündigungen ab Mitte 2013 aus, gegen die sich der Leiter mit Kündigungsschutzklagen jeweils erfolgreich zur Wehr setzte. Die Versuche, eine Änderungskündigung zu erwirken, beliefen sich auf insgesamt sieben Ansätze in einem Zeitraum von knapp sieben Jahren.
Mit der siebten Änderungskündigung bot der Betrieb dem Krankenpflegeleiter eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ab 1. Januar 2020 mit einer Beschäftigung als Einrichtungsleiter in Kombination mit der verantwortlichen Pflegefachkraft für die neu zu errichtende häusliche psychiatrische Krankenpflege. Der Pfleger nahm das Änderungsangebot rechtzeitig unter Vorbehalt an.
Pflegeleiter war häufig krank
Der Pfleger war bereits seit dem Jahr 2011 aufgrund Krankheit frequentiert arbeitsunfähig. In Folge dessen ist er umfänglich und regelmäßig krankheitsbedingt ausgefallen. Der Arbeitgeber bot ihm ein betriebliches Eingliederungsmanagement an. Der Pfleger antwortete hierauf nicht.
Liste der Arbeitstage des Pflegeleiters (ab 2011):
2011: 38 Arbeitstage; 2012: 0 Arbeitstage; 2013: 66 Arbeitstage
2014: 0 Arbeitstage; 2015: 30 Arbeitstage; 2016: 0 Arbeitstage
2017: 0 Arbeitstage; 2018: 0 Arbeitstage; 2019: 236 Arbeitstage
Der Arbeitgeber beantragte schlussendlich bei der Mitarbeitervertretung die Zustimmung zur außerordentlichen Änderungskündigung des Leiters. Zur Begründung berief er sich insbesondere darauf, dass eine Weiterbeschäftigung des Pflegers auszuschließen ist, wenn dieser nicht einmal in der Lage ist, ein Gespräch mit dem Betrieb über die weitere dienstliche Verwendung zu führen.
Die Mitarbeitervertretung erklärte sich – wie schon in früheren Beteiligungsverfahren – unter Hinweis auf die Leitungsposition des Krankenpflegers für nicht zuständig. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos mit Auslauffrist zum 30. Juni 2020.
Depression wegen Rauswurf-Versuchen
Der Krankenpfleger hat daraufhin Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Rostock eingereicht. In dieser vertrat er die Auffassung, dass die krankheitsbedingte Kündigung unwirksam sei, da eine anhaltende Erkrankung von rund sechs Monaten eine Kündigung nicht rechtfertige, schon gar nicht unter Berücksichtigung seines besonderen Kündigungsschutzes. Der besondere Kündigungsschutz resultiere vor allem aus dem langanhaltenden Arbeitsverhältnis.
Aufgrund der ständigen Kündigungsversuche des Betriebs sei bei dem Pflegeleiter eine depressive Erkrankung durch eine sogenannte Anpassungsstörung aufgetreten. Die Erkrankung sei aber gut therapierbar, wobei der andauernde Konflikt mit dem Arbeitgeber einer Genesung jedoch nicht förderlich sei.
Gericht gibt Kündigungsschutzklage statt
Das Arbeitsgericht in Rostock hat der Kündigungsschutzklage des Pflegeleiters stattgegeben und ausgeführt, dass die außerordentliche Kündigung ebenso unwirksam sei wie die ordentliche.
Hiergegen wandte sich der beklagte Arbeitgeber mit seiner Berufung, die allerdings auch erfolglos blieb. Die mit Auslauffrist ausgesprochene außerordentliche Kündigung ist laut Gericht unwirksam, da kein wichtiger Grund im Sinne von § 32 Absatz 1 AVR-DD, § 626 Absatz 1 BGB vorliegt.
Die ausgesprochene ordentliche Kündigung ist ebenfalls unwirksam. Nach § 30 Absatz 3 AVR-DD ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers, der über eine Beschäftigungszeit von 15 Jahren verfügt und das 40. Lebensjahr vollendet hat, grundsätzlich ausgeschlossen. Der Kläger fällt unter diese Regelung, da er bei Zugang der streitgegenständlichen Kündigung vom 12. Dezember 2019 eine Beschäftigungszeit von 18 Jahren und ein Lebensalter von 53 Jahren erreicht hatte.
Pflegedienstleiter durch Kündigungsschutz immun?
Nach § 32 Absatz 1 AVR-DD kann das Dienstverhältnis bei Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne von § 626 BGB ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nicht zugemutet werden kann, das Arbeitsverhältnis weiterzuführen. Grundsätzlich ist dem Arbeitgeber aber die Einhaltung der Kündigungsfrist zuzumuten.
Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in eng begrenzten Fällen in Betracht, etwa wenn die ordentliche Kündigung aufgrund tarifvertraglicher oder einzelvertraglicher Vereinbarungen ausgeschlossen ist. Eine zur Arbeitsunfähigkeit führende Langzeiterkrankung rechtfertigt danach regelmäßig noch nicht eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund.
Unter welchen Voraussetzungen häufige Kurzerkrankungen einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen können, bedarf keiner Entscheidung, da der Kläger in dem hier maßgeblichen Zeitraum seine Arbeit nicht wieder aufgenommen hat.
Krankheitsbedingte Kündigung erst ab 18 Monaten
Steht fest, dass der Arbeitnehmer in Zukunft die geschuldete Arbeitsleistung überhaupt nicht mehr erbringen kann, so ist das Arbeitsverhältnis auf Dauer ganz erheblich gestört, so das Landesarbeitsgericht. Sofern eine dauernde Leistungsunfähigkeit nicht medizinisch festgestellt ist, bedarf es einer entsprechenden Negativprognose, die sich wiederum aus einer lang anhaltenden Arbeitsunfähigkeit ergeben kann.
Der Rückschluss von einer lang anhaltenden Arbeitsunfähigkeit auf eine voraussichtlich dauernde Leistungsunfähigkeit ist im Regelfall erst dann möglich, wenn der Arbeitnehmer etwa 18 Monate ununterbrochen krank war.
In dem Zusammenhang ist es relevant für den Arbeitnehmer darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Im Zeitpunkt des Kündigungszugangs war der Kläger noch nicht 18 Monaten ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt.
Vielmehr beliefen sich seine Fehlzeiten bei Zugang der Kündigung erst auf rund 6 Monate am Stück. Für die Prognose einer dauernden Leistungsunfähigkeit gab es seinerzeit keine Grundlage. Eine ordentliche Kündigung kommt zwar auch unterhalb dieser Schwelle in Betracht. Diese ist jedoch aufgrund der genannten Beschäftigungszeit gegenüber dem Kläger ausgeschlossen.
Die Rechtskraft der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern lag zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses noch nicht vor.
FAQ
Wann ist eine krankheitsbedingte Kündigung möglich?
Eine krankheitsbedingte Kündigung ist möglich, wenn eine negative Gesundheitsprognose vorliegt und der Arbeitnehmer dauerhaft nicht in der Lage ist, seine Arbeitsleistung zu erbringen. In der Regel ist dies erst nach einer ununterbrochenen Erkrankung von etwa 18 Monaten anzunehmen.
Was bedeutet krankheitsbedingte Kündigung?
Eine krankheitsbedingte Kündigung ist eine Form der personenbedingten Kündigung, bei der das Arbeitsverhältnis wegen langfristiger oder häufiger Erkrankungen beendet wird. Sie setzt voraus, dass die Arbeitsunfähigkeit erheblich und langfristig ist und betriebliche Interessen dadurch stark beeinträchtigt werden.
Was kann man bei einer krankheitsbedingten Kündigung tun?
Betroffene können eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht einreichen. Es ist sinnvoll, rechtzeitig rechtlichen Beistand in Anspruch zu nehmen, um die Erfolgsaussichten prüfen zu lassen. Auch medizinische Gutachten können helfen, die Wiedereingliederungschancen oder Genesungsaussichten zu belegen.
Quelle: LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 21. 6. 2022 – 5 Sa 259/21